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Amerika

Ich bin in einer Welt aufgewachsen, deren populäre Kultur wesentlich durch die USA geprägt war. Was neu und relevant war, entschied Amerika (sic), also der Mainstream der nordamerikanischen Unterhaltungsindustrie. Diese Welt gibt es schon seit längerer Zeit nicht mehr; was in den schönen Künsten passiert, passiert in Europa.

Dennoch ist und bleibt jede Reise nach Amerika eine Verheißung. Eine leere Verheißung eines weniger gebundenen Lebens, eine leere Verheißung befriedigenderen Konsums, die Verheißung von Weite und Schönheit.

Ich reise am Mittwoch für einige Tage nach San Francisco und Los Angeles, um eine der Besten zu besuchen. Um besseres Koffein zu trinken, um zu arbeiten, nicht um Urlaub zu machen, um das Leben zu leben. Um den Pazifik zu sehen. Vielleicht kaufe ich mir Schuhe von Poell, aber wahrscheinlich nicht. Ich reise, warum ich immer reise: für die Blicke, für die Orte, für den Krach der Straßenbahn, für die Transition, für den State of Flux.

Nachtrag: Es gibt eine Playlist für die Reise, S—F, der bei Spotify ein Track fehlt: Claro Intelecto – It’s getting Late.

Presolar grain

Eine der schönen Eigenschaften der Postmoderne ist ihre Unübersichtlichkeit. Egal wie hart die Filter und wie groß die Konsequenz des Blickes – was es wert ist, gesehen zu werden, wird gesehen. Vor zwei Jahren hörte ich in einem Stapel Releases das Staub-12″ auf Giegling durch. Offenbar in der falschen Stimmung oder auf der Suche nach etwas anderem. Heute fiel mir die Platte wieder in die Hände – und mit ihm ein einstündiger Mix aus Vril-Tracks.

Eine massive Angelegenheit, zugegeben – aber zu staubig, zu affirmativ und zu deep, als dass sie zu ignorieren wäre. Ein ruhender Kern, ein Geflecht aus rasiermesserscharfen Sounds, ein Set für hohe, leere Räume bei Nacht. 43:24. Go. Vril ssg special (59:22), courtesy of mnml ssgs.

Das einzige, was mich noch in meinem künstlerischen Schaffen tröstet, sind die folgenden Fragen, die die Millizionäre auf der Straße immer öfter stellen: Wofür ich das fotografiere, „was denn daran schön wäre“.

Volatile

Entweder braucht es inzwischen gehörigen Schub, um mich aus der Lethargie zu bewegen – oder um den Qualitätsdurchschnitt der Releases des frühen Jahres 2012 ist nicht zum Besten bestellt. Gut, die neue Scuba war erfreulich, die Tracks July und The Hope waren prägend für zwei Wochen, immerhin.

Enter Claro Intelecto. Mark Steward produziert seit den frühen zweitausender Jahren langsame, dubbasierte Clubmusik – zuweilen leicht und nah am House, zuweilen mit brachialem Druck nach vorne schleppend. Letzteres zuletzt auf der Warehouse Sessions1, ersteres zum Beispiel auf Patience einer sehr guten 12″ von 2005.

In diesem Monat erscheint Reform Club, das dritte Album, und zwar bei Delsin. Nirgendwo wäre es besser aufgehoben, denn die neun Tracks reichen weit über den Club hinaus. Sie sind die Nacht und sie sind der Sommer. Second Blood: Dunkel, warm und texturiert, wie der Weg entlang des Paul-Linke-Ufers. It’s getting Late: leicht, körperlos, ohne Ende. Control: Peaktime auf dem Weg nach Hause, auf dem Fahrrad in der Ideallinie.

Reform Club ist die Platte, die den Frühling prägt, bevor er wirklich begonnen hat. Sie gehört in die Rotation, für den Fall, nachts allein auf dem Weg zu sein.


  1. Compilation. Erschienen auf Modern Love: LOVE052 

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23, Berlin