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Abmusik

Ich las einige Kritiken der Drangsal-Platte. Es scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Entgegen verbreiteter Annahme ist das ja keine Musik, und Drangsal ist keine Musikgruppe. Max Gruber mit den Annahmen und Methoden der Musikrezension zu begegnen, führt zu wenig interessanten Resultaten und übersieht die ästhetischen Maneuver, die er als Drangsal betreibt. Mal sehen:

Da ist überhaupt kein ersthaftes Interesse an der Disziplin des Musik-Machens. Das ist alles Geste, ein Mittel zum Zweck. Was Drangsal zur Aufführung bringt, existiert als Grund, um jung da oben zu stehen, am Hemd zu zerren, bös zu schauen, am Mikroständer zu reißen. Das alles ist legitim. Hier geht es um ein Ganzes, einen kohärenten Vorschlag, wie man sein und aussehen und reden kann. Eine Möglichkeit, der Welt zu begegnen.

Man muss das natürlich extrem gut machen, sonst klappt’s nicht. Gut meint in dem Fall etwas anderes als das gut in gute Musik. Es hat eher der Art und Weise zu entsprechen, auf die gute bildende Kunst gut ist, also dem einzigen Paradigma des Zeitgenössischen zu genügen: Du sollst nicht langweilen.

Das ist also alles ziemlich kippenbergerhaft. Natürlich ist solcherart künstlerisches Handeln albern und ruinös1, aber es ist auch genuin, ernsthaft und aufrichtig2. Um im Vergleich zu bleiben: Es musste vor allem anderen Martin Kippenberger ermöglichen, an der Kunstwelt teilzunehmen. Also irgendwo rumzustehen, Gläser mit Crémant über den Tresen zu werfen und grandiose Scheiße zu reden. Der Welt zu begegnen. Dazu musste der Move halt gut sein, der Approach, die Gründe, das Material und die Referenzen. Hier bestehen Parallelen.

Ein Weiteres: Wer Drangsal als konstruiert und verkopft beschreibt, und das als Kritik aufgefasst wissen will, hat nicht verstanden, worum es geht. Denn Authentizität als Zwingendes, vorgeblich aus tiefster Seele Empfundenes existiert erstens nicht und ist zweitens nicht das Ziel. Drangsal bemüht sich nicht um den Sound von Tears for Fears und Prefab Sprout. Sie verwendet was vorhanden, wahr und effektiv ist, planvoll und mit Absicht. Das Ziel ist Recht haben und schön sein. Beides gelingt.

Harieschaim ist das Debutalbum als Greatest-Hits-Platte: Ernst und sorgsam entworfen, an den jeweils richtigen Stellen aufmerksam brillant und nachlässig beschissen. Futures invade and haunt the production of both present and past. This is post-contemporaryism I can get behind, um es mit Malik und Avanessian zu sagen.


  1. Das Bad painting setzt nicht auf Überraschungen durch mangelnde Beherrschung der Technik, es entspringt einer intellektuellen Distanzierung von der Eigengesetzlichkeit des Gut-Gemachten, ja des Vollendeten. Es will verhindern, daß schlechter Geschmack durch Gewöhnung zum guten Geschmack wird. Ruinieren wird zu einer erkenntniskritischen Haltung. Sie ist nicht mutwillig zerstörerisch, sondern konstitutiv. Sie definiert das Werk von vornherein gerade deswegen als interessant, weil es keinen Anspruch auf Endgültigkeit erheben kann. Bazon Brock, Bildjournalismus als ästhetische Macht (1986).  

  2. Ich weiß, dass meine Kunst albern wirkt, vielleicht sogar dämlich, oder dass das Gleiche schon gemacht worden ist, aber das bedeutet nicht, dass ich es nicht ernst meine. Robin van den Akker und Timotheus Vermeulen, Anmerkungen zur Metamoderne (2015). 

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