electricgecko

Dezember

Am Ende des Jahres finde ich mich vor den Fenstern eines hohen Raumes wieder, von dem ich vor zwölf Monaten nicht wusste, dass er existiert, nicht für mich und nicht in der Welt. In Ruhe gelassen in formloser Zeit, git push, die schweren Schuhe und Genmaicha einander abwechselnd. Gute Settings zu erkennen, sie herzustellen und ihnen zu folgen, das ist eine ernstzunehmende Aufgabe. Mit der Zeit scheinen die einfachen Ratschläge sinnvoll zu werden, und die Unterbrechung der Geschwindigkeit notwendig.

Ich habe einen großen Teil des Jahres 2014 damit verbracht, Musashi zu lesen, die große Erklärung des japanischen Weltzustands anhand seines prägenden Jahrhunderts. Es hat viele Stunden gedauert, diesen Text zu verstehen, seine Komplexität und seine Einfachheit anzunehmen und das eigene Verständnis zu finden. Die Lektüre war eines der signifikanten Ereignisse meines Jahres, und in seiner Langsamkeit und Routine maßgebend für vieles andere. Eat your rice, drink your tea, wear your clothes.

Schließlich: Jahreszeiten und ihre Tracks. Signifikant, Teil von Settings und Personen. Protokolliert in Transit, starrend auf die Devices, die alles enthalten sollen.

Winter

  • Mobb Deep – The Start of your Ending (41st Side)
  • Real Lies – North Circular
  • Laurel Halo – Ainnome
  • Patten – Re-Edit13
  • Peter van Hoesen – Seven, Green and Black (SCB Edit)
  • Samuel Kerridge – Death is upon us
  • Rainer Veil – Three Day Jag
  • Kareem – Downfall
  • Darkside – Metatron
  • Claude Young – Hawking Radiation
  • Ø – Syvyydessa Kimallus

Frühling

  • Messer – Staub
  • Polar Inertia – Antimatter
  • Manuel Göttsching – E2E4
  • Thompson Twins – Love on your Side
  • Efdemin – Track 93
  • Cold Cave – Don’t Blow up the Moon
  • Millie & Andrea – Stay Ugly
  • Pantha Du Prince – Lauter
  • Carsten Jost – Love
  • Rick Wade – Naomi
  • Kyoka – Flashback
  • Charizma & Peanut Butter Wolf – Methods
  • Messer – Lügen
  • Byetone – Black Peace

Sommer

  • Darkside – Heart
  • Circuit Diagram – Amanar
  • Inhalt – Black Sun (Timothy J Fairplay Remix)
  • Fennesz – Sav
  • Millie & Andrea – Spectral Source
  • Sleaford Mods – Tied up in Nottz
  • Diamond Version – Feel the Freedom
  • New Order – Turn the Heater On
  • Aoki Takamasa – Rhythm Variation 02
  • Carsten Nicolai – Zone 01
  • Messer – Gassenhauer (All diese Gewalt Remix)
  • Alva Noto – Xerrox Phaser Acat 1

Herbst

  • Atrium Carceri – Crusted Neon
  • Vril – Torus II
  • Lanzo – Hepburn
  • Giorgio Moroder – The Chase
  • The Horrors – Falling Star
  • Quiet Village – Desperate Hours
  • MIT – Elektronix
  • Matatabi & Madrob – Gong
  • Innerspace Halflife – Phazzled
  • Sendai – Triangle Solution
  • Von Spar – V.S.O.P.
  • Vril – Torus XXXII
  • SNTS – N4

Winter

  • Andy Stott – Science and Industry
  • Senking – Shading
  • Pantha du Prince – Satin Drone
  • Von Spar – One Human Minute
  • Objekt – Glanzfeld
  • DAF – Ich und die Wirklichkeit
  • New Order – Mesh
  • Silent Servant – Process
  • Dino Spiluttini – Anxiety
  • Kraftwerk – Musique Nonstop
  • Objekt – Strays
  • The Soft Moon – Black

Es gibt eine Spotify-Playlist, der vieles fehlt, was interessant und komplex ist. Flatrates sind kein Format für ernstzunehmende Musik.

Sets

Meine Auseinandersetzung mit Musik wurde langsamer in diesem Jahr, weniger kontinuierlich. Sie fand in Schüben statt. Es ist für mich zu einem bewussten Akt geworden, Rezensionen zu lesen, die Websites von Modern Love, Drone, PAN und Delsin zu öffnen und eine Stunde damit zu verbringen, neue Releases zu hören. Meine Wege in den Plattenladen sind Unternehmungen, keine Routine mehr auf dem Heimweg oder an Samstagen. Um so mehr habe ich die herausragenden Releases geschätzt und wahrgenommen. Sie wurden dauerhaft Teil der Playlists Commute und Psychospatial auf meinem Mobiltelefon1 – und damit zentrale Beiträge zu meinen ästhetischen Themen des Jahres 2014.

Ich habe mich für Gewicht und Nachdruck interessiert, für die Bedeutung von Masse und die Art von unnachgiebiger Schönheit, wie sie nur auf struktureller Ebene möglich ist.

Das willkürlich verdichtete Ergebnis sind fünf LPs, die mir geholfen haben, meine Umgebung wahrzunehmen, das Empfinden zu schärfen und neue psychologische Räume zu schaffen.

  • Vril – Torus (Forum)

    Die vielverklärte Geschichte vom großen Moment auf dem Floor ist wahr, und ich erlebte einen dieser Momente Anfang des Jahres in den Nebelschluchten des alten Heizkraftwerks am Wriezener Bahnhof. Vril brachte sein Gesamtkunstwerk zur Aufführung: ein Set wie ein Massiv aus schwarzem Quarz, kohärent und direkt. Torus ist der Zwischenbericht seiner langsamen Evolution: Harter, deeper, vollständig unironischer Techno. Es ist die Fortsetzung der 12″s auf Staub, die Konkretisierung eines ebenso simplen wie perfekten ästhetischen Vorschlags. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werde ich 2015 an dieser Stelle die nächste LP namens Portal nennen.

  • Millie & Andrea – Drop the Vowels (Modern Love)

    Eigentlich hätte ich Andy Stotts fantastische Faith in Strangers als Teil dieser Liste nennen müssen, für seine Bedeutung zum Ende des Jahres (und allein für Science and Industry), doch seine gemeinsame Arbeit mit Miles Whittaker erschien mir bezogen auf zwölf Monate als die signifikantere Platte. Drop the Vowels ist ein großer Fake. Eine zu hundert Prozent auf den Floor orientierte LP voller Hits, die so tut, als sei sie ein verstelltes, rohes Hardcore/Jungle-Album. Diese Anwendung des Miles/Demdike Stare/HATE-Sounds auf das Prinzip Peaktime hat mir große Freude bereitet – von den kaskadierten Breaks in Corrosive bis zur warmen B3 in Spectral Source. Stay Ugly, Motherfucker.

  • Von Spar – Streetlife (Italic)

    Von Spar sind einer der wenigen Acts, die es schaffen, sich kontinuierlich zu verändern ohne jemals schlechter zu werden. Jede Veröffentlichung ist konsistent, richtig und eine logische Folge ihrer Vorgänger. In diesem Zusammenhang ist Streetlife großer Pop – und die Folge der deutlich krautlastigeren Foreigner und den Electro/Math-Releases Von Spar2 und Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative. Streetlife ist eine durch und durch moderne Platte; die schönste und reinste Popmusik, die in diesem Jahr in der Reichweite meiner Wahrnehmung veröffentlich wurde. Dass Von Spar trotz dessen nicht ein Messerbreit and Präzision und Sharpness verlieren, ist Verweis an das Prinzip Krautrock und die Werte seines Düsseldorfer Ursprungs genug. Oh, und das Sax, Alter.

  • Messer – Die Unsichtbaren (This Charming Man)

    Ich schrieb es im November – es gibt immer Raum für rohe, kluge Gitarrenmusik in meinem Leben. Meine Faszination für Worte, ihre Bedeutung und ihre Verdichtung zu Parolen lässt mich an Gruppen wie Messer nicht vorbei: Ich habe kein Album in diesem Jahr häufiger gehört als Die Unsichtbaren, und das hat gleichermaßen mit seiner musikalischen Kohärenz wie der Klugheit seiner Worte zu tun. Die kapieren nicht, Lügen – Illustrationen einer Stimmung, des Regens auf den Straßen, des bösen Lächelns. Intensität, Disziplin, Klugheit.

  • Darkside – Psychic (Other People)

    Schließlich: Die Platte des Jahres, das Jahr des Jahres. Selten habe ich erlebt, dass mich die ästhetische Signifikanz eines Albums so unmittelbar und ohne eine Spur des Zweifels getroffen hat – Psychic hat mich tatsächlich umgehauen. Seine unglaubliche Langsamkeit, der Nachdruck, der monströse Groove (Case in Point: Metatron) sind musikalische Formulierungen einer Empfindung, für die mir bis dato Worte und formale Beispiele gefehlt hatten. In der Rückschau war dieses Album prägend für das Jahr 2014, für meine Interessen und meine Art mich durch die Welt zu bewegen. Ich halte Psychic für eine der singulären Platten der letzten Jahre.

Darüber hinaus wichtig: Andy Stott – Faith in Strangers, Alva Noto – Xerrox Vol. 2, Rainer Veil – New Brutalism, Efdemin – Decay, SNTS – Scene II, New Order – Peel Sessions, Fennesz – Bécs


  1. Wie falsch dieses Wort ist. 

  2. Xacapoya gehört nach wie vor zu meinen liebsten Tracks komplexer Gitarrenmusik – so viel Dichte, so viele Spannungen, so viele Hits in 22 Minuten. 

Das Cover der Flatland-LP zeigt einen Strang glänzenden Tapes, das sich raumlos zu möbiusartigen Schleifen windet. Es ist ein überaus passendes Motiv für eine Platte, deren kinetische Energie sich ohne einen substanziellen Körper entfaltet. Auf seinem Full-Length-Debut baut T.J. Hertz (sic/alias Objekt) ein Mesh aus Drumpatterns, Klicks und Sounds, das ohne jede Fläche bleibt. Es ist ein körperloser Sound, dessen Punch mittelbar, aber um so massiver spürbar ist. Es braucht einige Sekunden, bis sich das Muster von Strays manifestiert – ein komplexer, gewichtsloser Hit, a force without a body. 11 Tracks mit wechselnden Parametern und Positionen im Raum, oder, wie die Selbstauskunft treffend beschreibt: A convoluted mess of elektrology and teknology.

Ich und die Wirklichkeit

Am schlimmsten ist die Organisation der Dinge der Welt nach der Häufigkeit ihrer Benutzung. Am meisten/am häufigsten/andere haben auch, Discover. Nichts Häufiges war jemals interessant, hat etwas bewegt oder mich aufmerken lassen, für einige Sekunden. Raw Data, Tief und Weit, das endlos zu durchwatende Feld ist der Schutz des Brauchbaren. Jedes Einzelne ansehen, betrachten, ordnen, ausordnen. Keine Abkürzung, keine vereinfachter Zugang. Waten durch das viele, Security through obscurity.