Dienstag Paranoia, Mittwoch Agonie. Ja, es stimmt, like a rich man’s child.
September
Ich lese gerade wieder, beziehungsweise endlich mal, Rainald Goetzens Klage-Blog. Endlich mal, weil das Buchformat die Rezeptionshaltung dann noch noch einmal verändert; ein Bett ist etwas anderes als ein Feedreader. Mal wieder, weil ich zu Vanity-Fair-Zeiten die Rants und Ramblings des wütenden Autors abwechselnd genossen und verflucht habe.
Denn Rainald Goetz findet in Klage
keine Themen und keine Konsistenz. Er tut, was wir alle tun: er sammelt, klebt und zerreißt. Das Ergebnis wechselt beständig zwischen vollends großartig und blasser Langeweile. Das passt, weil das ja immer so ist und die Moderne in Format und Inhalt richtig abbildet. Oder wie Nils Minkmar vor einer Weile für die FAZ schrieb: Das Internet passt zu Goetz, was in diesem Fall für beide Seiten keine gute Nachricht ist.
Ich finde, das gedruckte Format passt besser zu Goetz, oder zumindet zu Klage
, weil es die Schnipsel und Zettelchen, die Phrasen und die Hysterie zwischen zwei Deckeln zusammenhält. Statt sie zwischen den vielen anderen Fragmenten im Feedreader, im Web, verflattern zu lassen. Als Buch ist Klage
geradezu aufdringlich und näher als man das zuweilen möchte. Manchmal hat Rainald Goetz darin aber auch einfach recht und — das ist wichtig — schreibt es auch so hin.
Man geht ja ganz direkt und normal miteinander um, äußerlich. Und große Energien gehen dahinein, das in den Begegnungen subtextlich Mitgeteilte uneindeutig, offen, in der Schwebe zu halten. Das betrifft die Erotik, die Fragen der Macht, der persönlichen Wertschätzung, der charakterlichen Disposition, der intellektuellen Über- oder Unterlegenheit, der Rituale des Alltags.
Word.
- Rainald Goetz,
Klage
. Suhrkamp, 2008.
Gestaltung für Kunstveranstaltungen zu machen ist besonders schön. Einerseits herrscht Verständnis für Irritierendes und Interessantes. Andererseits ist die Rolle der Gestaltung immer noch die einer Erfüllungsgehilfin — Kunst beschreien oder mit ihr konkurrieren sollte sie nicht. Aber sie sollte ihr das Wasser reichen, nicht ungelenk durch künstlerisches Terrain stolpern und mit dem Hintern die Geranien umstoßen.
Gestaltung für Kunstveranstaltungen zu machen ist besonders schwer, wenn die Veranstaltung ein hohes Niveau und spannende Inhalte verspricht. Der Fall ist das bei Over and Out
, der Ausstellung, die in der vergangenen Woche am Hafen in Münster eröffnet wurde. Dabei sind unter anderem der bereits genannte Sebastian Freytag und Lars Breuer vom Kosortium D. Dem Titel entsprechend zieht Over and Out
ein Kreuz zwischen der einen Hafenseite (der schmutzigen, schönen) zur anderen Hafenseite (der bereinigten, ganz okayen) bis rüber zum denkmalgeschützten Bürogebäude in der Herwarthstraße.
Ich habe mich bemüht, mit den Plakaten und Einladungskarten die metaphorischen Geranien stehen zu lassen. Over and Out
hat sauberes Parkett verdient. Wer bis Mitte November in Münster zu tun hat, sollte diese Ausstellung besuchen. Weitere Informationen gibt es bei der AzKM.
Man sollte Palma grundsätzlich ohne den Zusatz de Mallorca
verwenden, denn der ist voll schlechter Assoziationen. Natürlich ist Palma Einfallstor für die Einfallslosen und Tumben, aber das ist ja nicht neu und auch langweilig. Dass die Stadt inzwischen mehr kann, als ältere Gebäude herumzuzeigen und pittoresk im Sonnenuntergang daliegen, ist auch kein Geheimnis. Im Gegenteil — nach allem, was man so liest hat Palma auch in Sachen Moderne und smartem Dasein eine Menge zu bieten.
Ich habe neun Tage meines späten Sommerurlaubs in der Stadt verbracht und kann das bestätigen. In Palma geschehen eine Menge gute Dinge, von denen man in Hamburg nur schwer mitbekommt. Sechs Orte, an denen man gewesen sein sollte.
- Duke (Karte)
Das Duke ist einer dieser Läden ohne Schild in einem kleinen Haus, gedrängt zwischen andere kleine Häuser. Das Restaurant verdankt Duke Kahanamoku – mehr oder weniger der Erfinder des modernen Surfens – mehr als nur seinen Namen: Die Location zieht einen angenehmen 60er-Jahre Surfstil durch, ohne Richtung Plastik-Tiki abzurutschen. Das Essen ist ebenfalls auf hohem Niveau und bewegt sich zwischen Karibik und Kalifornien. Fotos und mehr Infos gibt es hier. - Portixol (Karte)
Im etwas verschlafene Hafengebiet Portixol östlich von Palma findet gerade ein sehr spannendes Stadtentwicklungsprojekt statt. Mit viel Rücksicht auf die gewachsenen Strukturen wird Portixol zu einem sekundären Zentrum aufgebaut — mit einer wunderbaren Promenade am Meer, minimalistischen Appartments und einigen Bars und Restaurants. Alles in gesunder Dimensionierung und ohne Prestigeobjekte. - Monocle Shop (Karte)
Einer der drei Monocle Shops ist in Palma. Natürlich liegt er (wie auch das Duke) in Santa Catalina, dem smarten, ungehobelten Viertel der Stadt und dient gleichzeitig als Appartment für Redakteure, Markentouchpoint und Konversationsstube. Ruhig, freundlich, schön. - Es Trenc (Karte)
Einer der schönsten Strände der Insel liegt eine rumpelige Busfahrt östlich von Palma. Der Strand von Es Trenc nimmt kein Ende, das Wasser ist absurd türkis und vor der Küste dümpeln Segelschiffe aus Holz im Sonnenschein. Als wäre das nicht Prospekttext genug, steht auch noch die Dünenlandschaft unter Naturschutz und die Gegend ist eine bekannte Herstellerregion von Modesalzen. - S.P.Q.R. (Karte)
Das S.P.Q.R. ist meiner Lieblingsbar in Stockholm, dem AG 925 dermaßen ähnlich, dass man annehmen könnte, die Beitreiber hätten ihr Interieur aus den gleichen Quellen bezogen. Also zu gleichen Teilen aus Resten der Blade-Runner-Sets und von Vitra. Beide Läden sind industriell, modern und verkaufen unfassbar gute Cocktails. - Fundació Pilar i Joan Miró (Karte)
Pilar Miró hat ihrem Mann nach seinem Tod ein Denkmal gesetzt, dass es architektonisch und inhaltlich locker mit dem Es Baluard aufnehmen kann. Zwischen Palmen und dem Atelier duckt sich ein massiver Betonbunker in den Hang der Insel, dessen Räume dank halbtransparenter Marmorflächen geradezu filigran wirken. Dass sie außerdem eine sehr gut kuratierte Miró-Sammlung enthalten, versteht sich von selbst.
Nur unwesentlich postkartige Fotos aus Palma gibt es in meinem Palma-Set bei Flickr und bald an dieser Stelle.
Ich werde die Stadt verlassen. Die Elbe und ihr Strand, die Plastikmöbel in der Agentur, die Stufen zum Hafen und die Zelte auf dem leeren Heiligengeistfeld sollen ihren Kram für einige Tage alleine machen. Währenddessen werde ich mich auf eine Insel im Mittelmeer legen und den Blick auf das Meer und vielleicht auf Afrika richten. Mit einem billigem Fotoapparat und einer Flasche Wasser, sonst verdurstet man schnell.
Wenn ich zurückkomme, erwarte ich anständigen hamburger Herbst, einen Parka auf meinen Schultern und Regen in meinem Gesicht. Was vom Sommer dann noch übrig ist, könnt ihr behalten. Passt gut darauf auf.
Das Vorhandensein der Musikgruppe Ja, Panik ist eine Freude. Das ist nicht neu, im Gegenteil, The Taste and the Money
war eins der besten, wichtigsten und schönsten Alben des letzten Jahres. Weil es mit seinem strubbeligen Soul, der Lust an Parolen und der Wahrheit eine eigene Sprache gefunden hat. Eine Sprache für die albernen Situationen, in denen man sich als nicht mehr vollständig junger Stadtbewohner zwischen Wochenende und Wochentag wiederfindet. Weil ihr ein Manifest voranging, das mit Nachdruck den einzigen Ausweg forderte:
Glaubt an wenig! Glaubt an die Liebe! Fürchtet wenig! Fürchtet nur die erschreckenste, schlimmste Angst aller Ängste, den endlosen Kreislauf, die Wiederholung: the taste is familiar and so is the sound.
Sich als Musikgruppe Unklarheit und Unbestimmtheit nicht nur zu trauen, sondern sich ihr zu verschreiben — das ist nicht selbstverständlich, sondern gefährlich. Das Spiel mit übermütigen Ansprüchen, Manifesten und einer anmaßenden Grundhaltung wirkt geradezu albern in der musikalischen Umgebung der iTunes-Bibliotheken. Sinn machen einzig die Platten der Ronettes, von Martha Reeves und den Four Tops. Das ist Soulmusik. Ihren Tonfall besetzen Ja, Panik. Nur eben für eine andere Zeit und mit einem letzten Rest Wienerisch in den Stimmen. Damit kann man nur gewinnen. Folgerichtig heißt es in der Ansage zur neuen Platte:
Der Mangel ist unsere glänzendste Eigenschaft. Wir werden nichts erklären, nichts begründen, wir haben nichts verloren als unser Interesse.
Ich wüsste nicht, wer (außer vielleicht The Aim of Design is to define Space) momentan einen so klaren, nahen und überzeugenden inhaltlichen Entwurf von Popmusik anzubieten hat. Wie auch immer. Ich empfehle dringend das Video zur neuen Single Alles hin hin hin
. Jedes Wort des Songs ist wahr.
Am 25. September erscheint das neue Album der Gruppe Ja, Panik. Es heißt The Angst and the Money
. Man sollte ihnen zuhören.