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Schimmer

In der Wirklichkeit ist der Winter eine miese Idee. Die Fußwege durch das verschneite Hamburg sind anstrengend, kein Paar Schuhe ist fest genug. Wo man gehen kann, ist der Schnee nicht einmal weiß, er ist braun, und Eis ist farbloser Matsch. Glücklicherweise gilt das nur für die Wirklichkeit und nicht für die Nacht. Nicht für den Weg nach Hause im Dunklen mit Black Noise in den Ohren, der neuen Platte des großen Musikers Pantha du Prince.

Dann wünscht man sich, der Winter würde nie enden. Man wünscht, die Schichten urbanen Schnees würden sich verhärten zu Gletschern. Das Knirschen des frischen Niederschlages soll ewig unter den Schuhen knirschen. Diese Platte ist gemacht für den Winter, mit seiner beständigen Spannung zwischen Innen und Außen, zwischen Wärme unter dem Parka und Kälte an Händen und Nasenspitze. Pantha du Prince schichtet Sounds aufeinander, die fern klingen, wie verschüttete Felsen unter dem Schnee der Stadt. Darüber Kristalle und Eisflächen, klar, kalt und präzise. Fernes Glimmern und tiefes Schaben. Wärme und Eiseskälte zugleich, in einem Track.

Es ist schwer, sachlicher über diese Platte zu schreiben, die eine aktuelle Umgebung und ihr Gefühl so gut abbildet. Die mit Behind the Stars den dunkelsten und besten Moment im Club stellt, obwohl sie bei Stick to my Side liebevoller klingt als alle dänischen Indiebands zusammen. Sie ist ein Entwurf von Posttechno, oder Die Fortsetzung der Romantik mit den Mitteln von Techno, wie es die Spex ausgedrückt hat. Sie ist abstrakte, elektroakustische Musik. Sie ist in erste Linie: hinreißend.

Wie von ihrem Urheber gewohnt, endet Black Noise nicht mit der Musik. Das Artwork, die Pressefotos, das Auftreten im Club sind ebenso kühl wie konsistent. Angewandte Kunst im besten Sinne. Wer in irgendeiner Form etwas für Musik übrig hat, sollte sich das anhören (Stream) und ansehen. Es ist die erste Platte des Jahres.

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