Deliberately, in a well-considered manner
Ich habe häufig von meiner Reise nach Japan erzählt, in den letzten Wochen. Mal kurz zwischen zwei Getränken und auch in rekursiver long form, die Selektivität und Gemachtheit der eigenen Erfahrungen ins Licht rückt. Aufgefordert, meinen Eindruck des japanischen Zustandes auf eine Pointe hin zu besprechen, sage ich: Alles sei considered. Also Plan- und absichtsvoll erdacht und anschließend ebenso umgesetzt – Bars, Dienstleistungen, Sitzgelegenheiten, Clubs, Kleidung, Rückzugsorte, Nahrungsmittel. Diese und viele andere Dinge sehen fantastisch aus und funktionieren exakt wie sie sollen.
Gemeinhin trinken die Zuhörer dann von ihrer Limonade. Ob das nicht furchtbar rigide sei, also nicht auf natürliche Weise gut, aus der freien, kreativen Natur der Menschen heraus? Sondern das Produkt reißbrettartiger Kreativität, also unlocker und damit klaustrophobisch ihre eigene Schönheit verneinend? Absichtsvolle Schönheit hat einen schlechten Ruf.1
Nein, absichtvolle Gestaltung und präzise Exekution sind keine Makel. Das gilt für die Schönheit tokyoter Stadtplanung, es gilt für grafische Gestaltung, für die Einrichtung von Bars und es gilt – wie immer alles – auch für Musik. Ich habe den Punkt überschritten, an dem ich gutes Sounddesign gutem Songwriting vorziehe. Relevante Musik muss Raum und Licht und Zeit definieren, und zwar ultrapräzise unterscheidbar. Situationen sind interessanter als Geschichten.
Folgerichtig bestimmen zwei ältere Alben von The Black Dog mein Reisen, Leben und Arbeiten in der zweiten Hälfte des Jahres 2013. Music for Real Airports auf meiner Reise gen Osten und durch die Wartehallen von Dubai und Narita. Und Radio Scarecrow, das Magnum Opus der Produzenten-Boyband. Beide Platten markieren Wegpunkte zwischen Musik und vertonten Situationen, Präzise Syntax/diffuse Semantik.
Radio Scarecrow ist ein Musik-Album, auf dem die Hits orthogonal zu den Tracks verlaufen. Beim Skippen sind sie plötzlich unauffindbar; sie offenbaren sie sich nur als Teil der gesamten Arbeit. Einer der besten Parts der Platte verläuft irgendwo zwischen Short Wave Lies und Siiiipher (und von dort weiter zu Digital Poacher), ohne dass es beim Anspielen der einzelnen Tracks nachvollziehbar wäre. Nichts funktioniert ohne seine Umgebung.
Auf Music for Real Airports widmen sich The Black Dog schließlich vollends der Muzak, wie vom Titel impliziert. Es ist die Vertonung der Reisesituation, das Sound-Äquivalent zu Alain de Bottons The Art of Travel. Die LP wird bestimmt durch eine strukturierte Indexierung und Bearbeitung von Situationen. Es sind die Augenblicke und Nicht-Orte des Reisens, und zwar jeweils samt der ihnen eigenen Paranoia. Die fiesen Vibes des Unterwegs-seins werden nicht ausgeblendet, sondern effektvoll eingesetzt. Es handelt sich um zudringliches, ganz und gar diesseitiges Sounddesign – ein freundschaftlicher Stoß in die Rippen von Brian Enos fabelhaftem Nullkontaktutopia.
Radio Scarecrow und Music for Real Airports verweigern die Ausformulierung, das endgültige Aussprechen im Einzelnen zugunsten der Atmosphäre, der Verortung, der präzisen Gestaltung eines Settings. Sie sind Alben der Post-Album-Ära. Sie sind Orte, sie sind Zeiten, sie sind Erlebnisse.
- The Black Dog – Radio Scarecrow. LP, Soma 2008.
- The Black Dog – Music for Real Airports. LP, Soma 2010.
Nein, ich kann keinen Makel daran erkennen. Qualität ist wichtiger als Spontaneität. In der Kritik an wahrnehmbarer Gestaltetheit schwingt allzu häufig die bürgerliche Furcht vor Schönheit und Klasse mit; die Angst, ein zu schönes Café oder ein zu anspruchsvolles Geschäft zu betreten. Wird darauf hingewiesen, liegt eine Diskussion des leidigen Begriffs der Authentizität nicht fern. Und die ist ein probater Weg, sich gegenseitig den Abend zu ruinieren. ↩