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Bahn

Das endende Jahr ist kein Jahr der Worte. Ich habe mehr gesehen als geschrieben, mehr in die Ferne als im Raum. Darüber wäre Interessantes und Nachdenkliches zu sagen, aber wenig ist deutlicher als der Abdruck von Zeit in Musik. Es gibt also die Playlist namens Autobahn auf meinen Devices. Sie enthält Musik, in der es um Momentum geht, ein einfaches Thema und simple Tracks, konzentriert auf die eigene Kinetik und wenig anderes.

Selected Faces von Gesaffelstein ist einer dieser Tracks, aus dem letzten Ende der Welle maximaler elektronischer Musik: Ein Tool im besten Sinne, kaum Substanz, alles Technik und gutes Finish, zugleich superklar und versaut, wie gute Highs es immer sind. Arrangiert man mehrere Tracks wie diesen zu einer dramaturgisch effektiven Reihe, führen sie in einen positivistischen Zustand reinen Handelns, einen Implementationswahn, der sich wohltuend von Denken und Entwerfen1 unterscheidet.

Ein leichter Eskapismus ist also beteiligt – oder zumindest der Versuch, einer Situation zu entkommen, um woanders wieder handlungsfähig zu werden. Entrance «Perish» (von Clouds, aus dem isolationsbedingt massiv gewachsenen Neurealm-Katalog) passt in dieses Bild: Es ist der gut gelaunte Abstieg in die Gabberunterwelt der Dark Leviathan Krew, wo ohnehin nichts mehr heil ist. Hier kann man atmen und handeln. Der destruktive Charakter ist heiter und freundlich. Er kennt nur ein Ziel: Platz schaffen (Bargeld/Benjamin).

Zum Schluss ist Hold on Tight (in der Version von Nalin & Kane) vielleicht sogar thematisch richtig, auch wenn man für derlei Feinheiten 1997 vermutlich keine Kapazitäten hatte. Wer die Frage, ob und wie man nach neuneinhalb Minuten Break wieder in den dreistesten aller Hooklineriffs zurückkommt, mit einem schlichten Spurwechsel beantwortet, hat entweder keine Zeit, keine Ideen oder Sinn für Effektivität und guten Geschmack. Alles akzeptable Gründe, vielleicht nicht in der Welt, aber hier in dieser Playlist, in der sich das Jahr 2020 bereits als qualmender schwarzer Punkt im Rückspiegel entfernt.


  1. Rastermusik hieß das gemeinhin in den frühen Tagen von WAF GMBH, kaputte Taktarten, um auf die komplizierteste aller denkbaren Weisen zu möglichst einfachen Ergebnissen zu kommen. Wir waren dumm und effizient. 

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