electricgecko

Mai

Die Diskussion über Flash und HTML5, über CSS3 und Frameworks muss geführt werden. Sie ist interessant, unterhaltsam und relevant. Dennoch — ich halte mich auch bei diesem Thema lieber an den Nebenschauplätzen auf. Weil es mich mehr kümmert, was nun anzufangen ist, mit den schönen neuen Werkzeugen. Welche Auswirkungen das vorhandene Set von Tools für Grafikdesign und Nutzerführung im Web hat. Ausnahmsweise also einmal: Pragmatismus.

Schönstes Beispiel, das gerade die Gestalterschulhofrunde macht, ist die neue Website des Inventory Magazine, einer wunderbar gestalteten Publikation über hochwertiges Alltagsequipment. inventorymagazine.com tut genau das Richtige — statt den Look der Zeitschrift für das Web zu kopieren (und dabei an Nutzbarkeit und Stringenz zu scheitern, wie die vorige, Flash-basierte Website), übersetzt sie das Editorial Design in ein anderes Medium.

Bemerkenswert ist besonders die Updates-Sektion, die dank simpel realisierter Variationen innerhalb des Rasters eine Wertigkeit der Gestaltung erreicht, die sich wohltuend von all den Kaugumminterfaces abhebt. Und dazu genügen der flexible Umgang mit Bildformaten, ein wenig Detailtypografie mit Verstand (Marginalien/Bildzeilen) und Spannung im Layout. Man sollte mehr über diese Dinge sprechen. Ein CSS3-Multicolumn wird genau dann interessant, wenn es ein konkretes Gestaltungsproblem löst. Tools follow form follow function, bitteschön.

Oder eben immer wieder, bis es schmerzt: Less but better.

Into entropy

Into Entropy

April

Gutes Timing ist viel Wert. Während in Hamburg Regen und Wind toben, sitze ich im Studio und verrichte harte Gestaltungsarbeit. Scheint dann die Sonne, läuft das Journal im Verlautbarungsmodus und ich liege mit der neuen Fantastic Man auf der Wiese.

Erste Verlautbarung. Ich habe eine Website für Luisa Katharina Davids gestaltet. Luisa ist Schauspielerin, spielt an der Volksbühne in Wien, an verschiedenen Häusern in Berlin und hin und wieder auch im Fernsehen. Darüber hinaus ist sie eine ganz zauberhafte Person.

Statt eines Briefings hat mir Luisa bei unserem Treffen im Anna Blume einen großen Stapel sehr guter Fotos auf den marmorierten Tisch gelegt — alle viel zu gut, um sie nicht formatfüllend zu verwenden. Der Rest sind einige Zeilen HTML5, ihr Name in Avant Garde Ultralight und etwas JavaScript für Fades und Fotogalerie. Presto.

Hidden — Ausstellung von Sarah Bernhard

Sarah stellt Fotos aus. Aus Shanghai und von anderen Orten, von Gesichtern und Räumen. In Hamburg, in meiner Nachbarschaft. Im ehemaligen Michaelis-Krankenhaus findet der etwas sperrig betitelte Kongress für Anders statt, der Kunst, Gestaltung, Literatur und Bier unter einem Dach versammelt. Die Literatur vertritt unter anderem Lisa, die am Mittwoch (dem 28.) aus ihrem wundervollen Roman Und im Zweifel für dich selbst vorlesen wird. Eine sehr gute Veranstaltung mit mindestens zwei sehr guten Menschen. Unbedingte Hingehempfehlung.

Cover: Die Seele des Menschen unter Superpunk

Im Juni erscheint eine Platte, die ihre Komplexität, die Zerwürfnisse und Schönheit nicht an der Oberfläche trägt, wie es zum Beispiel das aktuelle Album von Pantha du Prince tut. Sie wird es ihren Hörerinnen und Hörern schwer machen, ihre Bedeutung und ihr Gewicht zu bemerken. Sie wird als Sommerplatte in den Handschuhfächern alter Autos liegen, gebrannt auf einen billigen Rohling vom Discounter. Viele werden grinsen müssen, wenn sie die Band zum ersten Mal hören, weil alles so ungewohnt und lustig klingt. Die Seele des Menschen unter Superpunk wird wieder so tun, als sei sie alles außer dem, was sie wirklich ist: eine ernst gemeinte, großartige Soulplatte. Auch das fünfte Album dieser magischen Gruppe wird mich wieder glücklicher machen als viele, viele andere Dinge in diesem Jahr.

  • Superpunk — Die Seele des Menschen unter Superpunk. 4. Juni 2010, LP & CD, Tapete.

Entgegen meiner Gewohnheit werde ich in diesem Jahr zwei mal das Konferenzparkett betreten. In der nächsten Woche lädt die vom Familientreffen zum Festival samt Tagsthemenbeitrag angeschwollene re:publica alles und jeden nach Berlin. Menschen, die das Web vollschreiben, solche, die an Frameworks und Libraries bauen und auch einige, die seine Oberflächen bestimmen. Wie im letzten Jahr werde ich anwesend sein, mich über Gesichter zu den Pseudonymen freuen und ansonsten mal sehen, wie sich die Sache mit der Selbstreferenzialität entwickelt hat. Insgeheim hoffe ich auf ähnlich Brillantes wie den Beitrag von Peter Glaser im vergangenen Jahr.

Einige Wochen später warten dann Paris und die OFFF mit einem stärker visuell orientierten Programm auf Alex, Claudine, Fabian, mich und etwa zehntausend andere. Neben der Woche in Paris an sich freue ich mich besonders auf zwei meiner Helden (Non Format) und die Gang von Universal Everything.

Für beide Veranstaltungen gilt selbstverständlich auf allen Fluren und Panels die alte Konferenzetikette des gegenseitigen Heey, bistdunicht?/Jawhoacoolfreutmich! Ich freu‘ mich schon jetzt auf High Fives und geteilte Club Mate.

Ich musste zwar erst nach München reisen und mich dort vom freundlichen Angestellten des Zeitschriftenladens am Flughafen belustigt anschauen lassen — aber dafür besitze ich jetzt zwei Exemplare (eins bekommt Sarah) der Erstausgabe des neuen Magazins von Jop van Bennekom und Gert Jonkers. The Gentlewoman allein wäre die Reise zwar nicht wert gewesen, hat aber den Rückflug deutlich an Qualität gewinnen lassen.
The Gentlewoman, Doppelseite

Wie zu erwarten war, ist die neue Publikation der Macher des nach wie vor besten Magazins überhaupt eine Freude in Inhalt und Form. Gegenüber der Vorschau in Fantastic Man Nummer 10 wurde die Gestaltung noch ein Stück reduziert: simples Raster, große Schriftgrade, Spannung ergibt sich einzig zwischen Fotografie und Typografie. Über die Wortmarke habe ich mich ja bereits anderer Stelle ausführlich gefreut.

The Gentlewoman ist ein straightes, erwachsenes und wunderschönes Magazin über Frauen. Gefällt außerordentlich.

Fotos von Cover und Innenseiten gibt es bei Flickr.

März

Die eigene Lieblingswebapplikation ist kein Thema für das man auf Partys zwischen Hamburg und München mit Sondersexynesspunkten rechnen darf. Aber da das hier glücklicherweise immer noch keine Party ist, sondern ein karges Schreibzimmer, setze ich mich kurz damit auseinander. Die Kurve zum alten Popkulturgestöhne bekomme ich dann bestimmt gen Ende des Textes wieder. Also.

In den vergangenen zwei Jahren war Dopplr meine liebste Applikation — weil sie so eine schöne Oberfläche hat und einen angenehmen mittleren Grad der Sinnhaftigkeit aufweist. In diesem Jahr hat ihr Soundcloud vollends den Rang abgelaufen. Ausnahmsweise nicht aus formalen Gründen, sondern weil Soundcloud den Umgang und Zugang zu Musik signifikant verändert.

Das hat zum einen mit der Mechanik der Plattform zu tun. Soundcloud ist kein Ort der Selbstrepräsentation für Künstler und Labels (wie es damals MySpace war), jedenfalls sofern sie über die Musik und ihre Diskussion hinausreicht. Die wichtigsten visuellen Elemente der Seite sind folgerichtig die überdimensionierten Waveforms aller Tracks und Soundfiles. Das hier ist zum anhören, nicht zum ansehen.

Die Freude an Soundcloud liegt darum auch nicht in der Bedienung, sondern im konstanten Strom wunderbarer Musik, die jeden Tag im Dashboard auftaucht — vorausgesetzt man folgt einigen geeigneten (~ geschmackssicheren) Mitgliedern. Dank des Following-Prinzips handelt es sich dabei nicht nur um Uploads, sondern auch um eine Menge Favourites und Kommentare. Diese starke Gewichtung persönlicher Vorlieben ist eine schöne Sache und eine wohltuende Alternative zur Abhängigkeit vom Most-Popular-Unsinn, wie er sonst nahezu überall Usus ist. I’m looking your way, Flickr, Tumblr and YouTube.

Um das alles zu belegen und zumindest ein Quäntchen Nutzerwert in diesen Text zu schummeln: flugs einige Schönheiten aus der Cloud:

  • Rave Club Köln, 1989 (Link)
    Ein House/HipHop/Detroit-Set von Claus Bachor aus dem Rave Club in Köln von 1989, aka der Zeit als Subkultur noch ein Singular war. Bei Weitem nicht nur aus archivarischen Gründen interessant.
  • Ja, Panik — Paris (Link)
    Zu Ja, Panik, der wichtigsten Gitarrenband der letzten zwei Jahre, muss man nichts mehr sagen. Ihr Hans-Unstern-Cover Paris gab es zuerst bei Soundcloud (inzwischen auch als 7″ bei Hanseplatte).
  • Jose James — Blackmagic (Joy Orbison Recreation) (Link)
    Joy Orbison ist all over the place, nach wie vor. Und eben auch bei Soundcloud. Unbedingt mit Kopfhörern hören, ohne die ganz tiefen Basslines ist es nur der halbe Spaß.
  • Pantha du Prince — Stick to my Side (Four Tet Version) (Link)
    Wenn der Urheber der einen besten Platte des halben Jahres (Kieran Hebden/Four Tet) einen der besten Tracks der anderen besten Platte des halben Jahres (Black Noise) remixed, kann das nur funktionieren. Tut es auch.
  • Move D (Link)
    Das Soundcloud-Profil von Move D ist mehr als sein großer Name. Sondern eine kleine Sammlung sehr guter Sets des letzten Jahres.
  • Christian Löffler — A Hundred Lights (Link)
    Christians Name gehört auf jede gute Setlist; zum Beispiel in Form dieses wunderbaren Tracks. Auf seinem Soundcloud-Profil gibt es außerdem seine letzten beiden EPs (Heights und Raise) vollständig zu hören. Außerdem lohnenswert: Der Blick in seine Faves.

Für ergänzende Hinweise und haltlose Kritik zu und an dieser Liste bin ich euch jetzt schon dankbar. Mehr Solches und ganz Anderes gibt es übrigens bei meinen Favourites. Zu meinen bescheidenen eigenen Musiksachen (wie das Rainfall-Tape und hoffentlich bald noch mehr) bitte hier entlang: soundcloud.com/electricgecko.

Februar

Der Winter ist schlecht für die Reaktionsgeschwindigkeit. Und nachdem diese Website recht exoterm ins neue Jahr gekommen ist, folgte darauf bislang nicht viel. Das ärgert mich, wäre aber schlimmer, wenn nicht so viel Schönes in der Warteschlange an die Oberfläche wäre. Es folgt in den nächsten Tagen und Wochen, wenn das Eis schmilzt und die Betonflächen wieder in der Sonne glitzern. Bis dahin schon einmal dieses:

Ich habe ein Plakat beigetragen, für die aktuelle Ausgabe des kleinen, aber schönen Batterie-Magazin. Die Ausgabe 19 erscheint als Loseblattsammlung mit 12 Plakaten im Plotdruck auf dünnem Tonpapier in drei verschiedenen Farben. Das Thema ist Leere/Emptiness. Ich habe die Einladung zum Anlass genommen, mich an meinem aktuellen Lieblingsbegriff Void abzuarbeiten. Das Poster enthält sechs Definitionen des Begriffs von Popkultur bis Astrophysik sowie den folgenden Text.

rely on context rather than relativity, on situated objecticity rather than unicersal objecticity, and on the creation of meaning through play between constructions of informational pattern and reductions to randomness of on-off switches, which are the foundation of digital binary systems.

Entschuldigung, ich konnte nicht anders.


Das schöne Gefühl leerer Ausstellungsräume (bevor die Exponate geliefert werden); verstanden als Einrichtungsmaxime.

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