electricgecko

März

Dass der seit Langem zum Bureau angewachsene Gestalter Mario Lombardo konsequent herausragende, manchmal atemberaubende Arbeit abliefert, ist nicht neu. Seine jahrelange Art Direktion für Spex, zwei herrliche Plattencover und diverse Tourplakate für die Gruppe Fotos, weitere Cover und Artworks für das inzwischen verloren gegangene Label Labels und zuletzt die Liebling – diese Dinge sind Dokumente eines visuellen Status Quo, das Mario Lombardo erst aus Köln, dann aus Berlin maßgeblich mitbestimmt hat.

Man durfte erwarten – oder zumindest hoffen – dass das Bureau wie viele andere Editorial-Designer am Web dauerhaft scheitert. Dem ist nicht so. Die neue Präsenz des, Achtung, Bielefelder Kunstvereins ist eine der wenigen Websites, die sich extrem hochwertig anfühlen und gleichzeitig dem ärgerlichen Plastikzuckergussmainstream zeitgenössischen Webdesigns widersetzen. Dass die Plakate ebenfalls ganz wunderbar sind, ist naheliegend.

Die Gestaltung tut alles, was eine Website dieser Art tun sollte. Sie erzeugt große visuelle Spannung. Sie ist so simpel wie möglich. Sie findet die einfachste und schönste Lösung für ihre Layoutfragen, wie der Umgang mit Fotografien in den Bereichen Ausstellungen und Institution beweist.

Das Video-Interview mit Mario Lombardo im Folge Mag ist zwar schon etwas älter, aber immer wieder mit Gewinn anzusehen. Der sehr gute Titel dieses Eintrags ist von der alten Website des Bureau gestohlen.

Wir sollten alle die MARK lesen. Wir sind keine Architekten, jedenfalls nicht im engeren Sinne. Doch MARK, der Architektur-Ableger der Frame, bietet so viele Ecken und Kanten, dass sich die Auseinandersetzung aus jeder Perspektive lohnt. Zuerst: Die Gestaltung gehört zum Besten, was momentan auf dem europäischen Zeitschriftenmarkt zu bekommen ist, spielt also in einer Liga mit Fantastic Man, Apartamento und Neue Mode Magazine. Vielleicht ist sie sogar besser als diese Titel, weil sie anspruchsvollere Designaufgaben (will sagen: keine Modestrecken) mit unorthodoxeren Methoden auf spannende Weise löst. Doppelseite der aktuellen Mark

Zweitens: Die Breite der Themen und Perspektiven ist eine einzige Freude. Wie von den Damen und Herren in den schwarzen Rollkragen gewohnt, setzen sich die Inhalte zu gleichen Teilen aus ästhetischen Auseinandersetzungen mit Gegenwart und Zukunft, Architekturshowcases, sozialgeographischen Reportagen und haltloser Fabuliererei zusammen. Das ist eine sehr angenehme Mischung. Für den perfekten Sonntag fehlen dazu eigentlich nur noch ein Barcelona Chair und die notwendige Brille. Die Moderne rettet ihre Kinder. Und bis es so weit ist hat sie wenigstens etwas Vernünftiges zu Lesen für uns.

MARK – Another Architecture, circa 200 Seiten, Mark Publishers, 19.95 €.

Januar

Speaking of Human Empire: das sympathischste aller Gestaltungskonglomerate veranstaltet momentan in seinen hamburger Geschäftsräumen eine kleine Ausstellung mit Großplakaten aus der Schweiz von 1955 bis 1965. Am Samstag habe ich mich kurz bei der Vernissage umgesehen.

Was auffällt: nicht alle schweizer Plakate der 50er sehen nach International Typographic Style und Müller-Brockmann aus (also etwa so). Selbstverständlich verwenden auch die ausgestellten Poster ein Raster und die Akzidenz und Helvetica Bold in ausreichender Menge – im Mittelpunkt stehen aber ganz klar freundliche, grafische Tiermotive und allerlei sympathietragende Maskottchen (Abbildung eins). Sie sind auf eine gute und unschuldige Art simpel und farbenfroh. Nicht einmal solche Adjektive gibt es ja heute noch. Außer in Beschreibungen der Arbeiten von Human Empire. Freundliche, offene Gestaltung ohne postmoderne Arglist, wie man sie von Morr-Music-Platten und T-Shirts guter Menschen kennt. Insofern dürfte die Ausstellung auch ein Knicks vor den eigenen Helden sein.

Zur Eröffnung der Ausstellung gab es angemessenerweise Fetenleckereien nach Rezepten der 50er: Käsespieße, Eierfliegenpilze und Gurkenboote mit Schinkensegel und Fleischsalatbesatzung (Abbildung zwei). In der Bartelsstraße gab es dazu noch einen flugs improvisierten Gelben Engel, ein herausragendes Partygetränk der fünfziger, bestehend zu gleichen Teilen aus Eierlikör und Zitronenlimo. Die Plakate haben mir aber sehr gut gefallen.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 18. April.

Ich verfolge das Tun des Kevin Hamann schon eine Weile. Früher hatte er mal keinen Bart und eine hinreißend verbastelte Website, auf der er unter seinem Nom de Guerre – erst Tom Bola, dann Click Click Decker – kratzige Tapes produziert und in die Welt versendet hat. In Münster hat er zu der Zeit einmal im halben Jahr sehr allein mit einer Gitarre auf einer überdimensionierten Bühne gestanden. Dort hat er seine Lieder gesungen, geschrieen und rumgelärmt. Das hat mir gut gefallen. Irgendwann kam dann die Nichts für Ungut. Die hatte ein gestaltetes Cover und klang produziert. Click Click Decker war eine Band geworden. Mit der durfte er sich die Kuschelbühne der Luna Bar teilen, um ein lautes, volles, hinreißendes Konzert zu spielen. Das hat mir außerordentlich gut gefallen.

Ende des Monats erscheint eine neue Platte der Gruppe Click Click Decker. Das ist wichtig, weil es sich mit ein wenig Glück um ein Album in deutscher Sprache handelt, das man nicht nur anhören mag, sondern dem man zuhören möchte.1 Das ist außerdem wichtig, weil Human Empire ein Cover gestaltetet haben, dass das verlorene Bildbandgenre Tierbuch im beigen Einband wieder auf die visuelle Agenda setzt; unterschnittene Modern 20, entsättigte Tierschnipsel, einhundert Punkte. Liebevolle Gestaltung für liebevolle Musik.


  1. Das schaffen sonst ja nur Superpunk, Turbostaat, 1000 Robota und Tocotronic. 

Dezember

Wie es hier aussieht! Ja, aussehen tut es, und zwar anders als vorher. Ich sollte das erklären. Als ich die letzte Version von electricgecko.de im Sommer vom Netz genommen habe, war es vor allem die starre Formatierung als Weblog, die mich gestört hat. Längere Texte sahen gut aus, alles Andere war mehr Behelf und Fensterkitt. Diese Version ist eine Weiterentwicklung der letzten, sie ist in einiger Hinsicht die konsequentere Umsetzung einer ähnlichen Herangehensweise: Struktur, Kopf und Fuß der Seite sind (natürlich) aus ähnlichen Elementen aufgebaut. Allerdings verzichte ich ausnahmslos auf Dekoration. Keine schönen Bilder, keine Tapetenmuster, keine Schnörkel, nichts dergleichen. Einzig der Inhalt darf funkeln und blitzen, und zwar nicht nur als Inhalt, sondern auch in seiner Präsentation.

Aus meinem Ärger über mein altes Journal hat sich schnell die Idee für die neue Version ergeben. Der Content soll flexibler, interessanter und angemessener präsentiert werden. Das ist nicht mehr als das Prinzip klassischen Editorial Designs; erzähle eine Geschichte durch strukturierende Gestaltung und konsistente Organisation von Informationen. Dieses Vorhaben stellt sich im Web ohne luxuriöse Möglichkeiten hinsichtlich Typografie, Raum und Präzision deutlich schwieriger dar. Schlimmer: Regelmäßig aktualisierte Websites (~ Weblogs) formatieren ihre Beiträge in der Regel nach einem festen Schema. Diese Form der Serienproduktion zu umgehen, ist schwer – zumindest, wenn man nicht wie Jason Santa Maria jedem Eintrag eine eigene Art Direktion angedeihen lassen will (die in seinem Fall kontinuierlich unfassbar gut ist).

Solche Ambitionen hege ich nicht. Trotzdem habe ich nach einem Weg gesucht, verschiedene Textsorten und unterschiedliche Arten von Fotos auf die ihnen angemessene Art zu zeigen – eine Sache, die ich an Tumblr sehr schätze. Um eine für WordPress handlebare und visuell ansprechende Methode zu finden, habe ich zunächst einmal diverse Notizbücher haltlos vollgeschrieben. Anschließend eingesehen, dass es so nicht geht, mich einen Spätsommersonntag lang hingesetzt und ein einfaches Gestaltungsraster entwickelt. Der große Hype um rasterbasiertes Webdesign ist ja inzwischen durch1, so dass man sich statt um How-Tos und hochglänzende Fertigframeworks nun endlich wieder um seinen Zweck und den praktischen Einsatz kümmern darf. Das neue Raster setze ich auf allen Unterseiten konsequent ein. Für das Journal bedeutet das: es gibt vier Layouts für verschiedene Inhalte, die die Optionen des Rasters jeweils unterschiedlich nutzen. Jetzt, zum Launch, sind drei dieser Layouts auf der Startseite zu sehen.

Mir ist bewusst, dass das Ergebnis des Redesigns visuelle Ecken und Kanten hat und in manchen Punkten vielleicht sogar kontraintuitiv ist. Ich habe lange versucht, diese Dinge besser auszubalancieren. Jeweils mit dem Ergebnis, dass mir der Look danach nicht mehr gefallen hat, weil er an Entschlossenheit und Spannung verloren hatte. Also bleibt es, wie ich es mag: kantig und vertrackt und simpel. Mit electricgecko.de halte ich es wie der Pudel Club an der Theke: Es gibt was es gibt.

Was es gibt:

  • Eine Seite für Projekte, die zu gleichen Teilen mit Ideen, Gestaltung und Programmierung zu tun haben.
  • Andauernd auf unterhaltsame und verwirrende Weise wechselnde Farbschemata. Mehr dazu bald.
  • Monats- und tagbasierte Archivseiten.
  • Kaum erkennbare Metalinks zu jedem Eintrag.
  • Fließtexte in Palatino.
  • Fußnoten.

Was es nicht gibt:

  • Ein Portfolio, weil ich als Inhaber einer Festanstellung momentan nichts herzeigen muss.
  • Eine eigene Seite für Fotos, weil ich im Journal zeige, was gezeigt werden muss und nichts besser funktioniert als Flickr.
  • Support und Bugfixing für den Internet Explorer.

  1. Mit dem Ergebnis, dass jetzt hunderte Seiten aussehen wie Subtraction

Neuere Texte über Gestaltung