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Formative Strukturen

Die Missverständnisse der groben Bauweise: sie sei lebensfeindlich, unproportioniert und abstoßend. Ihren Oberflächen fehle es an Finish, zu Industriell und funktional, als dass hier jemand Freude empfinden könnte. Brutalismus hat einen schlechten Ruf. Seine Bemühungen um Schönheit, einfache Antworten und die Eleganz der Linie machen seinen Kern aus, sie sind konsequent auf die Struktur des Entwurfs gerichtet, nicht auf dessen nachträgliche Verkleidung.

In diesem Sinne hätten Rainer Veil den Titel für ihr zweites1 Release – New Brutalism – nicht treffender wählen können. Denn ihr ästhetischer Entwurf ist konzentrierte Struktur, im Mikro (in den Tracks) wie im Makro (in der Dramturgie der Platte). Auch hier: Grobe Bauweise. Rainer Veil schichten und konfrontieren Parts auf modulhafte Weise, gleichermaßen in sich geschlossen und auf die folgenden Formen verweisend.

Dabei bleibt die Arbeit von Liam Morley und Dan Valentine in allen fünf Tracks einem atmosphärischen Gebiet verbunden, und damit angeschlossen an das große Thema des vergangenen Jahres. Es ist die überproportionale Tiefe des Raumes, die Monumentalität der Fläche, in der die disparaten Vorschläge dieser EP ihr Fundament finden. Das gilt für den sonnenwarmen Beton in Strangers wie für das straighte Amen Break in Three Day Jag, dem ebenso spartanisch2 wie hyperpräzise konstruierten Hit der Platte. Run Out erlaubt schließlich den Weg zurück durch die zuvor passierten Strukturen und gibt den weiten Blick frei – ein Foyer, gewissermaßen.

Fokus, die Abwesenheit jeglicher Ornamentierung, der nicht nachgebende Wille zu struktureller Schönheit. New Brutalism indeed.


  1. Release eins, die deutlich humanistischer geratene Struck EP, ist ebenfalls unbedingt zu empfehlen. 

  2. Ich wähle dieses Wort als unzulänglichen Ersatz für den sehr viel treffenderen englischen Begriff austere

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