electricgecko.de

Welt ist was der Fall ist

Der Gast des Sanatoriums strebt nicht nach Heilung. Er ist auch kein Tourist, auf der Suche nach Eindruck. Er ist ein Reisender, hier, um in seinem Leben Inne zu halten. Sein Platz ist auf der hölzernen Veranda, den Blick durch die unspezifisch heilende Luft den Bergen entgegen gerichtet. Sein Zustand ist die aktive Ruhe vor der Fortsetzung der unbestimmten Reise in unbestimmte Richtung.

Wenn ich an 2023 denken werde, werden da das Meer und die Berge sein. Meine psychologische Versessenheit auf das Räumliche ist unverändert, aber es sind zunehmend natürliche Umgebungen, weniger kultürliche. Landschaft, nicht Architektur. In den Bergen: Hänge aus zermahlenem Obsidian, eine Alp, deren scharfe Zeichnung kilometerweit durch das Tal erkennbar ist. Ein hölzener Pfad führt durch die Wetlands bei Nozawa. Nach dem Abstieg: Das Dorf der verlorenen Skispringer, mit einer Weltraumstation aus Glas und Holz. Am Meer: diese Farbe, die der Himmel nur über dem Meer in der Bucht von Kamakura annimmt. Der Atlantik und seine Felsenufer als beständiger Orientierungspunkt in meinem Leben. Ruhe und Licht auf der Insel, auf der nach Sonnenuntergang niemand lebt, nur wir, gebadet und hungrig.

Das Jahr eine Fortsetzung der Versuche und Reisen des vergangenen, tiefer in unbekanntes Territorium. Restauration, Maintenance, inne halten. Kleidung tragen, die mehr als eine Richtung zulässt, in der ich mir das Neue vorstellen kann. Ich hatte Interesse am Grau des Himmels, dem Grau der Felsen und dem Grau der Meere. The Big Chill: An einem neuen Ort haben wir für eine kurze Weile wieder gemeinsam gelebt. Wir sind nur hier wegen einander, und vielleicht war das hier schon immer unsere Zukunft.

In defense of forgetting: Perhaps when we forfeit these traces to the erosion of time, whatever information is left will be precisely what we were meant to remember.

Ich bin weiterhin nicht daran interessiert, Optionen offen zu halten. Vielleicht fange ich an, sie vorher zu betrachten. Musik aus dem Jahr 2023.

Winter

Frühling

Sommer

Herbst

Winter

Sets

Die Erfindung der Abstraktion

Die Erfindung der Abstraktion vollzieht sich im absichtsvollen Unverständnis des Unterschieds zwischen den Dingen und den Ideen der Dinge. Es erlaubt ein tiefes Verständnis für Wiederholung, Konzentration und die eingehende Wahrhehmung des immer Gleichen: Kompositionen für die Ichigenkin, Drones und Clicks, die Formung eines Astes über Jahre. Die Fähigkeit, in jeder Sache nicht die Sache in Relation zu anderen Sachen, sondern ihr absolutes Ideal zu sehen.

My obsession with language and writing is closely connected to their inherent abstraction, their quiet distance to the things themselves. The subjects of language are not the things themselves, the subjects of language are vectors, pointing to possible common denominators. Between and throughout these vectors lies the great freedom that defines my life: The endless contingency of everything, the option that the universe could be different if you so choose.

We live in a world of references, not in a world of things. At the same time, things are of the utmost importance as the crystallization points that keep our thoughts and words in order: the thing does not matter in absolute terms, but it matters as the endpoint of the vector of language. We cannot talk about anything, we have to establish a relation to the thing, no matter how idiosyncratic and winding: Our freedom remains ordered. It is free from chaos and free from one-dimensionality. This is tremendously calming.

Ich sehe Hokoku-ji und ich verstehe alle Komponenten des Gartens genau, mir sind die Bedingungen seines Entstehens bewusst. Die Schönheit trifft mich ungebremst, ich kann sie nicht fassen, sie übersteigt meine Kapazität. Die Gesamtheit des menschlichen Verständnisses, das über Jahrhunderte konzentriert notwendig gewesen ist, um diesen Ort hervorzubringen: Zeit, Zurückhaltung, Abstraktionsvermögen, Konzentration, Eigensinnigkeit. Dieser Garten ist eine Aussage über die Welt: Hier, alles. Nichts ist jemals egal.

Aus meiner Festung

Ich habe hier wenig veröffentlicht, in diesem Jahr. Solche Zeiten sind drei oder vier Mal vorgekommen, seit ich diese Publikation 2004 begann. Meist bedeutet es, dass meine Gedanken nicht mehr in die Form dieses Ortes passen, dass ich keine Texte schreiben möchte, die dann hier so aussehen. In diesen Momenten hat sich die Gestaltung dieser Website verändert, sie passte sich Hamburg an und wurde gedämpft als ich aus Japan zurückkehrte, gesperrte Arial auf dunklem Grund. Diese siebte Version ist einfach und präsent. Es ist seit längerem Zeit für eine neue Form, aber sie existiert noch nicht.

In diesem Fall bedeutet die Pause auch, dass ich lerne, mich meiner Sucht nach Disziplin weniger konsequent zu unterwerfen, sie mir zu Diensten zu machen. Schreiben nicht aus Verantwortung vor freitragenden Prinzipien, sondern schreiben weil ich will. Es gibt viele Texte aus diesem Jahr – aber ich habe geringeres Interesse am ausgearbeiteten Resultat, nach dem die aktuelle Form dieser Website verlangt.

Mir ist bewusst, dass ich mir das alles nur einbilde und ausdenke. Es gibt keine Gründe und ich trage keine Verantwortung. Dieser Ort ist frei, der Veränderung Gestalt zu geben. In kurzer Zeit.

Ein besseres Nichts

Die Musik des Jahres folgte den Reisen des Jahres, über große Distanzen hinweg und auch durch die eigenen Viertel, wo bekannte Ideen eng aufgespult liegen. Auf der Reise bewegt sich die Welt schnell oder langsam vorbei. Die Musik legt sich darüber, es entsteht ein Anlass zu Auseinandersetzung. In diesem Fall ist eine Platte keine Platte, sondern eine Kombination aus Energie und Richtung oder Kraft und Weg, eine Strategie um Gedanken zu machen: Die Gier nach Irritation, um endlich Neues aus dem Nichts in die Welt zu zerren.

Ich habe vieles über und zu Musik aufgeschrieben in diesem Jahr, aber weniges davon veröffentlicht. Einiges ist wohl in die Arbeit geflossen oder wurde anderweitig entzündet und in Energie umgewandelt. Viel Material wartet ab, auf Zeit oder die passende Form.

Ich kann fünf bedeutsame Platten für das Jahr 2023 nennen: Die wichtigste ist noch nicht erschienen, sie steht für sich und mindestens ebenso für den Prozess ihrer Genese. Die anderen vier Alben teilen sich auf in die Gegenpole Abstraktion und Pop, wie immer nicht ganz ein Mensch, nicht ganz etwas anderes.

Auf der Shortlist: Ryoji Ikeda – Ultratronics, Sam Kerridge – Kick to Kill, V/A – Aestivation, Lee Gamble – Models, Ben Kaczor – Petrovo Uho, Tzusing – 绿帽 Green Hat, 9MS – II, ASA – Radial, Dimitris Petsetakis – On Shores, Vril – Animist, Purelink – Signs, Ital Tek – Timeproof


  1. Das ganze war natürlich Teil des Supporterprojekts der Neubauten, das Erin Zhu in den frühen Zweitausendern erfunden hat. 2001 stand ich mit Michael in irgendeinem Keller, und er erklärte mir das alles, und warum das wichtig ist und dass es Pop in Reinform sei und dass man Blixa zuhören müsse. Ich glaubte ihm nicht recht, obwohl er mein Freund war, und erst viel später, nachdem ich mich durch Schichten anderer Musik gearbeitet hatte, verstand ich alles. Michael, du hattest recht und du wusstest mehr als ich. 

  2. Eine Rampe, im Vokabular der Gruppe, ist eine Improvisation, die live gespielt wird, und die verschiedene Aufgaben an die Mitglieder verteilt. Zuweilen basierend auf Dave, zuweilen ganz anders. 

Yu

Ich badete in einem Onsen im dreizehnten Stock. Das Becken war breit und kurz, rechteckig, und ganz aus dunkelgrauen Granitplatten gemacht, dieser Mikroterrazzo, den es hier überall gibt und sonst nirgends. Eine Liege war daraus geformt, die geometrische Ableitung eines menschlichen Körpers. Auf dieser Liege liegend erweitert folgt der Blick der Oberfläche des dampfenden Wassers durch Glas, und dann durch ein weiteres Glas der Sicherheitsscheibe bis zu den fünf Gipfeln der japanischen Alpen. Über Norikura-dake lagen Wolken, die sein oberes Viertel verhüllten. Im Dampf des Bades schienen sich die Wolkenformationen nicht zu bewegen, doch nach einigen Minuten hatten sie eine neue Form angenommen: eine breite Auftürmung hatte sich in zwei Säulen gespalten. Einen Moment später waren sie offenbar die Hänge hinabgerollt und im Begriff zu verfliegen. Als ein neuer Schwall heißes Wasser aus dem stumpf trapezförmigen auslass in das becken strömt, hat sich über dem Gipfel wiederum eine breite, weiße, dichte schicht gebildet. Als das Becken wieder still liegt, ist das Bild anders, ohne dass der Übergang wahrnehmbar gewesen wäre. Die verbindung zwischen dem Bad und dem Berg und den Wolken schien mir unmittelbar und untrennbar. Wasser, Glas, Stadt, Berg.

I bathed in an onsen we had to ourselves. It was a pond made from rocks to resemble an impossibly perfect natural arrangement. Hot spring water dispersed across soft-angled stone beds. It reached multiple ideal temperatures in differently shaped basins, all connected, some following the curve of human bodies. This onsen had a door that one is told to lock from the inside. Its stools were made of clear plexiglass, as were the bowls. The time was limited to 45 minutes. It was enough time to ponder the shape of one large rock placed in the adjacent garden, the way moss patterned its surface, the way an acorn branch threw star-shaped shade onto it, and how the stream far below us sounded like soft white noise that was close, not a roar that was far away.

I bathed in an onsen, with an old man. The water was very cold. I had chosen to skip the hot basin, as it was a hot summer day at the ski resort. Water poured over my head, over my back, over my chest and over my legs, in wide swells from bamboo boxes. I looked at myself in the mirror, out of place in mirror-world. After the bath, the day went astray.

I bathed in an onsen on a small island, its basins made from granite slabs, its walls covered in small square tiles. Everything was uniformly grey. Its wooden ceiling was high and mostly invisible, steam clouds had formed. Four precise, slim LED lights were suspended from the clouds, its black fixtures invisible. The lights were four lines, dividing space into thirds. A grid of light, more sensed than seen. Of the four stone basins, two had water jets. One was still and hot, one was cold. Everything was modern, and warm and moody and familiar, like the public onsen of an Ikebukuro side street corner to its patrons, interior and personell forever unchanged. It may have been the steady, softly pitched drip drip drip of water creating the impression.

I bathed in an onsen by the side of a creek, soft mountains intersecting in some distance. I stood up to them in the temperate water. I did not face them, I vanished in their vastness. Later, in the dressing room, the speakers were singing a love song swelling to epic heights. An old man entered, washing towel on his head. He removed the towel and got dressed in white briefs and a small pair of blue jeans. I lowered my head and looked past him, pointedly. Straight ahead, glass doors led to the white-tiled washing area, circular wall-mounted neon lights and square mirrors, sculptures of plastic stools and washing bowls arranged in front of each one. Another old man entered, humming. Age facing mountain and men, unfazed, in generosity and silence.

Ich badete in einem Onsen, es war am Boden ein Schachtes. Sein Wasser war salzig und das Bad dunkel, nur durch indirektes Licht Richtung Boden erhellt. Vorne, im Waschraum, standen Utensilien aus unbehandeltem Holz, ebenso die Wände. Eine digitale Anzeige zeigte dort 41.7 in roten Segmentzahlen. Draußen, hoch über mir war der Himmel, ein fahles Rechteck the color of television, tuned to a dead channel. Von dort hinunter war Tokyo zu hören, ferne Autos, actual Chiba. Wenige Tropfen Regen fielen mir entgegen, und hin und wieder verfing sich ein warmer wind zwischen Himmel, mir und der Wasseroberfläche – irgend etwas mit Luftdruck und Energieerhaltungssatz. Ich hielt den Atem an, eine Balance hatte sich für einen Augenblick eingestellt, alle Kräfte hoben sich auf.

Ältere Texte zum Thema Basic