Ich kann mich an manche perfekte Tage erinnern, als vollkommene Rhythmen von Raum und Perspektive, Tage, deren Licht anhält. Der 21. März meines sechsunddreißigsten Jahres war ein solcher Tag.
Ich kann mich an manche perfekte Tage erinnern, als vollkommene Rhythmen von Raum und Perspektive, Tage, deren Licht anhält. Der 21. März meines sechsunddreißigsten Jahres war ein solcher Tag.
In my life, in moments of clarity, in moments of being close to myself, the world has felt abstracted, foreign and incompatible. In these moments, I have felt akin to the patterns of eroded signage paint on tar, to the shapes of the clouds, to insects resting on a sun-basked leaf. I have felt disconnected, yet at home in the cracks and ends, at home inscribed into the patterns, nowhere to be found but somehow. (010717)
Dieses Jahr hat in Los Angeles begonnen, nachdem die ersten beiden Monate in einer Art Druckwelle an mir vorbeigezogen waren, nachdem WAF GMBH ihre Existenz rechtsgültig begonnen hatte. Es war eine Rückkehr an einen Ort, den ich während meiner vorigen Besuche nicht verstand, aber mich stets fasziniert zurückließ. Das fundamentale Versagen dieser Stadt, eine Stadt zu sein1, ihre psychotische Dunkelheit, die Geometrie ihrer Schatten im immerzu perfekten Licht – mein Versuch, eine Perspektive auf Los Angeles zu finden hält an und findet inzwischen in einem Are.na-Channel statt: Parsing L.A..
Seit meiner Rückkehr habe habe ich nicht aufgehört, über diese projizierte Stadt und ihre Orte nachzudenken. Ebenso habe ich nicht aufgehört, Boy Harsher zu hören. Die dunkle Campyness des Projekts aus (enttäuschenderweise) Massachusetts fließt gleichermaßen in den schwarzen Sonnenschein, der so spezifisch für Los Angeles ist. Diese Musik füllt Industriebrachen und flutet die mit 20 Meilen pro Stunde vorbeiziehenden leeren weißen Kuben, die Gebäude sein sollen. Wie so vieles in den Vereinigten Staaten ist sie eine Rekonstruktion europäischer Affekte mit amerikanischen Mitteln. Wie so vieles in Los Angeles speist sich ihre Anziehungskraft aus eben dieser monumentalen Fakeness.
Ich habe die Alben und LPs von Boy Harsher mehr gehört als viele andere Musik in diesem Jahr. Los Angeles blieb und die Stimmung blieb und die Erinnerung an das Licht und die Menschen blieb. Es ist schwer, sich der Sleaziness zu erwehren, dem Eingeständnis einiger Kaputtheit und der Weite und Freiheit, die von dieser Musik ausgeht. Das hat viel mit Jae Matthews‘ Gesang zu tun, geschult an der Attitüde und Anziehungskraft der europäischen Goths (Siouxsie Sioux, Anja Huwe, man muss die richtigen YouTube-Videos kennen).
Motion, Westerners und Morphine (ey, diese Titel) haben mich durch einige Härten halluziniert, als Narrative einer Welt, die es nur ausgedacht gibt, und halt in Los Angeles, wo alles erfunden ist. Es ist großartige Musik, wie L.A. eine großartige Stadt ist, wie es nichts sharperes gibt als eine Truckerjacke aus gewachstem Twill im richtigen Licht.
Boy Harsher wurden zum Kristallisationspunkt meiner Beach Goth-Playlist, vermutlich der reinste Ausdruck meiner Lust an brachial doofer Affirmation, zu der ich in diesem Jahr gefunden habe. Diese Playlist bedeutet mir viel – ebenso wie Los Angeles und meine Perspektiven in der Stadt, denen Boy Harsher Raum und Permanenz in 2019 gegeben haben, auch auf dem kalten Boden der Tatsachen zum Ende der Dekade.
There was a moment among the abstract government buildings. I was very tired, the mournful groove of Boy Harsher oozing from my wireless earpiece, an electric scooter zooming past. I realized where I was, which world, how far I had walked. Let’s save this particular now.
(Berlin, September 2019)
Traversing the airspace above L.A. and the valley beyond makes the vastness of this country apparent. It is, fundamentally, still the far west, unclaimed nature, emptied of its original inhabitants, painted with a thin layer of civilisation and semi-permanent architecture. Were the people settling here to leave, it would turn full western-trope ghost town of monumental dimensions. ↩
I am not sure on which mental or metaphysical level this kind of disassociation occurs. It may be beyond the biological firmware, in the sense that systems of perception are recording everything with ultimate precision, in a kind of sensory equivalent to raw sensor output. It is not fully processed, as the cognitive system occupies itself elsewhere, with more pressing (and de-pressing) matters. But the data of every moment exists, and we exist in it.
Now, the thing to be learned is to re-associate again, to solely be in the moment. To let the sensory data wash through all of our being, and fill everything with the wonder of the phrase I am Here. To understand and negotiate being there (implying the ontological separation from the world) and being here (implying oneness of perceiving and existing).
The coordination between hues of orange of about 24 vintage Polyside Chairs arranged around square plastic tables, four oversized umbrellas advertising SION KÖLSCH and the swooping letterforms so tastefully deployed to the menu headers of Café Hallmackenreuther is ever so slightly off, and thus achieves a kind of perfection any Pantone folder would ruin. The palette is positively exciting, reframing the scenery as an episode of quintessential 1973ish West-Germanness.
A table over, one of the quarter’s apparent doyens is holding court. With white-bearded smiles, patrons, strangers and acquaintances passing the square are waved over – while multiple magazines, tiny glasses of white wine and an eager young labrador keep being miraculously juggled. „Flat white, in a cup“ is the order, which is swiftly downed upon arrival.
Beyond the leafy courtyard, the café itself has opened its glass front, providing ample space to bustle about for a pair of stewards that tends to the crowd reclined in polyethylene. One is green-eyed, lanky and bumbling, a shoddy bowler hat hiding strands of streaky blonde hair and yesterday’s night out. His partner – all sagging thrashed denim and big-haired, nose-pierced, crop-topped street cred – is doing a considerably more professional job, inserting some urban eroticism into an otherwise almost pastoral scene. French, Italian and Kölsch are spoken among maple trees, all softly blending in the most pleasant summer air.
Hallmackenreuther, Belgisches Viertel, Cologne.
Hiroshi Sugimoto, Ryoji Ikeda, Rick Owens. L’Opéra national de Paris, 3. Oktober 2019.
I grew up in a small town at the end of a country. There were few people like me. I learned to live inside my head for long weekends and days that failed to make a connection. I left the town the first chance I got. I don’t think about it much, but I still carry the worlds I made there. In a way, I have been cast from that place: its entire opposite, its negative form, but sharing every wrinkle in great detail1.
Ich schrieb diesen Text für Craig Mod’s Ridgeline-Newsletter, der sich mit dem psychologischen Zustand des Gehens auseinandersetzt. Er ist ein Beitrag zur Sektion Fellow Walkers, zu der Craig fragte: What shell have you been torn from?
. Er erschien in #38. ↩
Als ich nach Berlin kam, aus dem Durcheinander meines Lebens in das Durcheinander der Stadt, gab es eine Gruppe, die sich ausnahm in ihrer Ehrlichkeit und Schönheit zwischen all dem Schutt, den Optionen, den Drinks, der Sonne über dem Brunnen vor dem Dom und den Hackeschen Höfen, die damals noch ein Ort waren. The Aim of Design is to Define Space spielten Rock der klang wie Rave, und alles sah besser aus als bei den anderen. Sie sagten was ich damals hören musste. Der Moodboardpop des allzu geradeaus betitelten Depeche Mode wird mich immer an den Besarinplatz erinnern, die Türme des Frankfurter Tors, den Blick auf die Volksbühne aus der S75. Und daran, was wichtig ist (Frisuren und Schuhe).
Im vergangenen Jahr spielten Aim ein Konzert am Schlesischen Tor und nun gibt es neue Musik, eine 12″ und wohl ein Album, ein weiteres Konzert (Dialog mit der Jugend, the grown-ups are tired), das Alex und ich besuchen werden.
Es gibt nun eine neue Geschichte über diese Stadt zu erzählen, gleichermaßen dunkel und perfekt ausgeleuchtet: Aim #@%!$, das erste Release seit elf Jahren, nach der Volksbühne. Das ist alles, 5K-Schranz, Wut, Klugheit, Schönheit, die eigene Sprache, die rasierten Seiten, das tätowierte Herz. 1992, 1994, 1997. Teile von uns waren immer hier.
One might say that everything was better back then. The girls were prettier, the parties wilder and the drugs better. Back then, The Aim of Design is to Define Space was the best band, which was more Berlin than Berlin was the Aim of Design is to Define Space.
Am Ende dann Schulzkys Aimriff, das immer sein muss, auch für mich. Good fucking day, ihr Bauern.
Das Atonal fügte sich auf neue Weise in dieses Jahr. Es gab nichts zu feiern, es gab nichts loszulassen. Es gab die Notwendigkeit von Input und Freiheit, die Notwendigkeit der einzigen Form von Spiritualität zu der ich in der Lage bin1. In einem weiteren Jahr stand ich also mit Hannes und David im Exoskelett des Industriezeitalters, wir tranken Wasser mit Wodka darin und sahen unsere Zukunft vor uns ausgebreitet.
Das Lineup 2019 kam uns entgegen. Viele der Projekte operierten hochkonzentriert, das Programm der Hauptbühne ließ sich ohne Pausen verfolgen. Im Ergeschoss wurde weniger instagramtauglich dekoriert und mehr inszeniert; die Disziplin Tanz ist eine ebenso naheliegende wie richtige Ergänzung für diese Veranstaltung.
Wie bereits vor zwei Jahren bemühte ich mich um Notizen, also darum, festzuhalten, was Raum und Sound mit meiner Kognition taten. Es erscheint mir relevant als Ergänzung der reinen Macht des Atonal im Jahr 2019.
In keiner spezifischen Reihenfolge oder Sprache:
Lee Gamble practises mantis origami and everything is liquified, the concrete carpace of Kraftwerk magically transformed. The ghost of raves past infects every bar Gamble is launching into the cavernous hall, all grooves that have been, resurrected to serve grim new purposes. We are witnessing 1994 being smashed and sliced into shards, made new, assembling crystalline parts of a bygone era into constructs resilient enough to withstand the atmospheric pressure of 2019. Viewed from the right angle with the right mind, shapes become recognizable, sticking out for a second before being re-incorporated into a heaving sonic architecture. The hall is drenched in blood red light. Everything stops.
As Allesandro Cordini is playing, a rift appears in the crowd and I am suddenly free: Bodies move, the crowd converges, both on screen and in physical space. Staub löst sich von allem ab, und irgendwann auf jedem, denke ich, und dann: This isn’t beauty, This is the rest of it. „Es bedeutet mir die Welt, das hier, alles, an diesem Ort in dieser Stadt in diesem Jahr“, sage ich zu David.
Mitra render the world in ice at psychotropic resolution. Like shaping a monument from pink noise, some imaginative somatic architecture made from organic matter, perpetually in the process of melting or freezing, ever transitioning. A 5K temple ruin in the shader world. Far away, a small figure is wailing, draped in light, veiled in concrete. A voice endlessly reverberating. The profound, old beauty of her song is almost too much to bear. I wish it would stop and continue for ever. The particle equalizer as an emitter of architecture is followed by the magic of a repectfully receding virtual camera, as distant dwellings slowly fade out of view.
Soft/hard, coexisting like matter and antimatter, creating perfect stasis. Ich bin hier mit niemandem, ein Haus stürzt ein in perfekter Stille, und darum in Zeitlupe. The silence of walking in empty nights. The silence of imagination. The silence after they stop. The silence after pressing play. Der dringende Wunsch dieser Gruppe, hier und jetzt nicht zu existieren, aufzugehen in konzentrierter Musik. Vor vier jahren schrieb ich über Severe: „Kein Zögern, keine Unsicherheit hier. (…) Klar, präzise, mit überaus hoher Dichte.“ (My Disco)
Über die Performance von Objekt und Ezra Miller schließlich kann ich wenig Kluges sagen, die Notizen sind undeutlich, bereits als ich sie schreibe. Dieses Set ist eine Kata aus Licht und Sound, deren Bewegungen mit jeder Wiederholung an Kraft und Nachdruck gewinnen. Dieses Licht: zumeist in der Horizontalen in das Publikum gerichtet, Licht der zweiten Person Plural: Wir sind die Empfänger, wir sind die Leinwand. Schließlich, der Moment dieser beiden Tage: Das Vocal-Sample und dann Love inna Basement, niemand hier kann es fassen, jede Konzentration explodiert. Für zwanzig Minuten ist hier nichts zu denken, reine Körpersache, ansatzlose Ruhe im Pandämonium. Das große Rave-Versprechen ist wahr (es ist nun genug gedacht worden).
Pablo’s Eye present a performance about weather, visuals sublimating, ever-new suns rising and fading away. There is a generality, an all-encompassing perspective to this performance, that transcends the boundaries of even this venue. „He wondered what new weather she had divined/It was night and the city orange“.
In dieser Hinsicht sind die Nächte im Kraftwerk vergleichbar mit den Tagen in japanischen Gärten: eine Bank, ein Teehaus, eine Kathedrale und die Unfassbarkeit der geformten Umgebung. ↩
Schreiben ist Gestaltung, Schreiben ist ästhetisches Handeln. „Ich betrachte die Methode mit viel mehr Zuneigung als die Ergebnisse“, wie Paul Valéry sagt, und ich stimme zu. Es ist schwer zu leugnen zumal in dieser Publikation. Ich glaube an die Chance, etwas auf Weisen zu sagen, bei denen der Tonfall einen Unterschied macht: Text als Perspektive. Text im weiten Sinne, Text dessen formale Beschaffenheit wesentlicher Grund für Wahrnehmung und Innehalten ist. Poetisches Theoretisieren, zu einem gewissen Grad.
Web Design as architecture ist ein solcher Text. Es ist ein Vorschlag für eine einfache, aber interessante, holistische Perspektive auf die Gestaltung von Websites. Er geht zurück auf meine Unzufriedenheit mit dem Diskurs über digitale Gestaltung. Webdesign als Architektur zu denken, hilft mir zu verstehen, was Gestaltung in diesem Zusammenhang bedeuten kann – und dabei, dieser Disziplin ästhetisch und gesellschaftlich verantwortungsvoll nachzugehen. Es ist der Kern dessen, was wir bei WAF GMBH versuchen.
Ich habe aus diesem Vorschlag eine sehr einfache Website (http://www–arc.com) und einen deutlich komplexeren Are.na-Channel1 gemacht. Beide stießen auf eine gewisse Aufmerksamkeit. Auf Einladung von Grafill2, der norwegischen Assoziation für Grafikdesign habe auf dieser Grundlage einen etwas kohärenteren und weiter führenden Vortrag geschrieben, den ich im Mai in Oslo halten durfte.

Mein Versuch, eine gleichermaßen programmatische wie pragmatische Argumentation für Web Design as architecture vorzuschlagen, hat zumindest meinem Verständnis dieser Idee gedient.
Grafill waren wundervolle Gastgeberinnen und Gastgeber, die Gespräche nach dem Vortrag und nicht zuletzt ein Besuch bei Snøhetta wirken bis heute nach. Auch aus den Gesprächen in Oslo heraus versuche ich, meine Gedanken bei Are.na weiterzuführen. Es gibt eine Literaturliste, und diverse weitere Dinge, die ästhetisch und theoretisch von Bedeutung sind3, in idealen Fällen beides in gleichem Maße.
Ich möchte die Perspektive Web Design as architecture weiter denken, die zugehörige Website weiter entwickeln und eine ausgearbeitete Form des Vortrags für die kommende Konferenzsaison vorbereiten. Hinweise für passende Kontexte nehme ich gern – ebenso wie Diskurs, Kritik und Input. Are.na ist die geeignete Plattform für all dieses.
Weiterhin meine liebste digitale Plattform für einige der spannenderen Anwendungen des Internets, ich habe das im vergangenen Jahr aufgeschrieben. ↩
Diese Einladung bedeutet mir viel – ich verfolge Grafill und das angeschlossenne Visuelt-Festival seit vielen Jahren; im Grunde seit Non-Format als Protagonisten und Gestalter diese Plattformen maßgeblich geprägt haben. Non-Format haben mir viel über Grafikdesign beigebracht, nicht zuletzt hinsichtlich der Verhältnisse von Raum und Masse in visueller Gestaltung. Full Circle. ↩
Beispielsweise: referenzierte Websites, referenzierte Bauwerke und bessere, kompaktere Formulierungen als solche, zu denen ich fähig bin. ↩