electricgecko

September

Over and Out — Einladung

Gestaltung für Kunstveranstaltungen zu machen ist besonders schön. Einerseits herrscht Verständnis für Irritierendes und Interessantes. Andererseits ist die Rolle der Gestaltung immer noch die einer Erfüllungsgehilfin — Kunst beschreien oder mit ihr konkurrieren sollte sie nicht. Aber sie sollte ihr das Wasser reichen, nicht ungelenk durch künstlerisches Terrain stolpern und mit dem Hintern die Geranien umstoßen.

Gestaltung für Kunstveranstaltungen zu machen ist besonders schwer, wenn die Veranstaltung ein hohes Niveau und spannende Inhalte verspricht. Der Fall ist das bei Over and Out, der Ausstellung, die in der vergangenen Woche am Hafen in Münster eröffnet wurde. Dabei sind unter anderem der bereits genannte Sebastian Freytag und Lars Breuer vom Kosortium D. Dem Titel entsprechend zieht Over and Out ein Kreuz zwischen der einen Hafenseite (der schmutzigen, schönen) zur anderen Hafenseite (der bereinigten, ganz okayen) bis rüber zum denkmalgeschützten Bürogebäude in der Herwarthstraße.

Ich habe mich bemüht, mit den Plakaten und Einladungskarten die metaphorischen Geranien stehen zu lassen. Over and Out hat sauberes Parkett verdient. Wer bis Mitte November in Münster zu tun hat, sollte diese Ausstellung besuchen. Weitere Informationen gibt es bei der AzKM.

Man sollte Palma grundsätzlich ohne den Zusatz de Mallorca verwenden, denn der ist voll schlechter Assoziationen. Natürlich ist Palma Einfallstor für die Einfallslosen und Tumben, aber das ist ja nicht neu und auch langweilig. Dass die Stadt inzwischen mehr kann, als ältere Gebäude herumzuzeigen und pittoresk im Sonnenuntergang daliegen, ist auch kein Geheimnis. Im Gegenteil — nach allem, was man so liest hat Palma auch in Sachen Moderne und smartem Dasein eine Menge zu bieten.

Ich habe neun Tage meines späten Sommerurlaubs in der Stadt verbracht und kann das bestätigen. In Palma geschehen eine Menge gute Dinge, von denen man in Hamburg nur schwer mitbekommt. Sechs Orte, an denen man gewesen sein sollte.

  • Duke (Karte)
    Das Duke ist einer dieser Läden ohne Schild in einem kleinen Haus, gedrängt zwischen andere kleine Häuser. Das Restaurant verdankt Duke Kahanamoku – mehr oder weniger der Erfinder des modernen Surfens – mehr als nur seinen Namen: Die Location zieht einen angenehmen 60er-Jahre Surfstil durch, ohne Richtung Plastik-Tiki abzurutschen. Das Essen ist ebenfalls auf hohem Niveau und bewegt sich zwischen Karibik und Kalifornien. Fotos und mehr Infos gibt es hier.
  • Portixol (Karte)
    Im etwas verschlafene Hafengebiet Portixol östlich von Palma findet gerade ein sehr spannendes Stadtentwicklungsprojekt statt. Mit viel Rücksicht auf die gewachsenen Strukturen wird Portixol zu einem sekundären Zentrum aufgebaut — mit einer wunderbaren Promenade am Meer, minimalistischen Appartments und einigen Bars und Restaurants. Alles in gesunder Dimensionierung und ohne Prestigeobjekte.
  • Monocle Shop (Karte)
    Einer der drei Monocle Shops ist in Palma. Natürlich liegt er (wie auch das Duke) in Santa Catalina, dem smarten, ungehobelten Viertel der Stadt und dient gleichzeitig als Appartment für Redakteure, Markentouchpoint und Konversationsstube. Ruhig, freundlich, schön.
  • Es Trenc (Karte)
    Einer der schönsten Strände der Insel liegt eine rumpelige Busfahrt östlich von Palma. Der Strand von Es Trenc nimmt kein Ende, das Wasser ist absurd türkis und vor der Küste dümpeln Segelschiffe aus Holz im Sonnenschein. Als wäre das nicht Prospekttext genug, steht auch noch die Dünenlandschaft unter Naturschutz und die Gegend ist eine bekannte Herstellerregion von Modesalzen.
  • S.P.Q.R. (Karte)
    Das S.P.Q.R. ist meiner Lieblingsbar in Stockholm, dem AG 925 dermaßen ähnlich, dass man annehmen könnte, die Beitreiber hätten ihr Interieur aus den gleichen Quellen bezogen. Also zu gleichen Teilen aus Resten der Blade-Runner-Sets und von Vitra. Beide Läden sind industriell, modern und verkaufen unfassbar gute Cocktails.
  • Fundació Pilar i Joan Miró (Karte)
    Pilar Miró hat ihrem Mann nach seinem Tod ein Denkmal gesetzt, dass es architektonisch und inhaltlich locker mit dem Es Baluard aufnehmen kann. Zwischen Palmen und dem Atelier duckt sich ein massiver Betonbunker in den Hang der Insel, dessen Räume dank halbtransparenter Marmorflächen geradezu filigran wirken. Dass sie außerdem eine sehr gut kuratierte Miró-Sammlung enthalten, versteht sich von selbst.

Nur unwesentlich postkartige Fotos aus Palma gibt es in meinem Palma-Set bei Flickr und bald an dieser Stelle.

Miró

Ich werde die Stadt verlassen. Die Elbe und ihr Strand, die Plastikmöbel in der Agentur, die Stufen zum Hafen und die Zelte auf dem leeren Heiligengeistfeld sollen ihren Kram für einige Tage alleine machen. Währenddessen werde ich mich auf eine Insel im Mittelmeer legen und den Blick auf das Meer und vielleicht auf Afrika richten. Mit einem billigem Fotoapparat und einer Flasche Wasser, sonst verdurstet man schnell.

Wenn ich zurückkomme, erwarte ich anständigen hamburger Herbst, einen Parka auf meinen Schultern und Regen in meinem Gesicht. Was vom Sommer dann noch übrig ist, könnt ihr behalten. Passt gut darauf auf.

Das Vorhandensein der Musikgruppe Ja, Panik ist eine Freude. Das ist nicht neu, im Gegenteil, The Taste and the Money war eins der besten, wichtigsten und schönsten Alben des letzten Jahres. Weil es mit seinem strubbeligen Soul, der Lust an Parolen und der Wahrheit eine eigene Sprache gefunden hat. Eine Sprache für die albernen Situationen, in denen man sich als nicht mehr vollständig junger Stadtbewohner zwischen Wochenende und Wochentag wiederfindet. Weil ihr ein Manifest voranging, das mit Nachdruck den einzigen Ausweg forderte:

Glaubt an wenig! Glaubt an die Liebe! Fürchtet wenig! Fürchtet nur die erschreckenste, schlimmste Angst aller Ängste, den endlosen Kreislauf, die Wiederholung: the taste is familiar and so is the sound.

Sich als Musikgruppe Unklarheit und Unbestimmtheit nicht nur zu trauen, sondern sich ihr zu verschreiben — das ist nicht selbstverständlich, sondern gefährlich. Das Spiel mit übermütigen Ansprüchen, Manifesten und einer anmaßenden Grundhaltung wirkt geradezu albern in der musikalischen Umgebung der iTunes-Bibliotheken. Sinn machen einzig die Platten der Ronettes, von Martha Reeves und den Four Tops. Das ist Soulmusik. Ihren Tonfall besetzen Ja, Panik. Nur eben für eine andere Zeit und mit einem letzten Rest Wienerisch in den Stimmen. Damit kann man nur gewinnen. Folgerichtig heißt es in der Ansage zur neuen Platte:

Der Mangel ist unsere glänzendste Eigenschaft. Wir werden nichts erklären, nichts begründen, wir haben nichts verloren als unser Interesse.

Ich wüsste nicht, wer (außer vielleicht The Aim of Design is to define Space) momentan einen so klaren, nahen und überzeugenden inhaltlichen Entwurf von Popmusik anzubieten hat. Wie auch immer. Ich empfehle dringend das Video zur neuen Single Alles hin hin hin. Jedes Wort des Songs ist wahr.

Am 25. September erscheint das neue Album der Gruppe Ja, Panik. Es heißt The Angst and the Money. Man sollte ihnen zuhören.

August

Die Dinge laufen behäbig, aber sie laufen. Freie Stunden der letzten Wochen habe ich zu gleichen Teilen auf Wiesen, Picknickdecken und mit der Futura Condensed verbracht. Produktiv geht anders. Aber immerhin ist das ja auch ein Sommer, den man so nennen darf. Da muss es reichen, zu prokrastinieren, Produktivität also nur zu spielen. Und vollauf damit zufrieden sein, Neues vorzubereiten.

Will sagen: es gibt hier einen neuen Seitenkopf, Platz für schöne neue Navigationspunkte und einige weitere Kleinigkeiten. Das war nötig, um Platz für die eine oder andere Idee und neuen Content zu schaffen. Bis es damit soweit ist, dauert es allerhöchstens noch bis zum Herbst.

Bis dahin lege ich euch die schlicht betitelte gemeinsame Platte, die II von Lindstrøm & Prins Thomas an eure Herzen. Die Wolken und Picknickdecken, die ohne dieses Album gut sein sollen, die soll mir erstmal jemand zeigen.

Nur Dinge aufzählen die man mag, das ist langweilig und gilt nicht; außerdem gibt es für soetwas inzwischen Tumblelogs. Dennoch, es ist Sonntag, da darf man sich auch mal auf den puren Verweis beschränken. In diesem Fall auf die Arbeiten von Sebastian Freytag.

Seine Installationen und Gemälde bewegen sich entlang der Grenze zwischen minimaler Kunst und Grafikdesign. Arbeiten wie Villa oder Error würden als Funktionskunst im Rahmen einer Unternehmensidentität ebenso funktionieren wie sie es als freie Anwendungen von Typografie tun. Error

Sebastian Freytag ist Teil des Düsseldorfer Künstlerkollektivs Konsortium D. Im September wird er als Teil einer Gruppenausstellung der AZKM in Münster zu sehen sein. Bis dahin lohnt sich ein halbe Stunde Sonntagszeit für die ausgiebige Begutachtung seiner bisherigen Projekte. Und jetzt zurück in die Sonne.

Sometimes, it’s just an Airport

Juli

Es ist erstaunlich, wie konsistent die Themen der Explore-Sektion bei Flickr, die Mengen an Fotos und Grafiken bei ffffound! (und artverwandten Visual-Bookmarking-Anwendungen) sind. In der uneingrenzbaren Masse aus – zweifelsohne großartigen – Portraits weiblicher Fotomodelle, Produktshots und Farbexplosionen nehmen sich andere Themen aus wie Fremdkörper. Dronen im Blumenbeet.

Stille, Abstraktion und Distanz müssen ohne emotionalen Reflex ihrer Betrachter auskommen. Ihnen fehlt der praktische Vorteil einer Bedeutung, sie sind auf Textur und Oberfläche reduziert. Um so mehr haben sie einen ausdauernden Blick und Auseinandersetzung verdient. Das gilt zum Beispiel für die Naturmotive der Serie Here · Ings – eine Art visuelle Field Recordings, die mit dem Untertitel A Sonic Geohistory als Bildband erschienen sind. Außerdem sehenswert: Larry Gottheims Kurzfilm Fog Line (1970), der sich Wiederholung und Stille in Bewegung mit anderen Mitteln nähert, sowie die Arbeiten des niederländischen Künstlers Bas Jan Ader1.

Meinen bescheidenen, andauernder Versuch, Texturen und repetetive Strukturen aufmerksam zu begegnen, dokumentiert das Flickr-Set Postmodernism.

Via datdatdat, deren/dessen minmalistische eigene Arbeiten zur Datenvisualisierung ebenfalls einige Blicke wert sind.


  1. Der allein für die tolle Website von Folkert Gorter (of But does it float Fame) Aufmerksamkeit verdient hat – auch wenn er bereits 1975 auf dem Ozean verschollen ist. 

Es ist nicht so schwer, ein starkes Corporate Design für ein gutes Produkt hinzubekommen. Talent für Gestaltung und Kommunikationsstile ist da draußen im Web reichlich vorhanden – leider und häufig gezwungenermaßen gepaart mit der Bereitschaft, dieses auch für wenig bis kein Geld einzusetzen. Zumindest, wenn es um ein kredibiles und hochwertiges Produkt geht. Fame, ein fester Teil des Honorars, wie die Steuern.

Vor diesem Hintergrund darf man dem frischen, norwegischen Jeanslabel mit dem sehr guten Namen Anti Sweden bereits jetzt Erfolg auf der ganzen Linie attestieren. Alles richtig gemacht: Großes Selbstvertrauen in Namen, Ansage und Wortmarke an den Tag gelegt, anschließend die postmoderne Umwidmungsmaschinerie so gewinnbringend wie möglich in Gang gesetzt. Die Death-Metal-Referenz ist noch nicht allzu abgegriffen, bringt einen angemessen schrottigen Illustrationslook mit (Typ: dezent okkultes Kugelschreibergekritzel) und liegt allein aus geographischen Gründen (Oslo!) nahe. Dass verhuschtes Doomzeug à la Wolves in the Throne Room gerade hip ist, schadet sicherlich auch nicht.

Ich bin vom Look und der Inszenierung ganz hingerissen, weil sie so konsistent und bold (falls jemand eine adäquate deutsche Übersetzung kennt, setze ich sie gern hier ein), aber gleichzeitig sehr albern sind. Bitte mehr solche Projekte, mehr liebevolle Produkte, mehr überdrehtes Popkulturdurcheinander. Wir helfen auch alle gern, we’re only in it for the fame and a free pair of black overdye slim fits.

Mehr Fotos vom Anti-Sweden-Labellaunch und weitere Spitzenartworks von Justin Bartlett gibt es auf der temporären Website, antisweden.no.

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