
Into Entropy
Into Entropy
Sarah stellt Fotos aus. Aus Shanghai und von anderen Orten, von Gesichtern und Räumen. In Hamburg, in meiner Nachbarschaft. Im ehemaligen Michaelis-Krankenhaus findet der etwas sperrig betitelte Kongress für Anders statt, der Kunst, Gestaltung, Literatur und Bier unter einem Dach versammelt. Die Literatur vertritt unter anderem Lisa, die am Mittwoch (dem 28.) aus ihrem wundervollen Roman Und im Zweifel für dich selbst vorlesen wird. Eine sehr gute Veranstaltung mit mindestens zwei sehr guten Menschen. Unbedingte Hingehempfehlung.
Im Juni erscheint eine Platte, die ihre Komplexität, die Zerwürfnisse und Schönheit nicht an der Oberfläche trägt, wie es zum Beispiel das aktuelle Album von Pantha du Prince tut. Sie wird es ihren Hörerinnen und Hörern schwer machen, ihre Bedeutung und ihr Gewicht zu bemerken. Sie wird als Sommerplatte in den Handschuhfächern alter Autos liegen, gebrannt auf einen billigen Rohling vom Discounter. Viele werden grinsen müssen, wenn sie die Band zum ersten Mal hören, weil alles so ungewohnt und lustig klingt. Die Seele des Menschen unter Superpunk wird wieder so tun, als sei sie alles außer dem, was sie wirklich ist: eine ernst gemeinte, großartige Soulplatte. Auch das fünfte Album dieser magischen Gruppe wird mich wieder glücklicher machen als viele, viele andere Dinge in diesem Jahr.
In der Wirklichkeit ist der Winter eine miese Idee. Die Fußwege durch das verschneite Hamburg sind anstrengend, kein Paar Schuhe ist fest genug. Wo man gehen kann, ist der Schnee nicht einmal weiß, er ist braun, und Eis ist farbloser Matsch. Glücklicherweise gilt das nur für die Wirklichkeit und nicht für die Nacht. Nicht für den Weg nach Hause im Dunklen mit Black Noise in den Ohren, der neuen Platte des großen Musikers Pantha du Prince.
Dann wünscht man sich, der Winter würde nie enden. Man wünscht, die Schichten urbanen Schnees würden sich verhärten zu Gletschern. Das Knirschen des frischen Niederschlages soll ewig unter den Schuhen knirschen. Diese Platte ist gemacht für den Winter, mit seiner beständigen Spannung zwischen Innen und Außen, zwischen Wärme unter dem Parka und Kälte an Händen und Nasenspitze. Pantha du Prince schichtet Sounds aufeinander, die fern klingen, wie verschüttete Felsen unter dem Schnee der Stadt. Darüber Kristalle und Eisflächen, klar, kalt und präzise. Fernes Glimmern und tiefes Schaben. Wärme und Eiseskälte zugleich, in einem Track.
Es ist schwer, sachlicher über diese Platte zu schreiben, die eine aktuelle Umgebung und ihr Gefühl so gut abbildet. Die mit Behind the Stars den dunkelsten und besten Moment im Club stellt, obwohl sie bei Stick to my Side liebevoller klingt als alle dänischen Indiebands zusammen. Sie ist ein Entwurf von Posttechno, oder Die Fortsetzung der Romantik mit den Mitteln von Techno, wie es die Spex ausgedrückt hat. Sie ist abstrakte, elektroakustische Musik. Sie ist in erste Linie: hinreißend.
Wie von ihrem Urheber gewohnt, endet Black Noise nicht mit der Musik. Das Artwork, die Pressefotos, das Auftreten im Club sind ebenso kühl wie konsistent. Angewandte Kunst im besten Sinne. Wer in irgendeiner Form etwas für Musik übrig hat, sollte sich das anhören (Stream) und ansehen. Es ist die erste Platte des Jahres.
Trockenes Gras, Sonnenschein und vier Meter Platz in alle Richtungen. Leichte Texte über Urbanismus und vertikales Wohnen, mehr Blättern als Lesen, der wunderbare Geruch von Beton. Rustikales Brot, Industrie, eine Aussicht, Urlaubspläne. Die Reichen ignorieren, Dreamwave, Junior Boys, nothing have, nothing crave.
Diese Stadt macht viele Dinge richtig, wenn man ihr den Sonntag überlässt und sagt: Mach mal, Hamburg.
Arlanda
We’re the waiting ones
Speaking of Human Empire: das sympathischste aller Gestaltungskonglomerate veranstaltet momentan in seinen hamburger Geschäftsräumen eine kleine Ausstellung mit Großplakaten aus der Schweiz von 1955 bis 1965. Am Samstag habe ich mich kurz bei der Vernissage umgesehen.
Was auffällt: nicht alle schweizer Plakate der 50er sehen nach International Typographic Style und Müller-Brockmann aus (also etwa so). Selbstverständlich verwenden auch die ausgestellten Poster ein Raster und die Akzidenz und Helvetica Bold in ausreichender Menge – im Mittelpunkt stehen aber ganz klar freundliche, grafische Tiermotive und allerlei sympathietragende Maskottchen (Abbildung eins). Sie sind auf eine gute und unschuldige Art simpel und farbenfroh. Nicht einmal solche Adjektive gibt es ja heute noch. Außer in Beschreibungen der Arbeiten von Human Empire. Freundliche, offene Gestaltung ohne postmoderne Arglist, wie man sie von Morr-Music-Platten und T-Shirts guter Menschen kennt. Insofern dürfte die Ausstellung auch ein Knicks vor den eigenen Helden sein.
Zur Eröffnung der Ausstellung gab es angemessenerweise Fetenleckereien nach Rezepten der 50er: Käsespieße, Eierfliegenpilze und Gurkenboote mit Schinkensegel und Fleischsalatbesatzung (Abbildung zwei). In der Bartelsstraße gab es dazu noch einen flugs improvisierten Gelben Engel, ein herausragendes Partygetränk der fünfziger, bestehend zu gleichen Teilen aus Eierlikör und Zitronenlimo. Die Plakate haben mir aber sehr gut gefallen.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 18. April.