electricgecko

Dezember

Self-discipline is empathy with your future self, las ich zu Beginn des Jahres irgendwo auf Twitter. Das ist gut gesagt, wenn 2018 etwas gelehrt hat, dann dass kurzfristige Gratifikation möglicherweise unser größtes Problem ist. Es ist Kunst, sich zu unterwerfen, alle Konsequenzen und vor allem die schmerzhaften anzunehmen. Weil es nur dann die Chance gibt, den Dingen Gewicht zu verleihen, weil sie nur dann wirklich existieren. Gleichzeitig muss man wissen, wann und wo der Schnitt zu setzen ist. Sich mit gleicher Eleganz, Sicherheit und Würde lossagen, den Moment sezieren und gerade auf diese Weise das Neue zu schaffen. Beides, Unterwerfung und der Schnitt, sind notwendige Teile des Vertrauens in den Prozess, nicht seine Resultate.

Das war in diesem Jahr weiterhin zu lernen, wiederum in Japan: Auf dem Weg durch die unbeschreiblichen Wälder von Wakayama und am Tag des Taifuns in Kyoto, den ich in einem Bunker neben Hōkan-ji verbrachte. Es war zu lernen in London, wo ich Hōjōki las (Architektur und Geisteszustand, natürlich), als wir Subhuman Inhuman Superhuman und das Dach der Triennale für uns hatten, als in der Ferne der Frühling begann. Es war zu lernen bei Dan Flavin in München und angesichts Ryoji Ikeda’s Point of no Return (2018).

Demut, Unterwerfung, langfristiges Denken, weniges könnte unzeitgemäßer erscheinen. Ich denke, es ist der Weg der kommenden Jahre: weniger Freiheiten und weniger Gratifikationen. The wrong roads are being paved in an increasingly automated culture that values ease, und darum müssen wir gegen diese Form der Zugänglichkeit sein, und gegen Komfort. Der einfache Zugang zu allen Dingen ist eine Einladung, sich mit Anspruchsvollem zu befassen — nicht zum Versinken im zuerst Vorgefundenen. Zukünftige Infrastruktur muss die Verfeinerung ihrer Inhalte hervorbringen, nicht die Erhöhung geistlosen Durchsatzes. Es ist weiterhin an uns, diese Strukturen zu bauen. Grace as defiance, Musik des Jahres 2018.

Winter

  • Regis – Blood Witness
  • Lucy – The High Priestress (Blawan Remix)
  • Vuurwerk – Warrior
  • Gaika – Little Bits
  • Inhalt – Occupations (Black Merlin Remix)
  • Front 242 – Don’t Crash
  • Ital Tek – Memory Shard
  • DJ Boring – Winona
  • Xmal Deutschland – Qual (12″ Remix)
  • Joey Bada$$ – Piece of Mind
  • Sabre – Holy Water
  • /\\Aught – 6
  • Joey Bada$$ – Escape 120
  • S. Olbricht – Ovacrwded (Slow)

Frühling

  • Acronym – Planetary Boundaries
  • Felix K, Marcel Dettmann, Sa Pa & Simon Hoffmann – Rauch
  • Lee Gamble – Dollis Hill
  • Alva Noto – Uni Version
  • Topdown Dialectic – 20170804–05
  • Marcel Fengler – Sphinx (Alva Noto Remodel)
  • Lootpack – Loopdigga
  • Seelow – TFE XX4 B
  • Obscure Shape & SHDW – Am Ende der Welt
  • Pom Pom – Untitled (O–Ton 111/A1)
  • Somewhen – Kilo
  • Le Tigre – Deceptacon
  • Jeru the Damaja – Whatever
  • Efdemin – Sirius

Sommer

  • Trust – The Dazzle
  • GZA – Duel of the Iron Mic
  • Shed – Lumber Fix TT
  • Kareem – Your Markets are Volatile
  • Rin – Avirex
  • Heathered Pearls – Under The Bridge (Fort Romeau’s Amerikas Cities Mix)
  • Skee Mask – Flyby Vfr
  • Gang of Four – Damaged Goods
  • Dabrye & MF Doom – Lil Mufukuz
  • Shed – Well Done (303edit)
  • Phase Fatale – Reverse Fall
  • Drexciya – Andreaen Sand Dunes
  • Jan Jelinek – Tendency
  • Joey Bada$$ – 95 Til Infinity
  • Kareem – My Degree is a Black Belt

Herbst

  • Skee Mask – 274
  • Sei A – Space in Your Mind (DJ Tennis Miami Dub)
  • Wu–Tang Clan – Wu–Tang Master
  • Belief Defect – Deliverance
  • Demdike Stare – Savage Distort
  • Kamaal vs. Wu–Tang – Catch the Criminal Loop
  • Ital Tek – Reflection through Destruction
  • Xmal Deutschland – Polarlicht
  • Vril – Haus (12″ version)
  • Warsaw – The Drawback (All Of This For You)
  • Objekt – Secret Snake
  • Belief Defect – Disembarking Horizon
  • Warsaw – At a later Date
  • Lee Gamble – Motor System
  • Yann Cook – Time Bend
  • Sisters of Mercy – Alice

Winter

  • Clouds – Base Damage
  • Zuli – Archimedes (featuring Abyusif)
  • Absolute – Malfunction
  • Zuli – Ahmed?
  • Clouds – Dark Leviathan Krew
  • Lee Gamble – Kali Wave
  • Operation Ivy – Freeze Up
  • … But Alive – Antimanifest
  • Clouds – Skulcoast
  • D.A.F. – Absolute Körperkontrolle
  • Stable Mates – Good Soul
  • Delf – Meditation
  • Gila – 106 Slipper
  • Khotin – Water soaked in Forever
  • Xmal Deutschland – Niemandsland
  • Ludwig A.F. Röhrscheid – Velocity

Sets

Auseinandersetzung mit Musik ist etwas anderes als Musik hören. Musik muss natürlich gehört werden. Aber sinnliches wie intellektuelles Verständnis herstellen, Musik anwenden auf sich selbst und alles, das sind eigenständige Tätigkeiten.

Wie viele Dinge beginnt meine Faszination für eine Musik mit Codierungen, Verweisen auf eine Weltperspektive oder ein größeres ästhetisches System. Ich bleibe hängen, und das ist ein entscheidender Moment, der Anfang eines Gedankens. Habe ich Zeit, ihn zu verfolgen, zwischen zwei Haltestellen einige Zeichen in die dunkle Monospacewelt von IA Writer zu notieren, dann ist etwas gewonnen: eine Welt, eine Quelle für Neues.

Ich habe dieser Art der Auseinandersetzung mit Musik Zeit und Raum gegeben, in diesem Jahr. Eine Nacht im Schreibzimmer in Porto, ein langer Spaziergang am Kanal in die Wildenbruchstraße. Ich bin dankbar für die unendliche Menge großartiger Haltungen, Styles und Perspektiven und dankbar für die Fähigkeit, etwas vorfinden und erfinden zu können, in den Welten anderer. Fünf Platten, die mir 2018 wichtig waren.

  • Topdown Dialectic – 20170804 (/\\Aught)

    Mit der Musik von Topdown Dialectic habe ich die Entsprechung einer Stimmung entdeckt, die ich zuvor allenfalls mit architektonischen Kriterien hätte beschreiben können: Ein ruhiger, heller, angenehm aufgerauhter Sinneszustand, einhergehend mit großer Neugier auf Komplexes – und dem Wunsch, sich etwas einfallen zu lassen.

    Wie mit keiner anderen Musik assoziere ich diese verspielte Angriffslustigkeit des Intellekts mit 20170804 – wie im März gesagt, weniger eine Platte als die Momentaufnahme eines großen Arrangement aus Loops und Cuts: Ihre hellgraue Körperlosigkeit erreicht nie das hier, den Vordergrund, sie bleiben im dort, eine architektonisch zu spürende Abstraktion, Musik als Infrastruktur.

  • Joey Bada$$ – Summer Knights (Cinematic Music Group)

    Ich erinnere mich, an den Spreebrücken an der Friedrichstraße gestanden zu haben, auf die untergehende Sonne hinter dem Berliner Ensemble wartend. Einmal in den frühen Zweitausendern und einmal 2018. In diesem Jahr hörte ich 95′ till Infinity und Death of YOLO, also ein Tape von 2013 im Rückgriff auf 1996, und diese ganze wahnsinnige Weltkomplexität erschien mir sinnvoll. Ich habe meine Jugend mit dieser Art Hip Hop verbracht. Er hat mich nie verlassen. Ich bin mir nicht sicher, ob es Joey Bada$$‘ wundervolle Stimme ist, sein zugleich smoother und rauer Flow oder seine Fähigkeit zu echtem Pop1 – wenn ein Kid aus einer anderen Welt mit Flow und Attitüde sein Leben derart zwingend erzählt, dann denke ich nicht, sondern höre zu. Die Unmittelbarkeit und Vielfalt von Summer Knights, der Rudeboy Skank von My Yout, sie waren untrennbar mit den guten Tagen im frühen Sommer dieses Jahres verbunden.

  • Alva Noto – Unieqav (Noton)

    Es vergeht selten eine Woche, in der ich keine Musik von Carsten Nicolai alias Alva Noto höre. Die konzentrierte Stimmung, die große Ruhe, die Verdichtung des Minimalen zum Monumentalen in seinen Releases sind Konstanten, an denen ich mich orientiere. In diesem Jahr war UNIEQAV (nach UNITXT und UNIVRS der dritte Teil der Uni-Trilogie) ein Höhepunkt und ein Endpunkt dieser Form der Verdichtung. Elektronische Popmusik, die emotionalen und intellektuelle Räume schafft, in denen ich denken und empfinden kann. Musik zum Verlassen der U-Bahn, für den Weg die Treppen am Nollendorfplatz hinab, für die verschwimmenden Lichter nebelfeuchter Nacht. UNIEQAV, das sind natürlich alles Hits, der Welt fern und dem kollektiven Inneren nah. Ein weiteres, essentielles Album, eine weitere Konstante im zeitlosen Raum2.

  • Xmal Deutschland – Fetisch (4AD)

    Diese erste Platte3 von Xmal Deutschland ist in vieler Hinsicht das prägende Album des Jahres, 35 Jahre nach ihrer Veröffentlichung. Die antiaffirmative und zugleich ästhetisierte Gothgrundhaltung der frühen 1980er liegt mir nah. Niemand sollte dauernd lächeln müssen; wer denken und fühlen kann, ist verletzt von der Welt, eine eigene muss her. Fetisch ist die Erfindung dieser eigenen Welt mit groben Mitteln, ein Powermove, ein Manifest dafür, innere Fragilität nicht als Hinderung, sondern als etwas zu schützendes zu begreifen.

    Dieser Gedanke ist einfach, schön und richtig. Diese Musik ist eine Lektion darin, wie man dem Draußen mit Würde und Haltung begegnet. Seit ich mich im Januar eingehender mit Xmal Deutschland befasste, war ich zwölf Monate lang immer wieder dankbar, dieses Album hören und mich an der Fierceness dieser Frauen aus dem Hamburg einer anderen Zeit orientieren zu können.

  • Clouds – Heavy the Eclipse (Electric Deluxe)

    So wichtig Fetisch mir in diesem Jahr war – Heavy the Eclipse erscheint mir im Rückblick wie die gegewärtigere (und darum zwingendere) Fortsetzung ähnlicher Gedanken. Clouds verlegen sie in ein anderes Genre (UK Hardcore), unter Verwendung der musikalischen und technischen Mittel dieses Jahres (2018). Auch hier geht es ums Welterfinden, darum, einen gesamtästhetischen Vorschlag zu machen. Neurealm ist dieser Vorschlag.

    Die Tracks auf Heavy the Eclipse sind Fragmente, die aus einer vollständig eingerichteten Welt gegriffen scheinen. Sie sind so stark, so verdichtet und hinreichend voller Fragen, dass sich aus jedem die Gesamtheit jener Welt herausklonen ließe. Skulcoast und Onslaught Ash Krew sind geradezu cinematisch in ihrer ästhetischen Qualität, ihre Informationstiefe spürbar in jeder Sekunde. Das ist massive Musik, Quelle von Intensität und neuer Ideen zu einer Zeit, in der wir beides dringend brauchen. Ein singuläres Album einer kontigenten Gegenwart.

    I think this whole idea of creating a universe, and then living in the middle of it always attracted me.

Auch wichtig und häufig gehört: Heathered Pearls – Detroit, MI 1997—2001 Remixes, Felix K, Marcel Dettmann, Sa Pa & Simon Hoffmann – Rauch, Zuli – Terminal, Front 242 – Back Catalogue, Warsaw – Warsaw, Shed – No Repress but Warehouse Find EP, Sisters of Mercy – Some Girls wander by Mistake, Pom Pom – Untitled, Yan Cook – Dead Satellite


  1. Im Sinne des großen universellen Kunst/Leben-Moments affirmativer Musik, nicht im Sinne der Marktgesetzoffensichtlichkeiten aktueller Protagonisten. 

  2. Es gibt übrigens einen sehr guten Mitschnitt der Finissage der Carsten-Nicolai-Ausstellung in der Copenhagen Contemporary von 2016. Ein ähnlich herausragendes Set sah ich mit Hannes beim Sonar Festival, eine meiner liebsten Erinnerungen aus jenem Jahr. 

  3. Das erste Release ist wirklich, ohne Ausnahme, immer das beste: Die konzentrierte Inkarnation einer Idee, entbehrungsreich oder nachlässig hergestellt, ohne dass sonst etwas notwendig wäre. Die erste Platte ist ein Moment der Klarheit, Begrenztheit und Intensität. 

Four days in September, I lived in the refurbished remains of a 1970s apartment building, constructured for a long-gone working class in Kyoto. I laundered my clothes in its cellar, I slept beneath its raw concrete ceilings. I witnessed the strongest taifun through its latticed windows, the rain slashing around Hōkanji, which stood unimpressed, as it has forever. Within the howl, all fell silent. I remember overlooking Higashiyama, its houses made from aging wood (noticing how its particular gradient is determined by age and exposure), the trees and rocks – as if all this was my home. As if it had years of my life to emblazon itself into my brain. A concrete box in a taifun, my love and me inside, and our clothes hanging to dry on an extendable fishing rod across the room. A day to itself, in this year of change and momentum (at RC Hotel, Kyoto).

One of the most significant things about the urban fabric of Japanese metroplexes is the number and cultural integration of 7-11, Family Mart and other convenience stores: Multi-purpose hubs, more or less 24 hours per day, for all kinds of social strada. They provide grocery shopping assistance to the elderly, free Wi-Fi to tourists, wastebins and agreeable cheap food to everyone. The Famima entrance jingle is one of my strongest and most present memories from my times spent in Tokyo and other japanese cities. These stores cry for ethnographic inquiry beyond William Gibson’s inquisive modelling of the Lucky Dragon franchise in All Tomorrow’s Parties.

Die Kieswege und der Geruch nach Zeder, moosgrüne Steinlaternen, gewundenes Holz, glimmendes Licht in ausgehöhlten Bambusrohren, überhaupt: Bambus. Rinzai-Rot-Orange. Wetteiferndende Zikarden an den Ufern jedes Rinnsals. Das dichte, schweigende Moos entlang sorgsam angelegter, gleichsam planvoll gewachsener Blickachsen.

Walking the streets of Osaka by myself after nightfall, immersed in neon light and concrete, the 1980s endlessly reflected long since their time has ended. I have no purpose here, other than keeping momentum, researching myself in alley corners. 2015 seems a long time ago, I think, as I head back to Dōtonbori to meet a woman under battered Ezaki Glico, research unfinished and thoughts unthought.

My strength, and my problem, is that I usually know exactly what I want, which is this amazing gift, or a huge ego problem. It’s both, I’m sure, and I forgive myself if it’s an ego problem. I’ve learned to do that. So it’s not like I invite people to interpret my work. I hate that (…) Being able to do it all on my own, I’m able to set a standard.

Nihilism is a trapdoor but no one said the basement was inhospitable. Work with what you have. Make silk from the cobwebs.

Es fehlt ein Verb für die Tätigkeit, die im Halb-Zustand zwischen Programmierung und Gestaltung stattfindet. Es ist beständiges Tasten auf der Suche nach einem angemessenen Gefühl für ein bestimmtes Interface, nach der korrekten Balance aus Physik und Assoziation. Teils ist es Konstruieren, teils räumliches Entwerfen, teils händisches Formen des Materials. In dieser Tätigkeit geht es langsam voran, aber Konstruktion, Gestaltung und inhaltlicher Ausdruck entwickeln sich zugleich, die falsche Trennung der Disziplinen außer acht lassend.

November

Auch das Rohe hat seine Unschuld verloren. Spricht man über Musik, sind selbst die verwertungsfeindlichen, tapfer aufrichtigen Genres Hardcore und Gabber nur strukturkonservativ (also mit Hilfe großer kognitiver Anstrengung aufrecht erhaltener Ignoranz, siehe auch Black Metal und Oktoberfest) aufzuführen. Abgesehen dieser Trance-Generators- und Terrocorps-Revivals bleibt also nur das Schicksal aller Popkultur: Verwertet werden. Schaut, wie cool, hart und doof/Lolwat, Neon-Tribals?!

Glücklicherweise hat auch das Rohe Partisaninnen, die seine inhärenten Qualitäten schätzen und weiterentwickeln: die kognitive Wirksamkeit, das brutale Überladen der Wahrnehmung (damit nichts anderes stört), die endlose Schönheit seiner unbehandelten Texturen.

Clouds sind Partisanen roher elektronischer Musik. Sie schlagen neue Anordnungen für Jungle, Hardcore und Gabber vor, sie schaffen Hörbarkeit durch Kontext und stellen damit die Würde dieser Genres für die Gegenwart wieder her. Dazu setzen sie Mittel ein, die unter rohen Fassaden erst nach und nach lesbar werden. Selbstverständlich müssen zunächst Überdimensionierung und Nachdruck etabliert werden, das vollständige Ausfüllen der kognitiven Kapazität der Hörenden mit Musik: auf HTID übernehmen das die Einstiegstracks Base Damage und vor allem der Banger der Platte, Dinner at Skinjas.

Ist eine gewisse Gewaltbereitschaft unter Beweis gestellt, demonstrieren Clouds ihre Aufmerksamkeit für Details, ihr Gefühl für Zeit und Raum sowie einen gänzlich genrefremden Hang zum cineastischen: Wir hören Geschehnisse einer Welt, in der diese Platte stattfindet, vollständig eingerichtet und zuende ausgedacht, großteils in den Schatten verborgen. Diese Welt wird gleichsam hineingesampled, Charaktere und Orte bleiben unklar, aber das Gefühl für ihre Texturen und Konflikte zieht sich durch die Dramaturgie der Tracks.

(Insofern ist es nur folgerichtig, dass Clouds für ihre folgende LP das Welterfinden externalisieren. Gemeinsam mit David Rudnik erzählen sie auf Heavy the Eclipse die audiovisuelle Geschichte von Neurealm – einer in Deutschpatois ausgekleideten Version von Glasgow im Jahr 2418, in der sich allerhand unterhaltsame Raver, Gangs und Freischärler gegenüberstehen. Die Folge sind nicht nur unrealistisch gute Tags und Bombings, sondern auch Track-Titel wie Warped Amphetamine Flex und Nachtstorm Hardcore.)

Schließlich sind es die trackübergreifenden Narrative, die Clouds-LPs zu Alben machen. Auf HTID gibt es eine herausragende Progression von Quest Posse Wanted zu Rush in 2 Orbit (Skinnergate) (wie gut diese Titel sind, wie gut die ganze Lore ist). Letzteres versteckt seinen höllischen Groove bis 3:21, quasi in plain sight, und dann ist auf einmal alles da – kulminiert in einer rohen, komplexen, spartanischen Gesamtschönheit, auf dem Floor und im Hirn, rar in jedem Genre.

Oktober

The specific peace that exists within Ryoji Ikeda’s installations must be described as a black peace (borrowing the term from Ikeda’s aesthetic contemporary, Byetone). It evokes a specific type of calm that can only exist in a situation of being overwhelmed, awash with data and scale, in a moment of incomprehension. This is Ikeda’s foundation: Confronting recipients of his work with scales and semantics that are incongruent with the human perceptive systems, following and focusing the data permeating every situation and every place, unbeknownst and unperceived by the human subjects of such situations. In this way, Ryoji Ikeda’s work must be likened to the sublime, to moments on mountaintops, in deep forests and on beach cliffs. It evokes a realization of insignificance1, of belonging to the universe. With this comes peace, a warm feeling of being oneself and one with all, a black peace.

(Auf den Treppen im Foyer des Eye, nach Ryoki Ikeda im Oktober 2018.)


  1. Sublime places repeat in grand terms a lesson that ordinary life typically teaches viciously: that the universe is mightier than we are, that we are frail and temporary and have no alternative but to accept limitation on our will, that we must bow to necessities greater than ourselves., Alain de Botton – The Art of Travel (2002), p.169 

Ghostly International hat sich schon immer wie ein Resultat des Internet angefühlt, des frühen, eigensinnigen Internets. Eines Ökosystems, das ein Label wie dieses ermöglicht hat – weniger basierend auf dem Einverständnis über ein Genre als auf einem neuen, diffusen Gefühl von Gemeinschaft. Transcending its record label roots to sell an ethos, wie die Times einmal schrieb, and an emotional state of upbeat world-weariness, möchte man hinzufügen.

Es gab stets eine Gleichberechtigung zwischen Releases, den Artworks (und tatsächlich, Desktop-Hintergründen) von Michael Cina, der bisweilen arg verstolperten Floormusik auf Spectral, den Stickern und all dem Material drumherum. Seit den mittleren Zweitausendern ist Ghostly Quelle einer spezifischen Art von Moodyness, eine Welt, in der nichts okay, aber das unmittelbare Hier und Jetzt erträglich ist, voller verwaschener Beats und im Sommergegenlicht verebbender Reverbs.

Für mich hat es immer eine spezifische Stimmung gebraucht, um derartige Wärme aushalten zu können. Aber im richtigen Licht, in der richtigen Situation kann eigentlich nur ein Ghostly-Release gehört werden1.

Ihre größte Konzentration fand diese Stimmung für mich stets in den seltenen Releases von Heathered Pearls2. Stark texturierte, maximal warme, weiche und tiefe Musik ist das, wie Schlaf am Strand, und nicht ohne dessen Düsternis der Natur und des fern drohenden Wetterumschwungs.

Ich werde mir den Sommer dieses Jahres schwer ohne den Amerikas Cities Remix von Under the Bridge vorstellen können. Weil dieser Track gleichsam zu Hause war, in all der Sonne und all der Dunkelheit dieses Sommers, in den Versuchen, neue Lösungen für die gleichen Probleme zu finden. Am 10. September notierte ich in einem Wagon der Hanzōmon-Line:

Fort Romeau’s Remix of Under the Bridge by Heathered Pearls may well be the track of this year, a requirement of the here and now. Its continuous media-sampled stream of consciousness encompasses everything to be depressed about, its pure expansive, sprawling, mellow softness describes everything to be hopeful for. In its very fabric, this track encompasses the hope, power and promise of music. To find and connect every person able and willing to perceive, to think and to feel.


  1. Früher, sehr häufig: die opulente 2×12″-Edition von Glider, von The Sight Below. 

  2. Also Jakub Alexander, der als Musikautor bei Iso50 (das erfreulicherweise weiterhin existiert und weiterhin aussieht wie in 2007), für den Teil meiner Musiksozialisation verantwortlich ist, die abseits von Wavegitarren und der in Hamburg vorgefundenen Floormusik stattfand. 

September

There was one of the perfect silences in the 100-Meter Gallery of Odawara Art Foundation. You know, the considered kind that includes a faint hum of air condition running at its lowest setting. There was no movement of air. This is what can be learned from the Japanese: Silence. The silence of deferring to the dao of all things, while doing what has to be done by playing one’s part, elegantly. The silence of recognizing each thing’s and each being’s part. The silence of doing nothing when all is done.

Watching the slim, immaculate fingers of the JR East clerk fly over a landscape of unlabeled, but color-coded hardware keys, each press producing the kind of satisfying mechanical click keyboard afficionados have been paying substantial sums for, I wonder whether his fingertips have already flipped open to reveal a set of spidery steel rods, inputting data with superhuman speed and precision. The clerk is wearing a short-sleeved grey button down, embroidered with the vaguely brutalist JR logo. His physiogonomy, attention and complete being could not be more focused. Around him, an assortment of laminated scraps of paper, highlighted katakana phrases, flyers and maps is taped into a Monet-esque array of tranquil color. The dynamic silence of faint office sounds surrounds us.

Everything is permanently going down. The only thing left for us to care about is how we and every thing goes down. This is why leaving small stone mounds along the hiking trail matters. This is why making good rice bowls matters. This is why optimizing your CSS grid matters. Matters of grace are actually this: matter. It’s in defiance of the universe that we apply attention and care to small things. It’s a gesture, and gestures are all we have. Put care and love into every move, in defiance of your insignificance. Create matter by claiming it emphatically and carefully. (On mossy rocks halfway between Hongu-Taisha and Yunomine-Onsen)

You look so grim, Craig said.

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