electricgecko

April

23, Berlin

Februar

Die Idee, Musikdateien auf Devices abzuspeichern, ist zunehmend albern geworden. Die wenigen Veröffentlichungen, die Permanenz verdienen, verdienen auch das ultimative Archivformat: Sie sollten als Schallplatte im Regal stehen. Für den großen Rest ist das Web der einzige sinnvolle Ort: Backkataloge, Sets und der eine Track, der es genau jetzt sein muss, lassen sich jederzeit streamen. Mit neuer Musik verhält es sich ebenso – es mangelt nicht an Kanälen (Soundcloud, Hype Machine) und Mechaniken (Following-Prinzip, Bandcamp), um über Releases und Künstler auf dem Laufenden zu bleiben.

Was fehlt, ist ein sinnvolles Interface, um diese Kanäle und Mechaniken zu aggregieren und sie nutzbar zu machen – to foster serendipity, sozusagen. ex.fm ist so ein Interface, allerdings mit dem großen Nachteil, dass es gleichzeitig overengineered und buggy ist.

Glücklicherweise habe ich Freunde, die viel bessere Dinge bauen können. Alex launchte gestern eine kleine App namens Whiskie – ein Musik-Frontend für Tumblr, das an Snappiness und Praktikabilität nicht zu überbieten ist: Es filtert Audiotracks aus den Massen von Neunzigercollagen, Katzengifs und Betonfotos, stellt sie zu Playlisten zusammen und macht sie teilbar. Wie zum Beispiel die großartige Sammlung kalter Wavetracks von Betonbabe. On Repeat.

Ich benutze Whiskie seit einigen Wochen – und es hat für mich Tumblr zu einem Ort für Musik gemacht. Es wird das auch für euch tun. Sprecht mit Alex – er freut sich über überbordendes Lob, Feedback und Feature-Requests.

Context is everything — therefore, it needs to be left out.

Januar

Vergleiche zwischen Hamburg und Berlin gehören zu den uninteressantesten Themen, die man zum Ende eines abebbenden Smalltalks heranziehen kann. Ja, das Second-City-Syndrome, der Komplex jeder zweiten Stadt jedes Landes. Ja, die Mieten. Oh nein, die SUVs. Ja, das Laissez-faire. Nichts, das wir nicht wüssten. Nichts, das uns die wirklich schweren Entscheidungen leichter oder schwerer macht.

Ich lese gerade aus beruflichen Recherchegründen alte Sounds-Artikel1; Konzertkritiken und Oral Histories über Punk und Wave in Hamburg. Die Namen ihrer Protagonisten und ihre zentralen Orte klingen nach einem Grad von Kredibilität, der unter postmodernen Bedingungen zu einer endlichen Ressource geworden ist. Um so schöner, wenn sich dieses Gefühl während der Lektüre in Luft auflöst. Authentizität war 1978 noch nicht erfunden: Die Avantgarde der neuen Rockmusik war verkrampft, ernsthaft inszeniert und toupierte sich die Haare nur nachmittags über die Augen. In der Schule machte Wave einfach noch zu viel Ärger.

Diese Dinge über die Subkulturgeschichte der Stadt zu lesen, in der ich lebe, macht mich etwas zufrieden. Die Unlockerheit, die verschränkte Stoik der Hamburger ist eines ihrer besten Klischees. Sie erscheint mir geeigneter als die allzu leicht propagierte, freundliche Überoffenheit, das Alles-kann, das konsequente Gutfinden.

Take-aways: Lest die Sounds, und Zustimmung mit Augenmaß.


  1. Meine Quelle highdive.de ist übrigens pures Gold. Für diese Dinge hat Marco Arment Instapaper entwickelt. 

Das erste Sonnenlicht des neuen Jahres scheint durch vergitterte Studiofenster auf den Schreibtisch, Bogen um Bogen Zeichenpapier, Ingwerlimonade. Es ist der erste signifikante Musikmoment des neuen Jahres, die Fortsetzung der 36 Kammern mit ganz anderen Mitteln, One for the Wu, gewissermaßen. Es ist der zweite Teil von Onras Chinoseries, so brachial wie zerbrechlich.

Es ist schwer, über Mode zu sprechen ohne dies tautologisch, deskriptiv oder banal zu tun. Diejenigen, die es dennoch schaffen, sind selten Genrejournalistinnen und Genrejournalisten1 und noch seltener Modeschaffende selber. Es scheint, als bedürfe es in erster Linie eines guten Versuchsaufbaus, um interessante Aussagen über und Bilder von Mode zu einem sinnvollen Text zusammenzubringen.

Wim Wenders‘ Notebook on Cities and Clothes ist ein solcher Aufbau. Die Dokumentation spannt einen Raum, den Yohji Yamamoto auf beeindruckende Weise füllt – mit einer brüchigen, tastenden Analyse seiner eigenen Arbeit, einem Vorschlag. Ein Teil dieser Brüchigkeit mag der englischen Sprache geschuldet sein – und zwar weniger aufgrund der Tatsache, dass Yohji Yamamoto schlechtes Englisch spricht, als der Abwesenheit des großen ästhetischen Referenzrahmens seiner Muttersprache.

Interessant, wenn auch hinreichend verbreitet ist Yamamotos Interpretation des Wabi-Sabi in seinen Entwürfen – der Abneigung gegen die hundertprozentige, gegen die „richtige“ Lösung. Letztlich handelt es sich dabei um eine Formulierung der Konkurrenz zwischen Skill und Geschmack:

Human beings can’t make perfect things. When I make something symmetric, something a little too perfect, I always want to break it, destroy it a little.

Deutlicher und nahezu übertragbar auf die eigenen Erfahrungen, das eigene Versagen am Entwurf ist das zweite Thema. Die Auseinandersetzung mit sich selbst, mit dem Scheitern und der Unmöglichkeit, die eigene Arbeit beurteilen zu können: Become aware of your style. Don’t try to neglect it. Use it to get your message across.

Es ist zu exakt gleichen Teilen motivierend und einschüchternd, Yohji Yamamoto diese Dinge sagen zu hören – denn sein Beitrag zum Text des Films besteht weniger in den zitierbaren Inhalten als in der leisen Wucht seiner Persönlichkeit. Es ist ein Verdienst dieses Filmes, diese Aussagen auf diese Art und Weise möglich gemacht zu haben.

Ich empfehle Notebook on Cities and Clothes uneingeschränkt. Er ist eine bemerkenswert zeitlose Dokumentation der ästhetischen Beweggründe eines herausragenden Kreativen, weit über das Thema Mode hinaus.

Erstaunt stellt Wim Wenders während der Dreharbeiten in Tokio fest, dass sein kleiner, neuer Camcorder hier das angemessenere Werkzeug sei – ihre Bilder seien geeigneter als die der großen 35-Milimeter-Kamera. Konsequenterweise beschließt er seinen Film im Sommer 1989 mit der Frage: Will there be an electronic craft, an electronic craftsman?


  1. Das gilt insbesondere für digitale Medien; Publikationen auf dem Niveau von Mahret Kupkas Fashion & Art (inzwischen: modekoerper) oder der collagierten Eindringlichkeit von Lynn and Horst sind die Ausnahme. 

Dezember

No Tears (For The Creatures of the Night), das erste Stück Musik in diesem Jahr, habe ich zu laut mitgesungen, in einer sehr gut eingerichteten Wohnung gegenüber den Neukölln-Arkaden.

Ich war in London und Leipzig und dann wird irgendwo stehen, dass ich 2011 ein Designstudio eröffnet habe. Und nicht: Wie lange ich davon träumte und wie gut das Gefühl ist, wenn man in die Sommernacht tritt und hinter sich abschließt. Nicht, wie viel es bedeutet, einen Partner zu haben und auch nicht wie viel Offensichtliches ich noch über Kausalität lernen musste.

Ich habe erlebt, wie DJ Phono im Ego sein erstes Album live gespielt hat und finde, dass Espy recht hat.

Ich war in Zürich und Barcelona, besuchte Damir Domas Atelier in Paris, hatte die beste Playlist in New York und war im Publikum, als Andy Stott und Demdike Stare das Jahr 2011 auf dem Berghain-Floor formuliert haben. No Tears For the Creatures of the Night; it might as well be our battle cry. Die Tracks und Songs und Sets des Jahres.

Winter

  • Tuxedomoon – No Tears (For the Creatures of the Night)
  • Actress – Always Human
  • Ghostface Killah – Ghetto
  • Pawel – Crillon (Sistrum Remix)
  • Spandau Ballet – Gold
  • Madvillain – 3.214
  • The Field – Istegarde
  • Daisuke Tanabe – Coil
  • Tyler, the Creator – Yonkers
  • Ghost of Tom Joad – Snow in the Summertime

Frühling

  • Von Spar – Scotch & Chablis
  • Taras Van De Voorde – 1998 (Deetron Remix)
  • Vince Watson – Long Way from Home
  • Gang Starr – The ? Remains
  • Nas – Represent
  • Dirty Gold – Sea Hare
  • RVDS – Pain
  • Robag Wruhme – Tulpa Ovi
  • Dam Mantle – Rebong
  • Daniel Bortz – No Griggity
  • Pet Shop Boys – I want to wake up

Sommer

  • Battles – Rolls Bayce
  • Quarion – Pepper Candy
  • DJ Phono – Your Name
  • Heiko Laux & Teo Schulte – Sound Hug (Daniel Bortz Remix)
  • Trickski – Wilderness
  • Subb-An – What I Do
  • Andreas Dorau – Stimmen in der Nacht
  • Lunapark – Dieser Tag
  • IAM – L’Aimant
  • Chopstick & Johnjon – Obviously She’s a Whore
  • Aeromaschine – Must Be
  • Felix – You can’t hold me down
  • Tigerskin – Shea’s gone
  • Pional – Where Eagles Dare

Herbst

  • Andy Stott – Posers
  • Shigeto – Children at Midnight
  • Viadrina – Better (Arto Mwambe Remix)
  • Com Truise – Colorvision
  • Meridiens – Animals
  • Ribn – Save Me
  • Efdemin – Nighttrain (Fred P Reshape)
  • Andy Stott – Tell me Anything
  • M83 – Midnight City
  • Conforce – Shadows of the Invisible
  • OCP – Blue Spring

Winter

  • Todd Terje – Ragysh
  • Yør – Golden Boy
  • Moomin – You
  • ItalTek & MF Doom – S/T Bootleg
  • Einstürzende Neubauten – Nagorny Karabach
  • Double X – Sunshine
  • Manuel Tur – Misery
  • OCP – Convoy
  • Pillowtalk – Soft (Life and Death Remix)
  • Madvillain – Cold One

Sets

Schließlich: Was Max John Buschfeld in Bad Bunny Bummer von Minute 44 bis 1:02 macht, ist mit Abstand die beste Viertelstunde, die ich 2011 in einem Set gehört habe. Human League wins everything.

Die lange Form hat es nicht leicht. Wie viele Settings gibt es in meinem Leben eigentlich noch, die eine LP als musikalisches Format aushalten? Die Prozesshaften sind es nicht. Sie verlangen nach mehr Kontinuität und Fluss, ihnen entspricht das Set. Die plötzlich auftretenden Momente (wenn sich die Landschaft draußen vor dem Zugfenster verändert oder die Sonne rauskommt) brauchen ihren Track oder ihr Lied, und zwar auf der Stelle. Das Album ist also im Besten Fall ein Setzkasten. Ein Repertoire von Variationen eines Themas. Wenn es wirklich gut ist, enthält es mehr als eine Handvoll wichtiger Tracks oder Lieder, je nachdem. In dieser Hinsicht waren die Alben des Jahres 2011 anders als diejenigen von 2010 – kein Überangebot großer LPs, sondern eine Reihe Releases, auf die ich beinahe unbemerkt immer wieder zurückgekommen bin.

  • Kangding Ray – OR

    Eine der vielen guten raster-noton-Veröffentlichungen in diesem Jahr – und eine, die ihrem Artwork nicht mehr entsprechen könnte. Präzise separiert in Klicks, Flächen und Beats walzt sich Kangding Ray voran, stets langsam, zuweilen vollständig zum Halt kommend. Musik, die in Museen laufen sollte. Musik, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine der kommenden Rick-Owens-Shows begleiten wird.

  • Lunapark – Gefangene Vögel

    Ich schrieb im August über Lunapark, eine kurzlebige Wave-Formation aus (ausgerechnet) Wuppertal, die sich nach einem Release wieder auflösten. Erstaunlicherweise hat sich Gefangene Vögel länger als einen Monat in meiner Rotation gehalten – dank seiner musikalischen Konsequenz und Funktionalität, seiner guten Texte und seiner Angemessenheit für meine Lebensumstände in diesem Jahr.

  • Conforce – Escapism

    Kein Jahr ohne einen fantastischen Longplayer von Delsin. In diesem Fall das zweite Album von Conforce: Ruhig, untexturiert, deep as fuck. Im Herzen ein Track, der alles auf den Punkt bringt: Shadows of the Invisible. Eine Platte wie eine geräuschlose Shinkansen-Fahrt durch die tiefsten Schluchten von Coruscant.

  • Madvillain – Madvillainy 2 (The Madlib Remix)

    Dass das Original dieser Platte eines der besten Hip-Hop-Releases überhaupt ist, sollte man niemandem erklären müssen. Dass Madlib aus dem Rohmaterial von Madvillainy vier Jahre später durch Cut-Up und Pastiche eine zweite großartige Platte gemacht hat, wäre bei jedem anderem als ihm vollkommen unglaublich. Dass Doom nach wie vor der beste MC der Welt ist, hilft wohl auch. I don’t think we can handle a style so rancid/Flipped it like Madlib did the old jazz standard.

  • Andy Stott – We Stay Together

    Das Unvermögen, die beste Platte des Jahres zu beschreiben. Das einzige Release des Jahres, das mich sprachlos hinterlassen hat; weil es schlicht so unfassbar gut ist. Weil es in seiner brachialen Konsequenz so richtig ist, wie kein anderes – ästhetisch, visuell, intellektuell, persönlich. Und: Das schönste Artwork des Jahres.

Honorable Mention: Roman Flügel – Fatty Folders, Com Truise – Galactic Melt, DJ Phono – Welcome to Whereever you’re not, The Sight Below – Glider, Robag Wruhme – Thora Vukk, VA – Back and 4th, Shigeto – Full Circle, Tyler, the Creator – Goblin

November

Es gilt der Eintrag vor diesem. Diese Seite musste sich verändern, wiederum. Die vergangene Version von electricgecko war eine Formulierung meines Zustandes, als ich nach Hamburg kam, vor vier Jahren (vier Jahre sind eine lange Zeit). Ich habe einen Job angefangen und bin in eine leere Wohnung gezogen. Ich musste damit zurechtkommen, dass Hamburg nicht Berlin ist, und auch nicht London. Ich wohne immer noch in dieser Stadt und bin froh, dass sie nicht Berlin ist, oder London. Meine Wohnung nach wie vor leer, weil ich das so mag. Davon abgesehen ist wenig wie es vor vier Jahren war. Mein Blick ist ein anderer, ich habe ein Studio gegründet, es gibt andere Musik und neue Schuhe.

Darum weg mit den Serifen, weg mit der Eleganz, dem Papier und der schönen Gestaltung. Statt dessen Raum und Sperrigkeit. Raum für den Blick, Raum für Bilder, Referenzierungen und Samples. Sperrigkeit, um sich zu erinnern: Das gilt alles nur gerade jetzt und hier, sperrig und subjektiv.

Die Struktur ist einigermaßen gleich geblieben, verschiedene Styles für verschiedene Inhalte. Ich unterscheide weiterhin zwischen den Themen Fotografie, Selbstreferenz, Hamburg Leben, Orte, Web und Musik. Eine eigene Seite für Links, weil ich das hübsch anachronistisch finde, keine Kommentare mehr, weil Diskurs ohnehin an anderen Orten stattfindet. Das ist alles. electricgecko, Version fünf. Regular service recommences now.

And while my original form disintegrates, i come to exist as a multiplicity of forms that are not fixed but always redefined by my contiunous engagement with the phenomenas that surround me.

Neuere Texte

Ältere Texte