Being aware/not having to
Being aware/not having to
Es hat etwas für sich, den eigenen Musikgeschmack pro Jahr zu betrachten. Dabei zuzusehen, wie sich aus den wenigen relevanten neuen Alben, der Flut von 12″-Releases und dispersen Begegnungen mit Tracks und Platten der Vergangenheit nach zwölf Monaten ein konsistentes Ganzes ergibt. Egal, wie verloren ein Jahr im März aussehen mag – spätestens zum Sommer ist die definierende Musik vorhanden. Sich darauf verlassen zu können, ist schön.
Obwohl 2011 bisher nicht arm an guten Veröffentlichungen1 ist, habe ich mich sehr über die unwahrscheinliche Begegnung mit Lunapark gefreut. Es handelt sich dabei um eine Gruppe aus Wuppertal, die 1982 ein Album und eine 12″ veröffentlicht hat. Das ist wenig, doch vollkommen ausreichend – denn die Platte namens Gefangene Vögel ist fantastisch.
Lunapark balancieren zwischen ausgehendem Post-Punk und beginnendem Wave. Die Bassmelodie ist also dort, wo sie hingehört (vorne), ihr Synthie klingt roh und direkt, Gitarren sind für Soli und ansonsten Rhythmusinstrument. Alles hallt. Für den Gesang fällt mir nur der englische Ausdruck deadpan ein – eine angemessene Form für richtige Texte wie „Autos Kinder tausend Bilder / keine Resultate / bunte Tafeln an den Straßen zeigen nicht worauf ich warte“. Das Ergebnis ist konsequente Musik – simpel, funktional und hinreichend roh.
Lunapark hatten das Glück, sich aufzulösen, bevor sie Einflüsse zulassen konnten – schließlich einer der Hauptgründe für schlechter werdende Bands. Darum wird Gefangene Vögel eine meiner Platten des Jahres sein, ich bin mir sicher.
Da das offenbar andere ähnlich sehen, gibt es ein digitales Re-Release auf Tusk bei iTunes und eine Myspace-Seite. Das hatte man wohl so, Anfang der Achtziger.
Dirty Gold, Phono, Rau ↩
Es geht schnell, wenn die Entscheidung erst einmal gefallen ist. Darum sind die knapp fünfzig weiß gestrichenen Quadratmeter im Karoviertel kein leerer Raum mehr, sondern ein Studio. Weil Andreas und ich das so nennen, weil wir Tische gebaut und Wände gestrichen haben, weil es jetzt einen Plan gibt, für diesen Raum. Wir durften feststellen, dass die Geschichten der anderen wahr sind – wenn es dein Büro, deine Agentur, dein Laden ist, freust du dich über jedes Regalbrett und das Geräusch der neuen Türklingel.
Long story short – wir freuen uns so sehr, dass wir gern zeigen möchten, was wir gerade tun. Darum veröffentlichen wir ab sofort Fotos aus dem werdenden Studio. Dazu haben wir eine simple Website gestaltet: We Are building a digital design studio.
Es gibt eine Facebook-Seite und einen Twitter-Account. Nicht weil man das so macht, sondern weil wir etwas mitzuteilen haben werden. Weil wir was vorhaben, mit Hamburg.
Und wenn uns jemand fragt, wer wir sind, dann sagen wir: We Are Fellows.
Never do anything by chance. Never settle.
Es ist ja nicht so, dass man die Antwort bereits ausformuliert hätte, als Textdokument auf der Dropbox oder Draft in WordPress. Sie hängt schließlich sehr am Moment, an der überblickbaren Raumzeit also, die Antwort auf die Frage Wie soll dein Leben sein?
Ich habe keine Antwort, so ganz und für alles; und ich bemitleide Menschen, die sie haben. Dennoch gibt es Settings, die sich plausibel und richtig anfühlen, wenn man sie erklärt oder über sie nachdenkt. Für mich gehört dazu seit etwa zehn Jahren die Vorstellung, eine Tür in urbaner Umgebung aufzuschließen, mein Fahrrad in einen klaren, kargen Raum an die Wand zu lehnen, ein Notebook aufzuklappen – und zu tun, was ich tue: Websites gestalten. Ein eigenes Designstudio, das ist eine Checkbox auf der To-Do-Liste. Ich setze einen Haken.
Im Juli werde ich – gemeinsam mit Andreas ein kleines Studio für digitale Gestaltung eröffnen. Meinen Job in der Agentur habe ich gekündigt.
Wir haben das vergangene halbe Jahr darauf verwendet, uns zu überlegen, was wir wollen, was wir nicht wollen und was wir am besten können. Wir haben uns dafür entschieden, Design als Handwerk zu betrachten. Wir haben uns für Hamburg entschieden, gegen größere Strukturen. Es sind Entscheidungen für und gegen einige Dinge mehr gefallen. Ich bin dankbar für die großartige Hilfe, die wir dabei hatten. Ich bin dankbar für eure Ratschläge, eure Bedenken und all das Vertrauen.
Im Juli werde ich mein Fahrrad an Betonwände lehnen. Ich werde mein Handwerk betreiben, on my own terms, ich werde tun, was mir am meisten bedeutet. Ich werde weiterhin in Hamburg leben. Und wenn das alles gut geht, werde ich mir neue Wünsche für die Zukunft überlegen müssen.
Be your own reference
– Claude Draude.
Es gibt Momente, die setzen einen Ort auf die persönliche Landkarte. Oft sind es Augenblicke, in denen auf einmal Dinge zusammenkommen, in denen klar ist: das ist jetzt der Sound, das ist jetzt die Stadt, das sind die Menschen und hier ist mein Getränk. Es gab diesen Moment für mich, als ich gerade nach Hamburg gekommen war, am Ende eines langen Abends. Es war der Moment, in dem ich zum ersten Mal DJ Phonos Welcome to your Life gehört habe und dachte: Ah. Hamburg. Eine Begrüßung.
Seit dem folgenden Tag habe ich das Haus nicht mehr verlassen, ohne diesen Track bei mir zu haben, seine tiefen Flächen und das Läuten der Glocken des Michel am Ende. Im Grunde ist es Soulmusik – die Erkenntnis, alt geworden zu sein. Und das Bewusstsein, dass das nichts ändert.
Nicht nur wegen dieses Tracks (sondern auch wegen nicht eben wenigen Partys und Momente in der Sonne) ist es eine große Freude, dass Henning Besser im Juni sein erstes Album veröffentlichen wird. Und auch diese Platte ist eine Begrüßung, High-Five und Umarmung: Welcome to whereever you’re not. Ich habe bisher nur wenig gehört, doch was ich gehört habe, reicht aus um zu vermuten: Hier kommt eines der Alben des Jahres 2011. Eines, das spezifisch für Hamburg sein wird, weil es einem schwer macht, zwischen Traurigkeit und Schalk zu unterscheiden. Weil wir das hier so machen, in dieser Stadt. Diese Platte könnte den Sommer bedeuten.
A fragile foundation for helpless dream/scapes.
Ich sage es oft, und manchmal sage ich es mit Nachdruck – das Allerbeste an unseren fragmentierten Lebensumständen sind die weak ties, die uns immer wieder in Projekten und Vorläufigkeiten zusammenbringen. Das Allerbeste sind das rohe Talent und die Motivation und die Energie – und die Dinge, die wir uns gegenseitig daraus bauen. Eine Gruppe guter Menschen in Hamburg hat Gottlob Lenz erfunden. Und sein Zuhause, das Chez Lenz.
Denn Gottlob Lenz kehrt in seine Heimatstadt zurück, um den Frühling zu feiern – mit Freunden des Hauses. Und das sind in diesem Fall alle. Im Sinne von Ihr alle. Denn das Chez Lenz ist ein Restaurant. Es befindet sich an einem Ort, den es vorher nicht gab, der von den großartigen Personen hinter Here We Go geschaffen wurde. Das Ergebnis ist wunderschön – etwas zwischen Restaurant mit Stern, Galerie, Fertigungshalle, Kontor und Club. Es gibt Kunst aus Gottlobs Leben, gutes Essen, Sonnenuntergänge an der Elbe, Konzerte, Lesungen, DJ-Sets.
Long Story short: das Chez Lenz eröffnet am 28. April mit einer leider bereits ausgebuchten Vernissage, dem ersten Menü sowie interessanter Tischmusik von Martin Leander (Snake’n’Tiger) und mir. Anschließend ist das Restaurant von Donnerstags bis Sonntags geöffnet – RSVP.
Hamburger: das ist für euch, und es ist wundervoll, ich weiß es.
New York ist auf viele Weisen ein mythischer Ort. Architektur, populäre Kultur, Hip-Hop, Urbanität, Basketball, Moderne – keines dieser Dinge nahm hier seinen Ausgang. Jedes dieser Dinge ist hier kulminiert. New York ist gewissermaßen der Prototyp der modernen Großstadt. Ein Sprawl, in dem alles vorhanden ist, das Menschen wie uns kümmert. In dem alles in Beziehung zueinander gerät – New York State of Mind. Ich habe im März einige Tage in der Stadt verbracht. Es waren zu wenige, um mir ein Urteil erlauben zu können. Doch genug, um zu wissen: New York ist wunderschön, vieles hier betrifft mich. Doch es ist nicht der Ort, an den mein Leben gehört. Aber mehr Besuche wird es geben müssen. Sechs besondere Orte in New York City, New York.
Fotos dieser und anderer Orte in New York gibt es in meinem NYC-Set bei Flickr.
Ich finde es unterhaltsam, Endgültigkeit zu beanspruchen, weil es sich dabei selbstverständlich nur um eine Farce, ein unernstes Maneuver handeln kann. Endgültigkeit bemisst in der Postmoderne genau die Endgültigkeit des aktuellen Moments, des aktuellen Prozesses. All we have is now und dann sollte es wenigstens für immer bleiben. Diesen Zusammenhang kann man auch eleganter ausdrücken.

Dies ist im vergangenen Jahr auf räumliche Weise in Schloss Ringenberg geschehen; in der Ausstellung Le Provisoire, c’est Le Definitif. Hier hat Christoph Platz Arbeiten und Provisorien sehr verschiedener Künstler in Relation gesetzt und zu einer Ausstellung verarbeitet, die für einen Moment lang konsistent war.
Ich hatte – nach meiner Arbeit für Shifting/Positions – wieder die Freude, zur Ausstellungsdokumentation beizutragen. Für Le Provisoire, c’est Le Definitif habe ich einen Katalog gestaltet, der verschiedene Zugänge, Haptiken und Leserichtungen erlaubt. Statt, wie üblich, das definitive Wort zur Auseinandersetzung mit der Kunst zu beanspruchen. Er ist endgültig vorläufig. Das ist alles, worauf wir hoffen dürfen.
Fotos vom Katalog gibt es bei Flickr.