electricgecko

März

NYC

Let’s push things forward.

Hamburg! Ihr wisst, der Ort, an dem man wenig Aufhebens um die guten Dinge macht. Und die Zeit statt dessen darauf verwendet, sie noch etwas zu polieren, ihnen Eigenarten zu geben. Und weil ehrliche Hingabe glücklicherweise von kulturpolitischen Brandrodungen nicht betroffen ist, finden wir auf unseren Wegen, zwischen Altona, Bahrenfeld und Winterhude allerlei Schönes, Hingebungsvolles. Gründe zum Lächeln und Anlässe zum Tanzen.

Verantwortlich sind dafür immer wieder auch die wunderbaren Menschen bei I saw Music, die nicht nur relevante Popmusik veröffentlichen, sondern auch regelmäßige Soirées veranstalten, die in ihrer Konsequenz und Ausgestaltung zum Schönsten gehören, was die Nächte dieser Stadt zu bieten haben.

Am Freitag findet in dieser Tradition Auf den Trümmern statt, eine Tanzveranstaltung im Turmzimmer des Uebel & Gefährlich. Wäre das Lineup nicht so gut – man müsste die Nacht zum Sonnabend dennoch dort verbringen. Denn die Plakate und Mixtapes (von Lorin Sylvester Strom und Max Motor) zur Veranstaltung sind so liebevoll gestaltet, gedruckt, aufgenommen und in den Vierteln dieser Stadt verteilt worden; die Neugier hätte ausgereicht.

Mit etwas Glück finden sich in guten Cafés und Bars noch einige Exemplare der blauen Kasetten mit intelligenter elektronischer Musik. Alternativ weiß ich eine Abkürzung: Auf den Trümmern-Tape, zum Download. Viel besser als das ist nur eine Party in Hamburg. Und zwar diese.

  • Auf den Trümmern – Tanzveranstaltung
    Sets von Sebastian Kokus und Lorin Sylvester Strohm, Max Motor und on:stop:off (live). 4. März 2011, Turmzimmer Uebel&Gefährlich, Doors: null Uhr.

Februar

Der Barbican-Komplex ist einer der erfreulicheren Orte, an denen man sich in London aufhalten kann – eine gleichermaßen schöne wie dysfunktionale Utopie urbaner Planung, eine Arkologie in einer organischen Stadt. Besonders schön ist es, dass auch das Barbican Art Centre als planvoll konstruierter Sozialraum die kompromisslose Formsprache fortsetzt. Besonders beachtenswert: Innenarchitektur und Leitsystem von AHMM.

Ich hatte im Januar das Glück, in diesem Kontext die Ausstellung Future Beauty: 30 Years of Japanese Fashion zu sehen. The first exhibition in Europe to comprehensively survey avant-garde Japanese fashion, from the early 1980s to the present, soweit die Ansage. Dann die Ausführung: der dreistöckige white cube des Barbican Art Centre zeigt – auf porzellanweißen Puppen – Looks von Rei Kawabuko, Yohji Yamamoto, Junya Watanabe und einigen weiteren Designerinnen und Designern, wobei die drei großen Namen den überwiegenden Teil der Arbeiten ausmachen. Der Fokus liegt eindeutig auf den achtziger Jahren; der Zeit, zu der die monochromen, formal minimalen Kollektionen zum ersten Mal auf den Shows in Paris zu sehen sind. Wie eindrucksvoll ihre Präsenz gewesen sein muss, lässt sich auch 2011 sehr leicht nachvollziehen: Die gezeigte Stücke der Comme des Garçons-Kollektion (1982, Frühling/Sommer) sind von derartiger Klarheit und Konsequenz, dass es einen Augenblick dauert, bis man die emotionale Qualität der Kleidungsstücke erkennt. Weil sie nicht Teil der Mode ist – sondern ihre Funktion.

Rei Kawabuko für Comme des Garçons, 1982

Im Zentrum des Interesses steht nicht die Gestaltung eines Produktes, sondern vielmehr die bewusste Entwicklung eines Prozesses: welche Rolle nimmt das Kleidungsstück ein? Wie verhält es sich im Raum und wie zu anderen Elementen der Mode? Wie zu den unbekleideten Teilen des Körpers? Die ausgestellten Designer betonen kulturgemäß nicht die Objekte selber, sondern die Räume zwischen ihnen – the space between two structural parts.

Es ist dieses Konzept von Ma, das die Ausstellung im Barbican eindringlich vermittelt. Ihre Stärke liegt in der Spannung zwischen den einzelnen Arbeiten, ihrer Einordnung und Auszeichnung, getrennt durch halbtransparente Papierbahnen. Dem fragilen Konstrukt, dem Gespinst der Ausstellung kommt dabei der brutalistische Charakter des Gebäudes entgegen. Er hält die Spannung.

Ich habe das Barbican sehr ruhig, voller Gedanken und mit einem vollgeschriebenen Notizbuch verlassen, fasziniert von der Perspektive und der Prozesshaftigkeit der ausgestellten Mode. Ihre Prämissen erscheinen mir intuitiv richtig; sie ist nicht sinnvoll – sie macht Sinn.

  • Future Beauty: 30 Years of Japanese Fashion, 15. Oktober 2010 – 6. Februar 2011, Barbican Art Gallery. Fotodokumentation der Ausstellung.

Ich sage es jedes Mal und entkräfte meine Aussage anschließend selbst. Die Ansage: Ich mag Konferenzen nicht sonderlich. Das Entscheidende (miteinander reden) wäre auch in anderen Rahmen möglich – und einen Punkt machen, eine Meinung vertreten, einen Votrag halten, das funktioniert auch im Web. Die Entkräftung: Ich werde in diesem Jahr zum SXSW fahren. Genauer gesagt in das Land, in dem es üblich ist, Städten ihren Bundesstaat nachzustellen. Noch genauer gesagt nach Austin, Texas.

Ich freue mich aufs Verlieren im Gewühl, auf wirklich kluge Menschen und Podien, die den Namen verdienen. Auf die Sonne und meine Mitreisenden Kriesse, Daniel, Max und Igor. Und ich freue mich über Anwesenheitsmeldungen, gemeinsame Flat Whites und Drinks in Texas. Meldet euch!1

Schließlich: Ich freue mich auf einige Tage in New York, auf Highline Park und ein Hotelzimmer im vierzigsten Stockwerk. Hoch, so Hoch.


  1. Zum Beispiel via Lanyrd oder Plancast

Manifeste sind eine problematische Sache, weil sie Endgültigkeit beanspruchen. Und zwar dadurch, dass sie einen Gedankengang in formulierter Form externalisieren und aus weiteren Überlegungen ausklammern. Die Regeln des Manifestes müssen nicht mehr bedacht werden, weil sie die Regeln sind, nach denen gedacht wird. Manifesten sollte man aus dem Weg gehen, solange sie sich nicht selbst hinterfragen.

Yanagi Soetsu hat 1926 ein Manifest geschrieben, das sich selbst gehorcht, überschrieben mit Kojinmei-kibutsu nanasoku (Maximen für Handwerker – 7 Regeln für Gefäße)1. Die klare, starke Form des Textes entspricht seinem Inhalt. Sein Inhalt trifft auf moderne kreative Arbeit ebenso zu, wie er die vorindustrielle Fertigung von Werkzeugen, Kleidung und Möbeln getroffen hat. Es hat mich sehr beeindruckt.

Macht schöne Dinge.
Macht Dinge, die man benutzen kann.
Macht einfache Dinge.
Hütet euch vor zu viel Kunstfertigkeit.
Hütet euch vor zu viel Wissen.
Das Werk sollte gesund sein.
Achtet die Handarbeit.
Seid darauf bedacht, den Preis niedrig zu halten.
Macht Gefäße, die ihr selbst gern benutzt.
Das Werk sollte bescheiden sein.
Innere Klarheit ist die Grundlage der Schönheit.
Beachtet die Eigenschaften des Materials.
Beobachtet die Natur intensiv.
Das Gefäß zu formen entspricht der Formung der eigenen Persönlichkeit.

Ich habe den Gedanken der Schönheit durch Funktionalität nirgends besser formuliert gelesen. Oder, wie Yanagi Soetsu feststellt: Schönheit ist das Wichtigste, doch der Entwurf darf niemals mit ästhetischen Überlegungen beginnen — sondern mit funktionalen. Ich werde das berücksichtigen, mehr denn je, bei der Gestaltung eines Plakates.


  1. Yanagi Soetsu, Kogei no michi, Tokio, Band 8, Seite 33 

Januar

Gold Silber
A statement of 間, the Japanese notion that voids between objects are not merely empty, but rich and energized spaces. (Quelle)

Dezember

Mal wieder und immer wieder der letzte Tag eines Jahres. Ich erinnere mich an die Nächte vorm Monitor, den Wind im Gesicht und im Rücken, das Gewitter auf der anderen Seite des Sees. An Haut und Sand, Wien, Paris und Dänemark, einer Entscheidung für Hamburg, an die Nächte in Berlin, an all die Drinks, die Performances und das Zusammenklappen, Win und Fail und immer wieder immer wieder. Songs und Tracks für 2010:

Winter

  • Lykke Li – Dance Dance Dance
  • Ja, Panik – Paris
  • Pantha Du Prince – Lay in a Shimmer
  • Four Tet – She only wants to fight
  • Benjamin Brunn & Move D – Love the one you’re with
  • Jose James – Blackmagic (Joy Orbison’s Recreation)
  • Pantha Du Prince – Stick to my Side
  • Shed – Warped Mind
  • Christian Naujoks – Light over the Ranges

Frühling

  • Autos und Mädchen – All the World loves Lovers
  • Flying Lotus – Do the Astral Plane
  • Delta Funktionen – Deflection
  • Big L– Da Graveyard
  • Coma – Crystal
  • New Order – Dreams never End
  • Foals – After Glow
  • Superpunk – Das Feuerwerk ist vorbei
  • Efdemin – Oh my God

Sommer

  • Matthias Reiling – Just in Time
  • Efdemin – There will be Singing
  • Matthias Meyer – Infinity
  • Souls of Mischief – ’93 till Infinity
  • Lawrence – Happy Sometimes
  • Maxine Nightingale – Right Back where we started from
  • Marek Hemmann – Gemini
  • 1000 Robota – Fahr Weg
  • The Human League – Don’t you want me
  • Foster – Quiet before The Storm (Quarion Remix)

Herbst

  • anbb – Ret Marut Handshake
  • Éloi Brunelle – Oberkampf
  • Shed – The Bot
  • Surphase & Rktic – Tidenhub
  • The Aim Of Design Is To Define Space – It’s a bloody Kippenberger
  • MIT – Nanonotes
  • Pantha du Prince – Water Falls
  • Siouxsie & The Banshees – Hong Kong Garden
  • MIT – Univers

Winter

  • Alex Boman – Purple Drank
  • Lawrence – Dwelling on the Dunes
  • anbb – One
  • Gold Panda – Snow & Taxis
  • Christopher Rau – The Needs
  • Phantom/Ghost – My Secret Europe
  • New Order – Temptation
  • The Human League – I love you too Much (Demo Version)
  • The Soft Moon – Dead Love
  • Phantom/Ghost – The Shadow im Schutt (Pantha du Prince Remix)
  • New Order – Perfect Kiss

Sets

Live

  • Pantha du Prince, Melt! Festival, Gräfenhainichen
  • Four Tet, Melt! Festival, Gräfenhainichen
  • anbb, Kampnagel, Hamburg
  • Kollektiv Turmstraße, Ego, Hamburg

Seit electricgecko.de aus Versehen zu einem Periodikum loser Folge geworden ist, ist der Stream of Consciousness mein Kanal für allerlei Kram. Seit 2007 sample ich dort via Tumblr interessante Formen und Inhalte zu einem Pastiche, das höchstens subjektiv Sinn ergibt. Aber gerade als solches ist es mir sehr ans Herz gewachsen. Weil es eben so schön aussieht, wenn man durch drei Jahre Grafikdesign, Architektur, Mode, Frisuren und Textschnipsel navigiert.

Doch weil die Fragen der Form interessanter sind als solche des Inhalts, habe ich den Stream of Consciousness nach langer Zeit neu gestaltet. Es gibt eine neue Primärfarbe, andere Schriften und ansonsten wenig. Aber das Wenige, das ist immerhin schön und interessant. Doch sehen sie selbst.

soc.electricgecko.de

Eine Aneinanderreihung von Ereignissen ist nur schwer als Zeitraum oder gar konsistente Geschichte zu schreiben, wenn ihr Kontext fehlt. Ihr Kontext, das ist zumeist die Stimmung und ein Gefühl. Das ist das Sonnenlicht auf deinen Armen und die Alben in der Playlist namens Current Rotation auf deinem iPhone.

Dieses Jahr war ein fantastisches Jahr für Musik. So viele exzellente Releases. Was Popmusik und das erstaunlicherweise nach wie vor existierende Albumformat betrifft, sind es zuallererst diese fünf Veröffentlichungen, die meine Ereignisse zu Geschichten gemacht haben. Die fünf wichtigsten Platten, zweitausendzehn.

  • anbb – Mimikry
    Dass das erste Album in der Kollaboration zwischen Blixa Bargeld und Alva Noto so wichtig war, hat mit einem der eindrucksvollen, eigenartigen Konzerte des Jahres zu tun. Und mit brachialer Zerbrechlichkeit, Statik und formaler Konsequenz. Diese Platte in der Nacht, zum Ende hin, wie gesagt.
  • The Soft Moon – The Soft Moon
    Wie Quad Throw Salchow im vergangenen Jahr hätte The Soft Moon keinen besseren Zeitpunkt für sein Debutalbum wählen können – eine Winterplatte durch und durch: Düster, kalt, treibend. Allem voran Dead Love, einer der besten Wave/Gitarrensongs des Jahres. So hätten The XX klingen können, wenn sie nicht so unbeschreiblich langweilig wären. Mehr Coolness, bitte.
  • Efdemin – Chicago
    Chicago, eine ganz andere Sache. Auf seinem dritten Album entwickelt Efdemin einen organischen Zugang zu House, zu freier elektronischer Musik. Chicago ist eine Jazzplatte, ein Pop-Album und die Musik des beginnenden Sommers – und dazu hätte allein Oh my God ausgereicht. Es ist außerdem das wohl am schönsten gestaltete Album des Jahres.
  • Mit – Nanonotes
    Nun zu den Besten. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Mit zwei Jahre nach Coda ein Album veröffentlichen, dass alle früheren Releases in Eigenständigkeit, Klugheit und Ästhetik bei weitem übertrifft. Und dabei waren Mit bereits brillant, ungestüm und schlau. Nanonotes ist einen Schritt weiter, textlich wie musikalisch stripped, auf den Punkt, universell. Wohl die meistgehörte Platte 2010 und die beste Popmusik der letzten Jahre. Alles weitere in Extensio hier.
  • Pantha du Prince – Black Noise
    Das erste und das letzte Album. Das kälteste und das wärmste Album des Jahres. Ein Schimmern, ein Glänzen, gefrorene Felder, Schutt und Eis, abstrahierte Natur, Elektroakustik. Die Kapuze, das Wehen, ein schöner Künstler. Es wird nie eine Platte geben, die besser zur zutiefst artifiziellen und zugleich naturnahen Beobachtungssituation passt, die entsteht, wenn man durch ein Flugzeugfenster auf die ewig vereiste Welt blickt. Mein Jahr in Nuce, Black Noise, ein großes Kunstwerk.

Weiterhin erwähnenswert, in keiner besonderen Reihenfolge: Gold Panda – Lucky Shiner, Various – Dial 2010, Shed – The Traveller, Lawrence – This Night Will Last Forever, Tocotronic – Schall und Wahn, Coma – Crystal EP, Flying Lotus – Cosmogramma, The Human League – Dare!, Foals – Total Life Forever, Four Tet – There is Love in You, Superpunk – Die Seele des Menschen unter Superpunk, Christopher Rau – Asper Clouds

Seit einigen Monaten schreibe ich als Sidekick von Kacper (of Stijlroyal Fame) regelmäßig über gute Kleidung, erfreuliche Möbel und verwandte Stilfragen im programmatischen Journal The Modern Gentleman. Zum Ende des Jahres — doch nicht nur dafür — haben wir uns etwas Schönes ausgedacht. Ab sofort finden die Leserinnen und Leser unserer Publikation neben unserer regelmäßigen Auseinandersetzung mit Fragen des Auftretens, Wohnens und Benehmens auch eine ansehnliche Sammlung dazu geeigneter Kleidung und Accessoires. Eine Augenweide und etwas für die seltenen Tage, an denen alle anderen Modeblogs und Onlineshops allzu langweilig erscheinen.

themoderngentleman.de/lookbook

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