electricgecko

April

We’re the waiting ones

Die re:publica 09, das ist zunächst einmal ein Ort, an dem sich Menschen treffen, die ein Set von Publikationstechnologien nutzen. Der gemeinsame Grund, das ist die erfolgreiche Annahne und Unterstellung, dass alle anderen zumindest bis zu einem bestimmten Punkt verstehen, wie diese Technologie funktioniert und wie sie Persönlichkeitskommunikation verändert. Das kann man auf den Gängen beobachten, bei Twitter (#rp09) oder daran erkennen, wie selbstverständlich alle über Memes und Applikationen sprechen.

Auf den Panels, an Wasserglastischen, unter den Scheinwerfen sitzen dennoch Menschen, die ihre Beiträge mit der Erläuterung der Techniken beginnen. Die Orte zu erklären, die Art ihrer Nutzung zu erläutern und sich in endlosen Fallbeispielen aus ihrem reizarmen Leben ergehen.

(Das mündet beispielsweise in marmeladigen Dialogen darüber, wie man Follower pflegt und ihnen etwas bieten kann. Die Handlungsmechanismen und die Grammatik ihrer Formulierung sind gleichermaßen einfach: „Wenn mir jemand nicht zurückfolgt dann habe ich ja nichts davon.“)

Sie sprechen über diese Themen, während um sie herum mehr als tausend Menschen die beschriebene Technik nutzen, publizieren, Mashups bauen, sich über ihr Nichtfunktionieren aufregen. Statt das zu berücksichtigen, gravitieren die Diskussionen des ersten Tages einmal mehr auf das große Schwarze Themenloch Blogs und die etablierten Medien zu, dessen Diskussionswert sich seit Jahren allein daraus ergibt, dass seine Fragen konsequent auf unterhaltsame Weise falsch gestellt werden. Same old, same old.

Kurz: Man wundert sich über mangelnde Abstraktion und Prgressivität – wo, wenn nicht hier, auf dem Turf der „digitalen Avantgarde“ (tagesschau.de). Das ist keine Innenperspektive. „Die bisher auf der Konferenz geführten Debatten lassen keinen anderen Schluss zu. Sie hätten so auch vor einem Jahr stattfinden können. Oder vor zweien. Haben sie auch“. Das steht in der Zeit. Diese Dinge sind offensichtlich.

Während der Keynote von Jimbo Wales twittert Thomas Knüwer: „Jimbo Wales is explaining Wikipedia – did someone tell him who he’s talking to? #fail #rp09„. Fail re:publica 09. Man muss das auch anders sehen können.

Wir berichten und wiederholen die Eigenschaften und Reichweiten unserer Applikationen, Technologien und Websites immer und immer wieder. Und wir tun das für uns. Wir werden nicht müde, uns selbstflexiv die Funktionsweisen und sozialen Implikationen unserer eigenen Produkte zu erklären. Wir tun das, weil wir es immer noch nicht fassen können. Dass dieses mal wir etwas in den Händen halten, das Kommunikation, Wirtschaft und Wirklichkeit radikaler verändert als jedes andere technische Phänomen der Moderne. Die digitale Avantgarde des Netzes ist noch damit beschäftigt, sich mit großen Augen anzusehen. Das muss man ihr zugestehen.

Wir vergewissern uns immer noch, beständig und gegenseitig. „Man is this real?“ Einfach, weil wir begeistert sind.

Das ist deshalb noch kein re:publica 09 ftw und yay und w00t! Aber wenn die Webszene extrovertierte, ehrliche Begeisterung über eine relevante Sache generiert und reproduziert – dann ist das schon einmal mehr, als die meisten anderen Dinge und Themen unter postmodernen Bedingungen zu erreichen hoffen dürfen.

März

Sachinformation: Ab Mittwoch werde ich etwas sehr vorhersehbares tun; ich nehme an der re:publica 09 Teil. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Zusammentreffens in der Nähe der Veranstaltungsorte Friedrichstadtpalast und Kalscheune rapide an.

Ich bin mir noch nicht ganz sicher, welche Panels ich besuchen möchte – aber ich werde mich sehr wahrscheinlich beim 4chan-Talk, der Hype Machine, beim Mashupthema und selbstverständlich bei Cory Doctorow herumtreiben. Alles andere wird Zufall, Treibenlassen und Durcheinander. Ich freue mich aufs Händeschütteln, Zuhören und Rumlaufen. Schubst mich um, falls ich zwischen morgen Abend und Freitag zufällig wie taub und blind an euch vorbeilaufe!

Berlinerinnen/Berliner! Nach dem großen Mundwässrigmachen folgt das große Gutfinden und Genießen. Es geht um das neue Opak Magazin, das in den letzten Monaten seinem Namen alle Ehre gemacht hat. Und weil gute Zeitschriften wie alles andere auf der Welt eine Release-Party verdient haben, ist es nur angemessen, dass eben diese am Donnerstag in der Bar in der Karl-Marx-Allee 36 stattfindet. Ich werde leider nicht dort sein können – aber ihr, Berlinerinnen/Berliner, ihr solltet. Denn am Opak Magazin sind so viele entschlossene, fähige und schöne Menschen beteiligt, dass beides gut werden muss: Release-Party und Heft. Und: wenn das Editorial Design auch nur ansatzweise mit der Plakatgestaltung zu tun hat, folge ich Lisas Rat.

Feiert! Ich denke an euch.

Opak Release Party

Miyagi - How to do it EP
Es läuft, wie es immer läuft. Miyagi sind eine Gruppe, sie veröffentlichen Platten. Kriesse und ich sind Gestalter, wir denken uns auf Zuruf Zeug dazu aus. Für die neue How to do it EP ist uns was mit Weltall und Public-Domain-Fotos des Hubble-Telekops eingefallen. Die Zusammenhänge erschließen sich nicht auf den ersten Blick, aber es muss ja auch noch Gründe geben, diesen Tonträger samt digitaler Verpackung bei iTunes zu erwerben. Weitere Gründe: Neben dem Titelsong gibt es diverse hitfähige Remixe (unter anderem von Frittenbude) und eine vertrackte Liveversion von Sideways. Ich empfehle wärmstens.

Ich werde das Wochenende und einige Tage drumherum in Berlin verbringen. Daniel, ich und unser ortloses, ausschließlich aus bekritzelten Zetteln und Milchkaffee bestehendes Webstudio werden die Orte dieser Stadt auf ihre Arbeitsplatzfähigkeit hin testen. Wir werden uns Gedanken machen, Limonade trinken und uns überlegen, was wir zum Web beitragen können. Berlin soll uns über die Schultern sehen, Steckdosen und kabellose Netzwerke zur Verfügung stellen und ansonsten vor allem das tun, was es am besten kann: inspirieren.

Am schönsten ist es, etwas Neues anzufangen. Vorläufig zu handeln und mittendrin alles wieder umzuwerfen1. Mit dem Web und im Web zu arbeiten ist ein großer Luxus. Weil Fehler nichts kosten, weil niemand verletzt wird, weil du nach einer Woche oder zwei Jahren alles wieder verändern kannst. Weil du das spätestens dann tun musst. Wir werden umwerfen und wir werden uns etwas Neues ausdenken.

Wer Lust hat, uns irgendwo auf einen Kaffee besuchen zu kommen, mitzugestalten, mitzucoden ist herzlich eingeladen. Wir freuen uns über Pings und Heyheyyeahs durch die angegebenen Kanäle. Die Überschrift erscheint mir im Nachhinein etwas pathetisch. Nun ja.


  1. Alles endgültig vorläufig, alles nur vorläufig endgültig. SJS. 

Was DJ Koze anfasst, wird zu Gold. Oder besser gesagt: Was DJ Koze anfasst, das wird zuerst ganz kantig und anschließend von einer besonders fürsorglichen Person mit violettem Samt überzogen. Musik beschreiben, das ist albern. Darum das Wichtigste in Nuce: Riesenmixtape von Stefan Kozalla im Podcast von Resident Advisor. Elektrokram, Field Recordings Skateboardrollen, Treppentreten, spanische Gitarre, Vertracktes, Albernheiten, alles vorhanden in einer Stunde bester Unterhaltung. Groß.

Nach einer (kostenlosen) Registrierung gibt es hier den Download und dort den Podcast-Feed (iTunes-Link). Via Jens Nikolaus.

Dass der seit Langem zum Bureau angewachsene Gestalter Mario Lombardo konsequent herausragende, manchmal atemberaubende Arbeit abliefert, ist nicht neu. Seine jahrelange Art Direktion für Spex, zwei herrliche Plattencover und diverse Tourplakate für die Gruppe Fotos, weitere Cover und Artworks für das inzwischen verloren gegangene Label Labels und zuletzt die Liebling – diese Dinge sind Dokumente eines visuellen Status Quo, das Mario Lombardo erst aus Köln, dann aus Berlin maßgeblich mitbestimmt hat.

Man durfte erwarten – oder zumindest hoffen – dass das Bureau wie viele andere Editorial-Designer am Web dauerhaft scheitert. Dem ist nicht so. Die neue Präsenz des, Achtung, Bielefelder Kunstvereins ist eine der wenigen Websites, die sich extrem hochwertig anfühlen und gleichzeitig dem ärgerlichen Plastikzuckergussmainstream zeitgenössischen Webdesigns widersetzen. Dass die Plakate ebenfalls ganz wunderbar sind, ist naheliegend.

Die Gestaltung tut alles, was eine Website dieser Art tun sollte. Sie erzeugt große visuelle Spannung. Sie ist so simpel wie möglich. Sie findet die einfachste und schönste Lösung für ihre Layoutfragen, wie der Umgang mit Fotografien in den Bereichen Ausstellungen und Institution beweist.

Das Video-Interview mit Mario Lombardo im Folge Mag ist zwar schon etwas älter, aber immer wieder mit Gewinn anzusehen. Der sehr gute Titel dieses Eintrags ist von der alten Website des Bureau gestohlen.

Wir sollten alle die MARK lesen. Wir sind keine Architekten, jedenfalls nicht im engeren Sinne. Doch MARK, der Architektur-Ableger der Frame, bietet so viele Ecken und Kanten, dass sich die Auseinandersetzung aus jeder Perspektive lohnt. Zuerst: Die Gestaltung gehört zum Besten, was momentan auf dem europäischen Zeitschriftenmarkt zu bekommen ist, spielt also in einer Liga mit Fantastic Man, Apartamento und Neue Mode Magazine. Vielleicht ist sie sogar besser als diese Titel, weil sie anspruchsvollere Designaufgaben (will sagen: keine Modestrecken) mit unorthodoxeren Methoden auf spannende Weise löst. Doppelseite der aktuellen Mark

Zweitens: Die Breite der Themen und Perspektiven ist eine einzige Freude. Wie von den Damen und Herren in den schwarzen Rollkragen gewohnt, setzen sich die Inhalte zu gleichen Teilen aus ästhetischen Auseinandersetzungen mit Gegenwart und Zukunft, Architekturshowcases, sozialgeographischen Reportagen und haltloser Fabuliererei zusammen. Das ist eine sehr angenehme Mischung. Für den perfekten Sonntag fehlen dazu eigentlich nur noch ein Barcelona Chair und die notwendige Brille. Die Moderne rettet ihre Kinder. Und bis es so weit ist hat sie wenigstens etwas Vernünftiges zu Lesen für uns.

MARK – Another Architecture, circa 200 Seiten, Mark Publishers, 19.95 €.

Februar

Das ewige Nachdenken über die Zukunft! Neue Nanowerkstoffe und Lösungen für die Kommunikationsprobleme folgender Generationen denken sich nicht selbstständig aus, und die Miesere mit dem Klima mag auch noch nicht von der To-Do-Liste verschwinden. Um so angenehmer, wenn man sich zumindest nach Feierabend entspannenden Zerfallsgedanken widmen kann. Dystopien bieten eine willkommene Abwechslung. Bereits fertige Dinge kaputtdenken, das geht leicht und funktioniert auch auf der Couch. Bleibt der Geistesblitz aus, darf alles auch mal irgendwie auseinanderfallen.

Die Frage, was mit der Erde passiert, wenn all die Leute nicht mehr vorhanden sind, ist nur die Startoperation. Wölfe im Central Park, erodierende Glasfassaden, löwenbezahnte Autobahnen. Wohin mit all dem Plunder?

Die Tristesse von Morgen schon heute – die Gegend um Tschernobyl macht es vor. Seit der Katastrophe lässt sich in der Umgebung des alten Reaktors beobachten, was mit Infrastruktur und Zivilisationsmaterie passiert, wenn sie keiner mehr bewohnt, aufräumt und gelegentlich neu streicht. Hallenbad, Freizeitpark, Monumente – die Dinge verwandeln sich zurück in Natur. Architektur und Zivilisationsobjekte haben diesem Prozess weitaus weniger entgegen zu setzen, als man annehmen würde. Die Serie Life after People des History Channel geht von einigen tausend Jahren aus; bis dahin sollten die meisten Dinge das leidige Existieren aufgegeben haben. Abgesehen von wirklich monumentalen Strukturen (Pyramiden und ähnliche Größenwahnsinnigkeiten) werden sich wohl Gebäude aus den Chefmaterialien Glas und Stahl halten. Immerhin, na also: ein später Triumph der Moderne. Die Tiere werden die neue Situation übrigens unterschiedlich gut aufnehmen. Doch wir können aufatmen: die Katzen kommen durch.

Das komplette Pripyat-Set von Dazzababes gibt es bei Flickr. Das Thema wurde außerdem ausführlich im rumdherum exzellenten Space Collective behandelt. Dort lässt sich zumindest ein wenig Zeit mustergültig vernichten.

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