electricgecko

September

Das Vorhandensein der Musikgruppe Ja, Panik ist eine Freude. Das ist nicht neu, im Gegenteil, The Taste and the Money war eins der besten, wichtigsten und schönsten Alben des letzten Jahres. Weil es mit seinem strubbeligen Soul, der Lust an Parolen und der Wahrheit eine eigene Sprache gefunden hat. Eine Sprache für die albernen Situationen, in denen man sich als nicht mehr vollständig junger Stadtbewohner zwischen Wochenende und Wochentag wiederfindet. Weil ihr ein Manifest voranging, das mit Nachdruck den einzigen Ausweg forderte:

Glaubt an wenig! Glaubt an die Liebe! Fürchtet wenig! Fürchtet nur die erschreckenste, schlimmste Angst aller Ängste, den endlosen Kreislauf, die Wiederholung: the taste is familiar and so is the sound.

Sich als Musikgruppe Unklarheit und Unbestimmtheit nicht nur zu trauen, sondern sich ihr zu verschreiben — das ist nicht selbstverständlich, sondern gefährlich. Das Spiel mit übermütigen Ansprüchen, Manifesten und einer anmaßenden Grundhaltung wirkt geradezu albern in der musikalischen Umgebung der iTunes-Bibliotheken. Sinn machen einzig die Platten der Ronettes, von Martha Reeves und den Four Tops. Das ist Soulmusik. Ihren Tonfall besetzen Ja, Panik. Nur eben für eine andere Zeit und mit einem letzten Rest Wienerisch in den Stimmen. Damit kann man nur gewinnen. Folgerichtig heißt es in der Ansage zur neuen Platte:

Der Mangel ist unsere glänzendste Eigenschaft. Wir werden nichts erklären, nichts begründen, wir haben nichts verloren als unser Interesse.

Ich wüsste nicht, wer (außer vielleicht The Aim of Design is to define Space) momentan einen so klaren, nahen und überzeugenden inhaltlichen Entwurf von Popmusik anzubieten hat. Wie auch immer. Ich empfehle dringend das Video zur neuen Single Alles hin hin hin. Jedes Wort des Songs ist wahr.

Am 25. September erscheint das neue Album der Gruppe Ja, Panik. Es heißt The Angst and the Money. Man sollte ihnen zuhören.

August

Die Dinge laufen behäbig, aber sie laufen. Freie Stunden der letzten Wochen habe ich zu gleichen Teilen auf Wiesen, Picknickdecken und mit der Futura Condensed verbracht. Produktiv geht anders. Aber immerhin ist das ja auch ein Sommer, den man so nennen darf. Da muss es reichen, zu prokrastinieren, Produktivität also nur zu spielen. Und vollauf damit zufrieden sein, Neues vorzubereiten.

Will sagen: es gibt hier einen neuen Seitenkopf, Platz für schöne neue Navigationspunkte und einige weitere Kleinigkeiten. Das war nötig, um Platz für die eine oder andere Idee und neuen Content zu schaffen. Bis es damit soweit ist, dauert es allerhöchstens noch bis zum Herbst.

Bis dahin lege ich euch die schlicht betitelte gemeinsame Platte, die II von Lindstrøm & Prins Thomas an eure Herzen. Die Wolken und Picknickdecken, die ohne dieses Album gut sein sollen, die soll mir erstmal jemand zeigen.

Juni

Auch wenn Computerspiele inzwischen auf einem guten Weg in die Bewertungs- und Reflexionsmechanismen der Hochkultur sind (Game Studies, Ludologie, whatever) – Bestätigung als Schauplatz audiovisueller Innovation erhalten nur wenige. Wenn, dann geht es eher um gesellschaftliche Trends oder die unvermeidlichen gewalttätigen Jugendlichen. Halt um Tron und die Sims und World of Warcraft und das ist ja auch verständlich, man kommt ja nicht um sie herum, diese Holzhämmer jedes Soziologieseminars.

Für mich dürfen die Umwälzungen auch gern mal etwas kleiner sein und sich auf innovative Looks, Gameplay-Ideen oder gute Soundtracks beschränken. Was diese Dinge angeht, ist das iPhone momentan das relevante Device. Weil es seinen Entwicklern – Prozessorupdate hin oder her – nach wie vor interessante Beschränkungen in Hard- und Software auferlegt.

Edge ist ein großartiges Beispiel, das diese Beschränkungen nutzt, um Standards zu setzen. Das geometrische Stresspuzzle etabliert einen wunderschönen, auf das Wesentliche beschränkten visuellen Stil, der das Gameplay stützt, statt es mit Effekten und Farben zu verkleben. Das Beste an Edge ist jedoch der Soundtrack – eine solche Bandbreite toller elektronischer Musik für ein Drei-Euro-Spiel ist nicht beeindruckend, das ist kurz vor unglaublich. Waviges Weltraumzeug (Voyage Géométrique) wechselt nahtlos in vertrackte Beatskizzen (Pad) um schließlich im straighten Chiptunes-Banger Kakkoi! zu kulminieren. Das alles komprimiert und geradeaus auf den Punkt, eine Freude, ein Wahnsinn,

Alle 19 Tracks gibt es auf der Edge-Website als kostenlosen Download.

Eine Stadt aus Stahl und Schrottmetall stapft voran, zerklüftet und mechanisch. In ihren Rumpf schälen sich silberne Bahnen durch Neonlicht und Nebel, wie Shuttles oder mechanische Sandwürmer. Ihre Kontrollkonsolen sind kaputt, Kabelstränge und Platinensplitter überall. Dein Blick fällt durch gelbes Glas auf Stadtviertel, die schon vor Jahrhunderten verlassen wurden. Ein Fluss aus rostigem Wasser, das Ufer nichts als Sand und übrige Monumente. Raus aus der Bahn und über Feuerleitern eine Ebene hinab, die Luft ächzt unter elektrischer Ladung. Schweiß auf deiner Haut, Explosionen in der Ferne. Jedes Geräusch eine Gefahr, die Prachtstraße ist ein Minenfeld.

Der Weg durch Berlin, er sieht so anders aus zu Cyclotron1.


  1. Harmonic 313When Machines Exceed Human Intelligence, Warp. 

Mai

Solange der alte Allgemeinplatz vom Content als King und Kriterium noch wiederholt und geglaubt wird, solange werde ich nicht müde, dagegen zu halten. Zu behaupten, dass Form und Präsentation mindestens Queen und gleichberechtigt sind. Inhalte sind verfügbar und austauschbar, für wenig oder kein Geld zu haben. Es gibt mehr Mängelexemplartaschenbücher als reguläre Ausgaben. Doppeldigipack-Editionen relevanter Platten kosten einstellige Eurobeträge und damit weniger als ein Plastikessen in der Mönckebergstraße.1

Den Unterschied macht die Form, Inszenierung, Performance. Nichts kann mehr gut sein, das nicht gut aussieht (Credit: ZIA). Gestaltung ist nicht, was drumherum ist. Gestaltung ist, was den Inhalt zu etwas Relevantem macht. Zwei Beispiele, über die ich mich heute sehr gefreut habe.

Erstens, eine neue Reihe von Science-Fiction-Klassikern. Ich habe für diese Sorte Literatur recht wenig übrig. Doch die Art, mit der Sanda Zahirovic aus extremer Mittel- und Materialbeschränkung eine umwerfende Serie von Coverartworks kreiert hat, gibt der Auflage eine andere Qualität. Das Artwork für Eon von Craig Bear – ein Foto des Titelprints auf einem eingerollten Druckbogen – ist nichts weniger als grandios. Dabei ist der kurze Umweg über die dritte Dimension zurück in die Zweidimensionalität an sich ein simples Maneuver. Bonuspunkte für weitere Metaebenen im Umgang mit dem Romanwerkstoff Papier. Eine Freude.

Noch besser ist es, wenn die formalen Kriterien Teil des Inhalts werden. Ist beides verwickelt und ineinander verschlungen, wird die Sache mit der Abgrenzung so schwer, dass man eher von funktionalen Gesamtartworks sprechen sollte.

Ein schönes Beispiel ist das sehr gute Album Atavism des Elektroprojekts SND. Musik und Verpackung sind so streng in Konzepte und Regeln eingezwängt, dass größere Abstraktion und Spannung schwer vorstellbar sind. Die Musik setzt sich aus einer minimalen Menge Sounds zusammen, die allein durch Wiederholung und Überlagerung zu einem Groove zusammenfinden und wieder zerfallen. Das Cover verwendet Farbe ausschließlich auf den Innenseiten des CD-Sleeves und macht Informationen über Laufzeit und Titel des Albums als farblose Prägungen sichtbar. Die Platte gibt es bei Raster-Noton zu kaufen. Mehr Fotos der Verpackung hat ihr Gestalter, chokogin, bei Flickr hochgeladen.


  1. Fordern dafür allerdings den Weg in die Elektrodiscounterhölle. Das sollte man sich per Schadensersatzcoupon vergüten lassen können. 

Die Welt ist doch bunt und interessant. Zieht man an beliebiger Stelle einen losen Faden heraus und folgt ihm ein Stück – man kann sich darauf verlassen, an bekannten Orten und Icons vorbeizukommen. In Stockholm bin ich in dem sehr geschmackvollen Club Almänna Galleriet 925 in die Gewinnerausstellung des Kolla! Designpreises geraten. Zwischen viel guter Illustration, Fotoprojekten und einem Beerdigungs-CI von Kristian Möller bin ich in einer der wenigen Editorial-Arbeiten über das Cover der Heron Debut EP gestolpert. Spitzenname, Spitzencover. Beide landeten im Moleskine, for further reference.

Turns out: Heron ist ein Minimal-Projekt aus good old Münster. DIe Gestaltung kommt von Till Wiedeck, der nicht nur ein unfassbar gutes Portfolio vorweisen kann, sondern ebenfalls in Münster lebt (und dessen Arbeiten schon länger bei meinen liebsten Bookmarks liegen). Wer in Münster mit offenen Augen durch die Stadt geht, kennt zumindest seine Plakate und die CI für die Schaltkreis-Parties.

Eine Freude, wenn sich die Dinge so ministeckmäßig zusammenfügen, Schleifen drehen und im Zeichensystem des eigenen Lebens wild umherzeigen, wie es ihnen passt.

März

Miyagi - How to do it EP
Es läuft, wie es immer läuft. Miyagi sind eine Gruppe, sie veröffentlichen Platten. Kriesse und ich sind Gestalter, wir denken uns auf Zuruf Zeug dazu aus. Für die neue How to do it EP ist uns was mit Weltall und Public-Domain-Fotos des Hubble-Telekops eingefallen. Die Zusammenhänge erschließen sich nicht auf den ersten Blick, aber es muss ja auch noch Gründe geben, diesen Tonträger samt digitaler Verpackung bei iTunes zu erwerben. Weitere Gründe: Neben dem Titelsong gibt es diverse hitfähige Remixe (unter anderem von Frittenbude) und eine vertrackte Liveversion von Sideways. Ich empfehle wärmstens.

Was DJ Koze anfasst, wird zu Gold. Oder besser gesagt: Was DJ Koze anfasst, das wird zuerst ganz kantig und anschließend von einer besonders fürsorglichen Person mit violettem Samt überzogen. Musik beschreiben, das ist albern. Darum das Wichtigste in Nuce: Riesenmixtape von Stefan Kozalla im Podcast von Resident Advisor. Elektrokram, Field Recordings Skateboardrollen, Treppentreten, spanische Gitarre, Vertracktes, Albernheiten, alles vorhanden in einer Stunde bester Unterhaltung. Groß.

Nach einer (kostenlosen) Registrierung gibt es hier den Download und dort den Podcast-Feed (iTunes-Link). Via Jens Nikolaus.

Januar

Ich verfolge das Tun des Kevin Hamann schon eine Weile. Früher hatte er mal keinen Bart und eine hinreißend verbastelte Website, auf der er unter seinem Nom de Guerre – erst Tom Bola, dann Click Click Decker – kratzige Tapes produziert und in die Welt versendet hat. In Münster hat er zu der Zeit einmal im halben Jahr sehr allein mit einer Gitarre auf einer überdimensionierten Bühne gestanden. Dort hat er seine Lieder gesungen, geschrieen und rumgelärmt. Das hat mir gut gefallen. Irgendwann kam dann die Nichts für Ungut. Die hatte ein gestaltetes Cover und klang produziert. Click Click Decker war eine Band geworden. Mit der durfte er sich die Kuschelbühne der Luna Bar teilen, um ein lautes, volles, hinreißendes Konzert zu spielen. Das hat mir außerordentlich gut gefallen.

Ende des Monats erscheint eine neue Platte der Gruppe Click Click Decker. Das ist wichtig, weil es sich mit ein wenig Glück um ein Album in deutscher Sprache handelt, das man nicht nur anhören mag, sondern dem man zuhören möchte.1 Das ist außerdem wichtig, weil Human Empire ein Cover gestaltetet haben, dass das verlorene Bildbandgenre Tierbuch im beigen Einband wieder auf die visuelle Agenda setzt; unterschnittene Modern 20, entsättigte Tierschnipsel, einhundert Punkte. Liebevolle Gestaltung für liebevolle Musik.


  1. Das schaffen sonst ja nur Superpunk, Turbostaat, 1000 Robota und Tocotronic. 

Launchen und dann liegen lassen, ist man ja nicht anders gewohnt. Die viele schöne unverbrauchte Zeit verschwende investiere ich momentan zu gleichen Teilen gemeinsam mit Daniel im Maschinenraum von Was mit Medien sowie mit einigen Bugfixes hier. Letzteres erfolgreich: seit gestern Abend ist auch der Feed wieder alive and kicking.

In der Zwischenzeit könnt ihr ja mal beim funkelblitzenden Stay Indie don’t be a hater vorbeischauen und euch etwas guten Musikgeschmack abseits der Elektronik abschauen. Was Dani und Kate da drüben machen hat Hand und Fuß und Beat und Wumms.

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