electricgecko

Januar

Es ist schwer, über Mode zu sprechen ohne dies tautologisch, deskriptiv oder banal zu tun. Diejenigen, die es dennoch schaffen, sind selten Genrejournalistinnen und Genrejournalisten1 und noch seltener Modeschaffende selber. Es scheint, als bedürfe es in erster Linie eines guten Versuchsaufbaus, um interessante Aussagen über und Bilder von Mode zu einem sinnvollen Text zusammenzubringen.

Wim Wenders‘ Notebook on Cities and Clothes ist ein solcher Aufbau. Die Dokumentation spannt einen Raum, den Yohji Yamamoto auf beeindruckende Weise füllt – mit einer brüchigen, tastenden Analyse seiner eigenen Arbeit, einem Vorschlag. Ein Teil dieser Brüchigkeit mag der englischen Sprache geschuldet sein – und zwar weniger aufgrund der Tatsache, dass Yohji Yamamoto schlechtes Englisch spricht, als der Abwesenheit des großen ästhetischen Referenzrahmens seiner Muttersprache.

Interessant, wenn auch hinreichend verbreitet ist Yamamotos Interpretation des Wabi-Sabi in seinen Entwürfen – der Abneigung gegen die hundertprozentige, gegen die „richtige“ Lösung. Letztlich handelt es sich dabei um eine Formulierung der Konkurrenz zwischen Skill und Geschmack:

Human beings can’t make perfect things. When I make something symmetric, something a little too perfect, I always want to break it, destroy it a little.

Deutlicher und nahezu übertragbar auf die eigenen Erfahrungen, das eigene Versagen am Entwurf ist das zweite Thema. Die Auseinandersetzung mit sich selbst, mit dem Scheitern und der Unmöglichkeit, die eigene Arbeit beurteilen zu können: Become aware of your style. Don’t try to neglect it. Use it to get your message across.

Es ist zu exakt gleichen Teilen motivierend und einschüchternd, Yohji Yamamoto diese Dinge sagen zu hören – denn sein Beitrag zum Text des Films besteht weniger in den zitierbaren Inhalten als in der leisen Wucht seiner Persönlichkeit. Es ist ein Verdienst dieses Filmes, diese Aussagen auf diese Art und Weise möglich gemacht zu haben.

Ich empfehle Notebook on Cities and Clothes uneingeschränkt. Er ist eine bemerkenswert zeitlose Dokumentation der ästhetischen Beweggründe eines herausragenden Kreativen, weit über das Thema Mode hinaus.

Erstaunt stellt Wim Wenders während der Dreharbeiten in Tokio fest, dass sein kleiner, neuer Camcorder hier das angemessenere Werkzeug sei – ihre Bilder seien geeigneter als die der großen 35-Milimeter-Kamera. Konsequenterweise beschließt er seinen Film im Sommer 1989 mit der Frage: Will there be an electronic craft, an electronic craftsman?


  1. Das gilt insbesondere für digitale Medien; Publikationen auf dem Niveau von Mahret Kupkas Fashion & Art (inzwischen: modekoerper) oder der collagierten Eindringlichkeit von Lynn and Horst sind die Ausnahme. 

Juli

Es geht schnell, wenn die Entscheidung erst einmal gefallen ist. Darum sind die knapp fünfzig weiß gestrichenen Quadratmeter im Karoviertel kein leerer Raum mehr, sondern ein Studio. Weil Andreas und ich das so nennen, weil wir Tische gebaut und Wände gestrichen haben, weil es jetzt einen Plan gibt, für diesen Raum. Wir durften feststellen, dass die Geschichten der anderen wahr sind – wenn es dein Büro, deine Agentur, dein Laden ist, freust du dich über jedes Regalbrett und das Geräusch der neuen Türklingel.

Long story short – wir freuen uns so sehr, dass wir gern zeigen möchten, was wir gerade tun. Darum veröffentlichen wir ab sofort Fotos aus dem werdenden Studio. Dazu haben wir eine simple Website gestaltet: We Are building a digital design studio.

Es gibt eine Facebook-Seite und einen Twitter-Account. Nicht weil man das so macht, sondern weil wir etwas mitzuteilen haben werden. Weil wir was vorhaben, mit Hamburg.

Und wenn uns jemand fragt, wer wir sind, dann sagen wir: We Are Fellows.

April

Ich finde es unterhaltsam, Endgültigkeit zu beanspruchen, weil es sich dabei selbstverständlich nur um eine Farce, ein unernstes Maneuver handeln kann. Endgültigkeit bemisst in der Postmoderne genau die Endgültigkeit des aktuellen Moments, des aktuellen Prozesses. All we have is now und dann sollte es wenigstens für immer bleiben. Diesen Zusammenhang kann man auch eleganter ausdrücken.
Le Provisoire, c'est le Definitif – Cover

Dies ist im vergangenen Jahr auf räumliche Weise in Schloss Ringenberg geschehen; in der Ausstellung Le Provisoire, c’est Le Definitif. Hier hat Christoph Platz Arbeiten und Provisorien sehr verschiedener Künstler in Relation gesetzt und zu einer Ausstellung verarbeitet, die für einen Moment lang konsistent war.

Ich hatte – nach meiner Arbeit für Shifting/Positions – wieder die Freude, zur Ausstellungsdokumentation beizutragen. Für Le Provisoire, c’est Le Definitif habe ich einen Katalog gestaltet, der verschiedene Zugänge, Haptiken und Leserichtungen erlaubt. Statt, wie üblich, das definitive Wort zur Auseinandersetzung mit der Kunst zu beanspruchen. Er ist endgültig vorläufig. Das ist alles, worauf wir hoffen dürfen.

Fotos vom Katalog gibt es bei Flickr.

Februar

Der Barbican-Komplex ist einer der erfreulicheren Orte, an denen man sich in London aufhalten kann – eine gleichermaßen schöne wie dysfunktionale Utopie urbaner Planung, eine Arkologie in einer organischen Stadt. Besonders schön ist es, dass auch das Barbican Art Centre als planvoll konstruierter Sozialraum die kompromisslose Formsprache fortsetzt. Besonders beachtenswert: Innenarchitektur und Leitsystem von AHMM.

Ich hatte im Januar das Glück, in diesem Kontext die Ausstellung Future Beauty: 30 Years of Japanese Fashion zu sehen. The first exhibition in Europe to comprehensively survey avant-garde Japanese fashion, from the early 1980s to the present, soweit die Ansage. Dann die Ausführung: der dreistöckige white cube des Barbican Art Centre zeigt – auf porzellanweißen Puppen – Looks von Rei Kawabuko, Yohji Yamamoto, Junya Watanabe und einigen weiteren Designerinnen und Designern, wobei die drei großen Namen den überwiegenden Teil der Arbeiten ausmachen. Der Fokus liegt eindeutig auf den achtziger Jahren; der Zeit, zu der die monochromen, formal minimalen Kollektionen zum ersten Mal auf den Shows in Paris zu sehen sind. Wie eindrucksvoll ihre Präsenz gewesen sein muss, lässt sich auch 2011 sehr leicht nachvollziehen: Die gezeigte Stücke der Comme des Garçons-Kollektion (1982, Frühling/Sommer) sind von derartiger Klarheit und Konsequenz, dass es einen Augenblick dauert, bis man die emotionale Qualität der Kleidungsstücke erkennt. Weil sie nicht Teil der Mode ist – sondern ihre Funktion.

Rei Kawabuko für Comme des Garçons, 1982

Im Zentrum des Interesses steht nicht die Gestaltung eines Produktes, sondern vielmehr die bewusste Entwicklung eines Prozesses: welche Rolle nimmt das Kleidungsstück ein? Wie verhält es sich im Raum und wie zu anderen Elementen der Mode? Wie zu den unbekleideten Teilen des Körpers? Die ausgestellten Designer betonen kulturgemäß nicht die Objekte selber, sondern die Räume zwischen ihnen – the space between two structural parts.

Es ist dieses Konzept von Ma, das die Ausstellung im Barbican eindringlich vermittelt. Ihre Stärke liegt in der Spannung zwischen den einzelnen Arbeiten, ihrer Einordnung und Auszeichnung, getrennt durch halbtransparente Papierbahnen. Dem fragilen Konstrukt, dem Gespinst der Ausstellung kommt dabei der brutalistische Charakter des Gebäudes entgegen. Er hält die Spannung.

Ich habe das Barbican sehr ruhig, voller Gedanken und mit einem vollgeschriebenen Notizbuch verlassen, fasziniert von der Perspektive und der Prozesshaftigkeit der ausgestellten Mode. Ihre Prämissen erscheinen mir intuitiv richtig; sie ist nicht sinnvoll – sie macht Sinn.

  • Future Beauty: 30 Years of Japanese Fashion, 15. Oktober 2010 – 6. Februar 2011, Barbican Art Gallery. Fotodokumentation der Ausstellung.

Manifeste sind eine problematische Sache, weil sie Endgültigkeit beanspruchen. Und zwar dadurch, dass sie einen Gedankengang in formulierter Form externalisieren und aus weiteren Überlegungen ausklammern. Die Regeln des Manifestes müssen nicht mehr bedacht werden, weil sie die Regeln sind, nach denen gedacht wird. Manifesten sollte man aus dem Weg gehen, solange sie sich nicht selbst hinterfragen.

Yanagi Soetsu hat 1926 ein Manifest geschrieben, das sich selbst gehorcht, überschrieben mit Kojinmei-kibutsu nanasoku (Maximen für Handwerker – 7 Regeln für Gefäße)1. Die klare, starke Form des Textes entspricht seinem Inhalt. Sein Inhalt trifft auf moderne kreative Arbeit ebenso zu, wie er die vorindustrielle Fertigung von Werkzeugen, Kleidung und Möbeln getroffen hat. Es hat mich sehr beeindruckt.

Macht schöne Dinge.
Macht Dinge, die man benutzen kann.
Macht einfache Dinge.
Hütet euch vor zu viel Kunstfertigkeit.
Hütet euch vor zu viel Wissen.
Das Werk sollte gesund sein.
Achtet die Handarbeit.
Seid darauf bedacht, den Preis niedrig zu halten.
Macht Gefäße, die ihr selbst gern benutzt.
Das Werk sollte bescheiden sein.
Innere Klarheit ist die Grundlage der Schönheit.
Beachtet die Eigenschaften des Materials.
Beobachtet die Natur intensiv.
Das Gefäß zu formen entspricht der Formung der eigenen Persönlichkeit.

Ich habe den Gedanken der Schönheit durch Funktionalität nirgends besser formuliert gelesen. Oder, wie Yanagi Soetsu feststellt: Schönheit ist das Wichtigste, doch der Entwurf darf niemals mit ästhetischen Überlegungen beginnen — sondern mit funktionalen. Ich werde das berücksichtigen, mehr denn je, bei der Gestaltung eines Plakates.


  1. Yanagi Soetsu, Kogei no michi, Tokio, Band 8, Seite 33 

Dezember

Seit electricgecko.de aus Versehen zu einem Periodikum loser Folge geworden ist, ist der Stream of Consciousness mein Kanal für allerlei Kram. Seit 2007 sample ich dort via Tumblr interessante Formen und Inhalte zu einem Pastiche, das höchstens subjektiv Sinn ergibt. Aber gerade als solches ist es mir sehr ans Herz gewachsen. Weil es eben so schön aussieht, wenn man durch drei Jahre Grafikdesign, Architektur, Mode, Frisuren und Textschnipsel navigiert.

Doch weil die Fragen der Form interessanter sind als solche des Inhalts, habe ich den Stream of Consciousness nach langer Zeit neu gestaltet. Es gibt eine neue Primärfarbe, andere Schriften und ansonsten wenig. Aber das Wenige, das ist immerhin schön und interessant. Doch sehen sie selbst.

soc.electricgecko.de

November

Am besten nennt man die Dinge beim Namen, im Gefühl der Situation, in der sie entstehen. In dieser Hinsicht gibt es wenige richtigere Namen für ein neues Unternehmen, dessen Ziel es ist, interessante Ereignisse und Orte zu schaffen, als Here We Go. Was Here We Go vorhaben, darf man auch Event nennen, aber nur wenn man böse ist und/oder in einer Agentur arbeitet. Sollte man aber nicht. Denn was Louise und Florian mit Here We Go zukünftig in Vollzeit tun werden, hat mehr mit der Entwicklung von interessanten Beziehungen zu tun. Ortsgebundene Arrangements zwischen U, E, Konsum, Gemeinschaft und Werbung. Ich halte das für eine sehr gute Idee. Dazu hätte es nicht einmal den nichts weniger als hinreißenden Pop-Up-Store im Das Magazin an der Elbe gebraucht.

Weil ich das alles gut finde, habe ich einige Tage darauf verwendet, eine Website zu gestalten, die Louise und Florian gerecht wird. Die übermütig Here We Go! schreit und gleichzeitig klar sagt, was gerade passiert. Die bei aller Klarheit provisorisch und hinbalanciert erscheint, weil nur das interessant ist. Das Ergebnis: here-we-go.org. Take notice.

August

Die Gestaltung von Möbeln, Stühlen zumal, ist ein Thema, über das zu viel gesagt wird. Wie man sich eingerichtet hat, in der täglichen Umgebung — diese Frage liegt einfach zu nah und ist zu einfach zu lösen1. Um so schöner, wenn man Arbeiten findet, die der Rede wert sind und noch dazu nicht vom ubiquitären Konstantin Grcic2 gestaltet wurden.

Das Baseler Label Inch Furniture ist so ein Fund. Die Kollektion umwelt- und sozialverträglich gestalteter Massivholzmöbel ist eine Freude. Starke, geometrische Lösungen für einfache Probleme fügen sich zu einem funktionalen, konstruktivistischen Gesamtbild, das — zumindest mir — in Konsequenz und Ausdruck bei zeitgenössischen Möbeln nur selten begegnet.

Das gilt auch für die Inszenierung der Möbelstücke. Website, den Katalogen und ganz besonders für die Ausstattung des Schweizer Pavillons auf der Expo 2010 in Shanghai. Architektur, Holzmöbel und Grafikdesign ergänzen sich. Sie sind gleichermaßen sperrig wie simpel und damit: interessant. Vier Satu Chairs, bitte.


  1. Nachzulesen in anspruchslosen Publikationen wie Home oder gar Schöner Wohnen

  2. Nichts gegen Konstantin Grcic. Seine Arbeiten sind fantastisch. 

M — Logotype

Wenn vergehende Zeit nur eine Metapher ist, für die fortlaufende Prozessierung von allem, dann kannst du Veränderungen nur an ihren Artefakten fest machen. An solchen Dingen, die herauskommen. An Resultaten, die sowohl den Weg zu ihnen (so far) als auch den Weg von ihnen (from now on) unsichtbar machen. Wenn das so ist, dann bedeutet aufzuwachsen wohl, dass du dich nicht mehr wiedererkennst, in den Artefakten. Mit etwas Glück und harter Arbeit ist das ein gutes Gefühl. Weil du dich freust, über die zurückgelegte Strecke und dass das meiste dann doch ganz anders gekommen ist. Zeit für neue Artefakte.

Bei allem, was ich im Web veröffentliche, Gestaltung, Text, Fotos, hat mich in den letzten Monaten die Abwesenheit meiner professionellen Rolle gestört. Das Journal, Soundcloud, Gefundenes und Gesampletes — keines dieser Dinge sagt klar, wer ich bin und was ich tue. Nicht zuletzt hat mich Kriesse, meine Nummer-Eins-Partnerin in Gestaltungsdingen, mit ihrem Schritt von kriesse.de zu kristinaschneider.com inspiriert: Wir machen immer noch Kram im Web, aber der bezahlt inzwischen unsere Rechnungen.

Also. Ein Logo, das mich repräsentiert, eine Ansage, eine Seite für Kunden, Partner, für Frauen und Männer in Anzügen: maltemüller.com.

Juni

Gestern hatte ich die Freude, auf Einladung von up.front einen kurzen Vortrag über die Rolle von Rastersystemen bei der Gestaltung für das Web zu halten. Nach einigen Worten über Müller-Brockmann und einem Tiefschlag gegen die Neunziger (Haha, der doofe Carson) habe ich bunte Bilder gezeigt und kurz angerissen, was ein Gestaltungsraster im Web leisten kann. Ich behaupte: Hierarchie, Balance, Flow und Spannung. Geschlossen habe ich mit einigen, vollkommen aus der Luft gegriffenen Gedanken zur Bedeutung des Rasters im kreativen Prozess.

Die Slides meiner Präsentation gibt es hier als PDF-Download: Have no fear of perfection — Grid systems in web design.

Diskussionen, Feedback und Materialien aller Talks gibt es in unserer Google Group. Falls ihr etwas mit dem Web, Frontend-Code oder digitaler Gestaltung zu tun habt: schaut vorbei, schlagt Themen vor, setzt euch aufs blaue Sofa. Die nächste Session gibt es in vier Wochen, im Co.Up, Kreuzberg.

Neuere Texte über Gestaltung

Ältere Texte über Gestaltung