electricgecko

Mai

Shifting/Positions — Doppelseite, Katalog

Nun also der Katalog für die Ausstellung Shifting/Positions und damit nach Identität, Einladung und Plakat der letzte Teil meines Gestaltungsauftrags. Immer wieder magisch, die digitale Druckvorlage als seriell, von schweren Maschinen hergestelltes, gleichförmiges Massenprodukt wiederzusehen. Diese Dinge kicken mehr als jeder Website-Launch. Weitere Fotos vom Katalog gibt es bei Flickr.

Die Diskussion über Flash und HTML5, über CSS3 und Frameworks muss geführt werden. Sie ist interessant, unterhaltsam und relevant. Dennoch — ich halte mich auch bei diesem Thema lieber an den Nebenschauplätzen auf. Weil es mich mehr kümmert, was nun anzufangen ist, mit den schönen neuen Werkzeugen. Welche Auswirkungen das vorhandene Set von Tools für Grafikdesign und Nutzerführung im Web hat. Ausnahmsweise also einmal: Pragmatismus.

Schönstes Beispiel, das gerade die Gestalterschulhofrunde macht, ist die neue Website des Inventory Magazine, einer wunderbar gestalteten Publikation über hochwertiges Alltagsequipment. inventorymagazine.com tut genau das Richtige — statt den Look der Zeitschrift für das Web zu kopieren (und dabei an Nutzbarkeit und Stringenz zu scheitern, wie die vorige, Flash-basierte Website), übersetzt sie das Editorial Design in ein anderes Medium.

Bemerkenswert ist besonders die Updates-Sektion, die dank simpel realisierter Variationen innerhalb des Rasters eine Wertigkeit der Gestaltung erreicht, die sich wohltuend von all den Kaugumminterfaces abhebt. Und dazu genügen der flexible Umgang mit Bildformaten, ein wenig Detailtypografie mit Verstand (Marginalien/Bildzeilen) und Spannung im Layout. Man sollte mehr über diese Dinge sprechen. Ein CSS3-Multicolumn wird genau dann interessant, wenn es ein konkretes Gestaltungsproblem löst. Tools follow form follow function, bitteschön.

Oder eben immer wieder, bis es schmerzt: Less but better.

April

Gutes Timing ist viel Wert. Während in Hamburg Regen und Wind toben, sitze ich im Studio und verrichte harte Gestaltungsarbeit. Scheint dann die Sonne, läuft das Journal im Verlautbarungsmodus und ich liege mit der neuen Fantastic Man auf der Wiese.

Erste Verlautbarung. Ich habe eine Website für Luisa Katharina Davids gestaltet. Luisa ist Schauspielerin, spielt an der Volksbühne in Wien, an verschiedenen Häusern in Berlin und hin und wieder auch im Fernsehen. Darüber hinaus ist sie eine ganz zauberhafte Person.

Statt eines Briefings hat mir Luisa bei unserem Treffen im Anna Blume einen großen Stapel sehr guter Fotos auf den marmorierten Tisch gelegt — alle viel zu gut, um sie nicht formatfüllend zu verwenden. Der Rest sind einige Zeilen HTML5, ihr Name in Avant Garde Ultralight und etwas JavaScript für Fades und Fotogalerie. Presto.

Ich musste zwar erst nach München reisen und mich dort vom freundlichen Angestellten des Zeitschriftenladens am Flughafen belustigt anschauen lassen — aber dafür besitze ich jetzt zwei Exemplare (eins bekommt Sarah) der Erstausgabe des neuen Magazins von Jop van Bennekom und Gert Jonkers. The Gentlewoman allein wäre die Reise zwar nicht wert gewesen, hat aber den Rückflug deutlich an Qualität gewinnen lassen.
The Gentlewoman, Doppelseite

Wie zu erwarten war, ist die neue Publikation der Macher des nach wie vor besten Magazins überhaupt eine Freude in Inhalt und Form. Gegenüber der Vorschau in Fantastic Man Nummer 10 wurde die Gestaltung noch ein Stück reduziert: simples Raster, große Schriftgrade, Spannung ergibt sich einzig zwischen Fotografie und Typografie. Über die Wortmarke habe ich mich ja bereits anderer Stelle ausführlich gefreut.

The Gentlewoman ist ein straightes, erwachsenes und wunderschönes Magazin über Frauen. Gefällt außerordentlich.

Fotos von Cover und Innenseiten gibt es bei Flickr.

Februar

Der Winter ist schlecht für die Reaktionsgeschwindigkeit. Und nachdem diese Website recht exoterm ins neue Jahr gekommen ist, folgte darauf bislang nicht viel. Das ärgert mich, wäre aber schlimmer, wenn nicht so viel Schönes in der Warteschlange an die Oberfläche wäre. Es folgt in den nächsten Tagen und Wochen, wenn das Eis schmilzt und die Betonflächen wieder in der Sonne glitzern. Bis dahin schon einmal dieses:

Ich habe ein Plakat beigetragen, für die aktuelle Ausgabe des kleinen, aber schönen Batterie-Magazin. Die Ausgabe 19 erscheint als Loseblattsammlung mit 12 Plakaten im Plotdruck auf dünnem Tonpapier in drei verschiedenen Farben. Das Thema ist Leere/Emptiness. Ich habe die Einladung zum Anlass genommen, mich an meinem aktuellen Lieblingsbegriff Void abzuarbeiten. Das Poster enthält sechs Definitionen des Begriffs von Popkultur bis Astrophysik sowie den folgenden Text.

rely on context rather than relativity, on situated objecticity rather than unicersal objecticity, and on the creation of meaning through play between constructions of informational pattern and reductions to randomness of on-off switches, which are the foundation of digital binary systems.

Entschuldigung, ich konnte nicht anders.

Dezember

Eine der drei besten Dinge, die man mit Zeitgenossen anstellen kann: einige davon in einem hinreichend großen Raum versammeln, Kaffee und Wlan bereitstellen, anschließend gemeinsam Nachdenken. Im Idealfall über Relevantes. Eine Veranstaltung genau dieser Sorte steht im Januar in Berlin an. Sie heißt etwas sperrig und will auch so sein: Jean Luc und die Singularität vorm Falschen Fenster.

Dabei handelt sich um einen dreitägigen, öffentlichen Think Tank, der sich mit den Implikationen des Web auf Leben, Arbeiten, Liebe und Politik auseinandersetzt. Die Orgawave ist ein spannender und dynamischer Ort — und angemessenerweise das einzige Planungsdokument. Teilnehmen werden unter anderem Markus Albers, Jan-Michael Kühn und Nilz Bokelberg. Eine Liste der Denkerinnen und Denker gibt es hier.

Jean Luc

Hinter dem Projekt stecken die Macher des Atoms & Bits Festivals, in Person Sebastian Sooth, Martina Pickhardt und Martin Schmidt — letzterer als Kurator und DJ in Personalunion.

Ich wurde freundlicherweise eingeladen, Visuelles beizusteuern, nämlich die Wortmarke und einige beschriftete Dinge, die jetzt in Berlin überall herumliegen oder an Wänden kleben. Zu Jean Luc komme ich natürlich auch.

Jean Luc und die Singularität vorm falschen Fenster. Offener Think Tank vom
8. – 10. Januar 2010 im HAU1, Berlin.

Strategien sind ja generell eine gute Idee, wenn man ein Ziel verfolgt, so quer über das Schachbrett oder beim Versuch, das Spiel in den letzten drei Minuten noch zu drehen. Für Leben und Arbeit ist das nicht anders, nur fehlt die Hälfte der Steine, die Schnürsenkel sind offen und das Regelbuch liegt hinter dem Sofa.

Das gilt für Gestaltung, aber auch für sonstige Tätigkeiten zwischen neun am Morgen und vier in der Früh. Wie vieles andere auch bedeutet Gestaltung, aus nichts etwas zu schaffen, das im besten Fall zwar nicht neu, aber from scratch, also von Neuem aufgebaut ist. Man kommt nicht umhin, zwischenzeitlich auch mal zu denken. Wer denkt, hadert. Kontingenz ist zwar eine schöne Sache, aber unerwünscht auf dem Weg zum klaren Ziel. Mit jedem hinterfragten Versuch und jeder verworfenen Option lungert man sich schließlich selbst im Weg herum. Man lauert sich auf, bereit, in den eigenen Rücken zu fallen, auf dem Weg zum guten Ergebnis.

Es braucht Zeit, um zu lernen, Willkür zu akzeptieren.

Die Entscheidung für eine Schriftart und ihren Schnitt lässt sich halbwegs über Referenzen und erlerntes Aushandlungswissen begründen. Die Entwicklung eines Rasters ist eine halbwegs formalisierte Aufgabe. Aber spätestens für dessen inhaltliche Ausgestaltung ist die Komplexität der Optionen zu hoch, als dass sie zu überblicken wäre. Und das Ende des Plans, der Abschluss der Arbeit ist letztlich pure Willkür. Es gibt immer noch eine Linie zu entfernen, ein Element feinzujustieren, eine Richtung auszuprobieren.

Wann Gestaltung aufhört, ist nicht abzusehen. Weitere Strategie, bitte. Sie kann nur darin bestehen, Willkür zu akzeptieren. Die Endgültigkeit der Vorläufigkeit nicht zu verwerfen, sondern zu begrüßen. Man muss sagen: Vorläufiges ist hinreichend fertig. Die Angst an sich selber zu scheitern, ist unbegründet.

Der Mangel ist unsere glänzendste Eigenschaft1.

Das ist alles, was wir zu hoffen wagen dürfen. Und gleichzeitig ist es ein großer Luxus, selber zu bestimmen, wann ein Ding anfängt zu existieren. Ob es überhaupt anfängt. Und wann es wieder aufhört.


  1. Ja, wiederum Ja, Panik

November

shifting/positions
Wiederum Gestaltung. Dieses Mal für die Ausstellung shifting positions im Museum Goch. Zu sehen sind interaktive Arbeiten von Franz Erhardt Walther und eine Perfomance des Duos Prinz Gholam. Ich durfte das Ausstellungsdesign beitragen. Neben einem typographischen Dings in Optima Extrablack (hier als Wandsticker im Museum Goch) habe ich Einladungen und Plakate entworfen. Eine große Freude and some nights well spent. Foto vom Kurator der Ausstellung, Christoph Platz.

September

Over and Out — Einladung

Gestaltung für Kunstveranstaltungen zu machen ist besonders schön. Einerseits herrscht Verständnis für Irritierendes und Interessantes. Andererseits ist die Rolle der Gestaltung immer noch die einer Erfüllungsgehilfin — Kunst beschreien oder mit ihr konkurrieren sollte sie nicht. Aber sie sollte ihr das Wasser reichen, nicht ungelenk durch künstlerisches Terrain stolpern und mit dem Hintern die Geranien umstoßen.

Gestaltung für Kunstveranstaltungen zu machen ist besonders schwer, wenn die Veranstaltung ein hohes Niveau und spannende Inhalte verspricht. Der Fall ist das bei Over and Out, der Ausstellung, die in der vergangenen Woche am Hafen in Münster eröffnet wurde. Dabei sind unter anderem der bereits genannte Sebastian Freytag und Lars Breuer vom Kosortium D. Dem Titel entsprechend zieht Over and Out ein Kreuz zwischen der einen Hafenseite (der schmutzigen, schönen) zur anderen Hafenseite (der bereinigten, ganz okayen) bis rüber zum denkmalgeschützten Bürogebäude in der Herwarthstraße.

Ich habe mich bemüht, mit den Plakaten und Einladungskarten die metaphorischen Geranien stehen zu lassen. Over and Out hat sauberes Parkett verdient. Wer bis Mitte November in Münster zu tun hat, sollte diese Ausstellung besuchen. Weitere Informationen gibt es bei der AzKM.

August

Nur Dinge aufzählen die man mag, das ist langweilig und gilt nicht; außerdem gibt es für soetwas inzwischen Tumblelogs. Dennoch, es ist Sonntag, da darf man sich auch mal auf den puren Verweis beschränken. In diesem Fall auf die Arbeiten von Sebastian Freytag.

Seine Installationen und Gemälde bewegen sich entlang der Grenze zwischen minimaler Kunst und Grafikdesign. Arbeiten wie Villa oder Error würden als Funktionskunst im Rahmen einer Unternehmensidentität ebenso funktionieren wie sie es als freie Anwendungen von Typografie tun. Error

Sebastian Freytag ist Teil des Düsseldorfer Künstlerkollektivs Konsortium D. Im September wird er als Teil einer Gruppenausstellung der AZKM in Münster zu sehen sein. Bis dahin lohnt sich ein halbe Stunde Sonntagszeit für die ausgiebige Begutachtung seiner bisherigen Projekte. Und jetzt zurück in die Sonne.

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