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Le Provisoire, c'est le Definitif

Ich finde es unterhaltsam, Endgültigkeit zu beanspruchen, weil es sich dabei selbstverständlich nur um eine Farce, ein unernstes Maneuver handeln kann. Endgültigkeit bemisst in der Postmoderne genau die Endgültigkeit des aktuellen Moments, des aktuellen Prozesses. All we have is now und dann sollte es wenigstens für immer bleiben. Diesen Zusammenhang kann man auch eleganter ausdrücken.
Le Provisoire, c'est le Definitif – Cover

Dies ist im vergangenen Jahr auf räumliche Weise in Schloss Ringenberg geschehen; in der Ausstellung Le Provisoire, c’est Le Definitif. Hier hat Christoph Platz Arbeiten und Provisorien sehr verschiedener Künstler in Relation gesetzt und zu einer Ausstellung verarbeitet, die für einen Moment lang konsistent war.

Ich hatte – nach meiner Arbeit für Shifting/Positions – wieder die Freude, zur Ausstellungsdokumentation beizutragen. Für Le Provisoire, c’est Le Definitif habe ich einen Katalog gestaltet, der verschiedene Zugänge, Haptiken und Leserichtungen erlaubt. Statt, wie üblich, das definitive Wort zur Auseinandersetzung mit der Kunst zu beanspruchen. Er ist endgültig vorläufig. Das ist alles, worauf wir hoffen dürfen.

Fotos vom Katalog gibt es bei Flickr.

Rich, energized Spaces

Der Barbican-Komplex ist einer der erfreulicheren Orte, an denen man sich in London aufhalten kann – eine gleichermaßen schöne wie dysfunktionale Utopie urbaner Planung, eine Arkologie in einer organischen Stadt. Besonders schön ist es, dass auch das Barbican Art Centre als planvoll konstruierter Sozialraum die kompromisslose Formsprache fortsetzt. Besonders beachtenswert: Innenarchitektur und Leitsystem von AHMM.

Ich hatte im Januar das Glück, in diesem Kontext die Ausstellung Future Beauty: 30 Years of Japanese Fashion zu sehen. The first exhibition in Europe to comprehensively survey avant-garde Japanese fashion, from the early 1980s to the present, soweit die Ansage. Dann die Ausführung: der dreistöckige white cube des Barbican Art Centre zeigt – auf porzellanweißen Puppen – Looks von Rei Kawabuko, Yohji Yamamoto, Junya Watanabe und einigen weiteren Designerinnen und Designern, wobei die drei großen Namen den überwiegenden Teil der Arbeiten ausmachen. Der Fokus liegt eindeutig auf den achtziger Jahren; der Zeit, zu der die monochromen, formal minimalen Kollektionen zum ersten Mal auf den Shows in Paris zu sehen sind. Wie eindrucksvoll ihre Präsenz gewesen sein muss, lässt sich auch 2011 sehr leicht nachvollziehen: Die gezeigte Stücke der Comme des Garçons-Kollektion (1982, Frühling/Sommer) sind von derartiger Klarheit und Konsequenz, dass es einen Augenblick dauert, bis man die emotionale Qualität der Kleidungsstücke erkennt. Weil sie nicht Teil der Mode ist – sondern ihre Funktion.

Rei Kawabuko für Comme des Garçons, 1982

Im Zentrum des Interesses steht nicht die Gestaltung eines Produktes, sondern vielmehr die bewusste Entwicklung eines Prozesses: welche Rolle nimmt das Kleidungsstück ein? Wie verhält es sich im Raum und wie zu anderen Elementen der Mode? Wie zu den unbekleideten Teilen des Körpers? Die ausgestellten Designer betonen kulturgemäß nicht die Objekte selber, sondern die Räume zwischen ihnen – the space between two structural parts.

Es ist dieses Konzept von Ma, das die Ausstellung im Barbican eindringlich vermittelt. Ihre Stärke liegt in der Spannung zwischen den einzelnen Arbeiten, ihrer Einordnung und Auszeichnung, getrennt durch halbtransparente Papierbahnen. Dem fragilen Konstrukt, dem Gespinst der Ausstellung kommt dabei der brutalistische Charakter des Gebäudes entgegen. Er hält die Spannung.

Ich habe das Barbican sehr ruhig, voller Gedanken und mit einem vollgeschriebenen Notizbuch verlassen, fasziniert von der Perspektive und der Prozesshaftigkeit der ausgestellten Mode. Ihre Prämissen erscheinen mir intuitiv richtig; sie ist nicht sinnvoll – sie macht Sinn.

Maximen für Handwerker

Manifeste sind eine problematische Sache, weil sie Endgültigkeit beanspruchen. Und zwar dadurch, dass sie einen Gedankengang in formulierter Form externalisieren und aus weiteren Überlegungen ausklammern. Die Regeln des Manifestes müssen nicht mehr bedacht werden, weil sie die Regeln sind, nach denen gedacht wird. Manifesten sollte man aus dem Weg gehen, solange sie sich nicht selbst hinterfragen.

Yanagi Soetsu hat 1926 ein Manifest geschrieben, das sich selbst gehorcht, überschrieben mit Kojinmei-kibutsu nanasoku (Maximen für Handwerker – 7 Regeln für Gefäße)1. Die klare, starke Form des Textes entspricht seinem Inhalt. Sein Inhalt trifft auf moderne kreative Arbeit ebenso zu, wie er die vorindustrielle Fertigung von Werkzeugen, Kleidung und Möbeln getroffen hat. Es hat mich sehr beeindruckt.

Macht schöne Dinge.
Macht Dinge, die man benutzen kann.
Macht einfache Dinge.
Hütet euch vor zu viel Kunstfertigkeit.
Hütet euch vor zu viel Wissen.
Das Werk sollte gesund sein.
Achtet die Handarbeit.
Seid darauf bedacht, den Preis niedrig zu halten.
Macht Gefäße, die ihr selbst gern benutzt.
Das Werk sollte bescheiden sein.
Innere Klarheit ist die Grundlage der Schönheit.
Beachtet die Eigenschaften des Materials.
Beobachtet die Natur intensiv.
Das Gefäß zu formen entspricht der Formung der eigenen Persönlichkeit.

Ich habe den Gedanken der Schönheit durch Funktionalität nirgends besser formuliert gelesen. Oder, wie Yanagi Soetsu feststellt: Schönheit ist das Wichtigste, doch der Entwurf darf niemals mit ästhetischen Überlegungen beginnen — sondern mit funktionalen. Ich werde das berücksichtigen, mehr denn je, bei der Gestaltung eines Plakates.


  1. Yanagi Soetsu, Kogei no michi, Tokio, Band 8, Seite 33 

Primärfarben

Seit electricgecko.de aus Versehen zu einem Periodikum loser Folge geworden ist, ist der Stream of Consciousness mein Kanal für allerlei Kram. Seit 2007 sample ich dort via Tumblr interessante Formen und Inhalte zu einem Pastiche, das höchstens subjektiv Sinn ergibt. Aber gerade als solches ist es mir sehr ans Herz gewachsen. Weil es eben so schön aussieht, wenn man durch drei Jahre Grafikdesign, Architektur, Mode, Frisuren und Textschnipsel navigiert.

Doch weil die Fragen der Form interessanter sind als solche des Inhalts, habe ich den Stream of Consciousness nach langer Zeit neu gestaltet. Es gibt eine neue Primärfarbe, andere Schriften und ansonsten wenig. Aber das Wenige, das ist immerhin schön und interessant. Doch sehen sie selbst.

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Go

Am besten nennt man die Dinge beim Namen, im Gefühl der Situation, in der sie entstehen. In dieser Hinsicht gibt es wenige richtigere Namen für ein neues Unternehmen, dessen Ziel es ist, interessante Ereignisse und Orte zu schaffen, als Here We Go. Was Here We Go vorhaben, darf man auch Event nennen, aber nur wenn man böse ist und/oder in einer Agentur arbeitet. Sollte man aber nicht. Denn was Louise und Florian mit Here We Go zukünftig in Vollzeit tun werden, hat mehr mit der Entwicklung von interessanten Beziehungen zu tun. Ortsgebundene Arrangements zwischen U, E, Konsum, Gemeinschaft und Werbung. Ich halte das für eine sehr gute Idee. Dazu hätte es nicht einmal den nichts weniger als hinreißenden Pop-Up-Store im Das Magazin an der Elbe gebraucht.

Weil ich das alles gut finde, habe ich einige Tage darauf verwendet, eine Website zu gestalten, die Louise und Florian gerecht wird. Die übermütig Here We Go! schreit und gleichzeitig klar sagt, was gerade passiert. Die bei aller Klarheit provisorisch und hinbalanciert erscheint, weil nur das interessant ist. Das Ergebnis: here-we-go.org. Take notice.

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