electricgecko

August

Die Gestaltung von Möbeln, Stühlen zumal, ist ein Thema, über das zu viel gesagt wird. Wie man sich eingerichtet hat, in der täglichen Umgebung — diese Frage liegt einfach zu nah und ist zu einfach zu lösen1. Um so schöner, wenn man Arbeiten findet, die der Rede wert sind und noch dazu nicht vom ubiquitären Konstantin Grcic2 gestaltet wurden.

Das Baseler Label Inch Furniture ist so ein Fund. Die Kollektion umwelt- und sozialverträglich gestalteter Massivholzmöbel ist eine Freude. Starke, geometrische Lösungen für einfache Probleme fügen sich zu einem funktionalen, konstruktivistischen Gesamtbild, das — zumindest mir — in Konsequenz und Ausdruck bei zeitgenössischen Möbeln nur selten begegnet.

Das gilt auch für die Inszenierung der Möbelstücke. Website, den Katalogen und ganz besonders für die Ausstattung des Schweizer Pavillons auf der Expo 2010 in Shanghai. Architektur, Holzmöbel und Grafikdesign ergänzen sich. Sie sind gleichermaßen sperrig wie simpel und damit: interessant. Vier Satu Chairs, bitte.


  1. Nachzulesen in anspruchslosen Publikationen wie Home oder gar Schöner Wohnen

  2. Nichts gegen Konstantin Grcic. Seine Arbeiten sind fantastisch. 

M — Logotype

Wenn vergehende Zeit nur eine Metapher ist, für die fortlaufende Prozessierung von allem, dann kannst du Veränderungen nur an ihren Artefakten fest machen. An solchen Dingen, die herauskommen. An Resultaten, die sowohl den Weg zu ihnen (so far) als auch den Weg von ihnen (from now on) unsichtbar machen. Wenn das so ist, dann bedeutet aufzuwachsen wohl, dass du dich nicht mehr wiedererkennst, in den Artefakten. Mit etwas Glück und harter Arbeit ist das ein gutes Gefühl. Weil du dich freust, über die zurückgelegte Strecke und dass das meiste dann doch ganz anders gekommen ist. Zeit für neue Artefakte.

Bei allem, was ich im Web veröffentliche, Gestaltung, Text, Fotos, hat mich in den letzten Monaten die Abwesenheit meiner professionellen Rolle gestört. Das Journal, Soundcloud, Gefundenes und Gesampletes — keines dieser Dinge sagt klar, wer ich bin und was ich tue. Nicht zuletzt hat mich Kriesse, meine Nummer-Eins-Partnerin in Gestaltungsdingen, mit ihrem Schritt von kriesse.de zu kristinaschneider.com inspiriert: Wir machen immer noch Kram im Web, aber der bezahlt inzwischen unsere Rechnungen.

Also. Ein Logo, das mich repräsentiert, eine Ansage, eine Seite für Kunden, Partner, für Frauen und Männer in Anzügen: maltemüller.com.

Juni

Gestern hatte ich die Freude, auf Einladung von up.front einen kurzen Vortrag über die Rolle von Rastersystemen bei der Gestaltung für das Web zu halten. Nach einigen Worten über Müller-Brockmann und einem Tiefschlag gegen die Neunziger (Haha, der doofe Carson) habe ich bunte Bilder gezeigt und kurz angerissen, was ein Gestaltungsraster im Web leisten kann. Ich behaupte: Hierarchie, Balance, Flow und Spannung. Geschlossen habe ich mit einigen, vollkommen aus der Luft gegriffenen Gedanken zur Bedeutung des Rasters im kreativen Prozess.

Die Slides meiner Präsentation gibt es hier als PDF-Download: Have no fear of perfection — Grid systems in web design.

Diskussionen, Feedback und Materialien aller Talks gibt es in unserer Google Group. Falls ihr etwas mit dem Web, Frontend-Code oder digitaler Gestaltung zu tun habt: schaut vorbei, schlagt Themen vor, setzt euch aufs blaue Sofa. Die nächste Session gibt es in vier Wochen, im Co.Up, Kreuzberg.

Mai

Shifting/Positions — Doppelseite, Katalog

Nun also der Katalog für die Ausstellung Shifting/Positions und damit nach Identität, Einladung und Plakat der letzte Teil meines Gestaltungsauftrags. Immer wieder magisch, die digitale Druckvorlage als seriell, von schweren Maschinen hergestelltes, gleichförmiges Massenprodukt wiederzusehen. Diese Dinge kicken mehr als jeder Website-Launch. Weitere Fotos vom Katalog gibt es bei Flickr.

Die Diskussion über Flash und HTML5, über CSS3 und Frameworks muss geführt werden. Sie ist interessant, unterhaltsam und relevant. Dennoch — ich halte mich auch bei diesem Thema lieber an den Nebenschauplätzen auf. Weil es mich mehr kümmert, was nun anzufangen ist, mit den schönen neuen Werkzeugen. Welche Auswirkungen das vorhandene Set von Tools für Grafikdesign und Nutzerführung im Web hat. Ausnahmsweise also einmal: Pragmatismus.

Schönstes Beispiel, das gerade die Gestalterschulhofrunde macht, ist die neue Website des Inventory Magazine, einer wunderbar gestalteten Publikation über hochwertiges Alltagsequipment. inventorymagazine.com tut genau das Richtige — statt den Look der Zeitschrift für das Web zu kopieren (und dabei an Nutzbarkeit und Stringenz zu scheitern, wie die vorige, Flash-basierte Website), übersetzt sie das Editorial Design in ein anderes Medium.

Bemerkenswert ist besonders die Updates-Sektion, die dank simpel realisierter Variationen innerhalb des Rasters eine Wertigkeit der Gestaltung erreicht, die sich wohltuend von all den Kaugumminterfaces abhebt. Und dazu genügen der flexible Umgang mit Bildformaten, ein wenig Detailtypografie mit Verstand (Marginalien/Bildzeilen) und Spannung im Layout. Man sollte mehr über diese Dinge sprechen. Ein CSS3-Multicolumn wird genau dann interessant, wenn es ein konkretes Gestaltungsproblem löst. Tools follow form follow function, bitteschön.

Oder eben immer wieder, bis es schmerzt: Less but better.

April

Gutes Timing ist viel Wert. Während in Hamburg Regen und Wind toben, sitze ich im Studio und verrichte harte Gestaltungsarbeit. Scheint dann die Sonne, läuft das Journal im Verlautbarungsmodus und ich liege mit der neuen Fantastic Man auf der Wiese.

Erste Verlautbarung. Ich habe eine Website für Luisa Katharina Davids gestaltet. Luisa ist Schauspielerin, spielt an der Volksbühne in Wien, an verschiedenen Häusern in Berlin und hin und wieder auch im Fernsehen. Darüber hinaus ist sie eine ganz zauberhafte Person.

Statt eines Briefings hat mir Luisa bei unserem Treffen im Anna Blume einen großen Stapel sehr guter Fotos auf den marmorierten Tisch gelegt — alle viel zu gut, um sie nicht formatfüllend zu verwenden. Der Rest sind einige Zeilen HTML5, ihr Name in Avant Garde Ultralight und etwas JavaScript für Fades und Fotogalerie. Presto.

Ich musste zwar erst nach München reisen und mich dort vom freundlichen Angestellten des Zeitschriftenladens am Flughafen belustigt anschauen lassen — aber dafür besitze ich jetzt zwei Exemplare (eins bekommt Sarah) der Erstausgabe des neuen Magazins von Jop van Bennekom und Gert Jonkers. The Gentlewoman allein wäre die Reise zwar nicht wert gewesen, hat aber den Rückflug deutlich an Qualität gewinnen lassen.
The Gentlewoman, Doppelseite

Wie zu erwarten war, ist die neue Publikation der Macher des nach wie vor besten Magazins überhaupt eine Freude in Inhalt und Form. Gegenüber der Vorschau in Fantastic Man Nummer 10 wurde die Gestaltung noch ein Stück reduziert: simples Raster, große Schriftgrade, Spannung ergibt sich einzig zwischen Fotografie und Typografie. Über die Wortmarke habe ich mich ja bereits anderer Stelle ausführlich gefreut.

The Gentlewoman ist ein straightes, erwachsenes und wunderschönes Magazin über Frauen. Gefällt außerordentlich.

Fotos von Cover und Innenseiten gibt es bei Flickr.

Februar

Der Winter ist schlecht für die Reaktionsgeschwindigkeit. Und nachdem diese Website recht exoterm ins neue Jahr gekommen ist, folgte darauf bislang nicht viel. Das ärgert mich, wäre aber schlimmer, wenn nicht so viel Schönes in der Warteschlange an die Oberfläche wäre. Es folgt in den nächsten Tagen und Wochen, wenn das Eis schmilzt und die Betonflächen wieder in der Sonne glitzern. Bis dahin schon einmal dieses:

Ich habe ein Plakat beigetragen, für die aktuelle Ausgabe des kleinen, aber schönen Batterie-Magazin. Die Ausgabe 19 erscheint als Loseblattsammlung mit 12 Plakaten im Plotdruck auf dünnem Tonpapier in drei verschiedenen Farben. Das Thema ist Leere/Emptiness. Ich habe die Einladung zum Anlass genommen, mich an meinem aktuellen Lieblingsbegriff Void abzuarbeiten. Das Poster enthält sechs Definitionen des Begriffs von Popkultur bis Astrophysik sowie den folgenden Text.

rely on context rather than relativity, on situated objecticity rather than unicersal objecticity, and on the creation of meaning through play between constructions of informational pattern and reductions to randomness of on-off switches, which are the foundation of digital binary systems.

Entschuldigung, ich konnte nicht anders.

Dezember

Eine der drei besten Dinge, die man mit Zeitgenossen anstellen kann: einige davon in einem hinreichend großen Raum versammeln, Kaffee und Wlan bereitstellen, anschließend gemeinsam Nachdenken. Im Idealfall über Relevantes. Eine Veranstaltung genau dieser Sorte steht im Januar in Berlin an. Sie heißt etwas sperrig und will auch so sein: Jean Luc und die Singularität vorm Falschen Fenster.

Dabei handelt sich um einen dreitägigen, öffentlichen Think Tank, der sich mit den Implikationen des Web auf Leben, Arbeiten, Liebe und Politik auseinandersetzt. Die Orgawave ist ein spannender und dynamischer Ort — und angemessenerweise das einzige Planungsdokument. Teilnehmen werden unter anderem Markus Albers, Jan-Michael Kühn und Nilz Bokelberg. Eine Liste der Denkerinnen und Denker gibt es hier.

Jean Luc

Hinter dem Projekt stecken die Macher des Atoms & Bits Festivals, in Person Sebastian Sooth, Martina Pickhardt und Martin Schmidt — letzterer als Kurator und DJ in Personalunion.

Ich wurde freundlicherweise eingeladen, Visuelles beizusteuern, nämlich die Wortmarke und einige beschriftete Dinge, die jetzt in Berlin überall herumliegen oder an Wänden kleben. Zu Jean Luc komme ich natürlich auch.

Jean Luc und die Singularität vorm falschen Fenster. Offener Think Tank vom
8. – 10. Januar 2010 im HAU1, Berlin.

Strategien sind ja generell eine gute Idee, wenn man ein Ziel verfolgt, so quer über das Schachbrett oder beim Versuch, das Spiel in den letzten drei Minuten noch zu drehen. Für Leben und Arbeit ist das nicht anders, nur fehlt die Hälfte der Steine, die Schnürsenkel sind offen und das Regelbuch liegt hinter dem Sofa.

Das gilt für Gestaltung, aber auch für sonstige Tätigkeiten zwischen neun am Morgen und vier in der Früh. Wie vieles andere auch bedeutet Gestaltung, aus nichts etwas zu schaffen, das im besten Fall zwar nicht neu, aber from scratch, also von Neuem aufgebaut ist. Man kommt nicht umhin, zwischenzeitlich auch mal zu denken. Wer denkt, hadert. Kontingenz ist zwar eine schöne Sache, aber unerwünscht auf dem Weg zum klaren Ziel. Mit jedem hinterfragten Versuch und jeder verworfenen Option lungert man sich schließlich selbst im Weg herum. Man lauert sich auf, bereit, in den eigenen Rücken zu fallen, auf dem Weg zum guten Ergebnis.

Es braucht Zeit, um zu lernen, Willkür zu akzeptieren.

Die Entscheidung für eine Schriftart und ihren Schnitt lässt sich halbwegs über Referenzen und erlerntes Aushandlungswissen begründen. Die Entwicklung eines Rasters ist eine halbwegs formalisierte Aufgabe. Aber spätestens für dessen inhaltliche Ausgestaltung ist die Komplexität der Optionen zu hoch, als dass sie zu überblicken wäre. Und das Ende des Plans, der Abschluss der Arbeit ist letztlich pure Willkür. Es gibt immer noch eine Linie zu entfernen, ein Element feinzujustieren, eine Richtung auszuprobieren.

Wann Gestaltung aufhört, ist nicht abzusehen. Weitere Strategie, bitte. Sie kann nur darin bestehen, Willkür zu akzeptieren. Die Endgültigkeit der Vorläufigkeit nicht zu verwerfen, sondern zu begrüßen. Man muss sagen: Vorläufiges ist hinreichend fertig. Die Angst an sich selber zu scheitern, ist unbegründet.

Der Mangel ist unsere glänzendste Eigenschaft1.

Das ist alles, was wir zu hoffen wagen dürfen. Und gleichzeitig ist es ein großer Luxus, selber zu bestimmen, wann ein Ding anfängt zu existieren. Ob es überhaupt anfängt. Und wann es wieder aufhört.


  1. Ja, wiederum Ja, Panik

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