electricgecko

Juli

Wenn mein Schreiben für diese Publikation zum Erliegen kommt, dann hat sich etwas verändert. Ich verliere dann das Interesse daran, wie Text hier erscheint, wie das Objekt Website aussieht und wie es sich verhält. Das ist regelmäßig vorgekommen, acht Mal seit 2004, seit zwanzig Jahren. Zuletzt irgendwann im verlorenen Ende des vergangenen Jahres, in der Nacht am Schreibtisch, mit Kopfhörern dem letzten Mond gegenüber.

Ich habe für diese achte Version nicht nur eine neue Form der Gestaltung gesucht, sondern auch eine neue Form von Text und Veröffentlichung. Ich habe sie in meinen Jahresbänden gefunden, Dateien in Plaintext, in denen sich vieles in meinem Leben vollzieht, bis sie im Verlauf eines Jahres großen Umfang erlangen und beiseite gelegt werden. Diese Version von electricgecko.de veröffentlicht aus diesen Dateien in rascherer Folge als zuvor, unvollständig, redigiert und direkt. Momentum und Textform sollten sich der Idee eines Blogs nähern, wie wir sie in den ersten Jahren dieses Jahrtausends gemeinsam hatten. Darstellung und Ausrichtung folgt internen Logiken, ohne weitere Erklärung.

(Wie manches in meinem Leben ist das Repository nun ein Are.na-Channel, dynamischer und anschlussfähiger. Mir gefällt wie sein Abbild hier nun aussieht: Eine Aufschichtung von brauchbarem Material, eine Umgebung aus Texten und Bildern.)

Das ist: Eine Bestätigung von Text als Form meines Denkens. Bestätigung von Text als direkter Text, hermetischer Text, englischer Text, deutscher Text, als meine eigenartige sachliche Poesie. Parole und Autosuggestion. Schreiben als notwendige Markierung dessen, was eine Rolle spielt. Besitznahme der eigenen Arbeit. Auseinandersetzung, hier und jetzt schreiben. Diese Website ist ein psychologisches zu Hause, einer der dauerhaftesten Orte meines Lebens. electricgecko, Texte.

My writing has to continue, when passing through phases of little input, or non-textual kinds of inputs. It has to find its form and its presence and a way into the world, as fragments and slivers, piercing fragile skin here or far away. In order for writing to happen, reading must happen.

Schreiben heißt veröffentlichen, zuerst vor sich selbst. Das in einem Befindliche, die Wahrnehmungen und Gedanken treten dem Schreiber im Geschriebenen offen sichtbar, klar fixiert gegenüber, erst dort kann er die Worte, die bisher nur in ihm waren, als gedachte oder gehörte, auch wirklich SEHEN.

Rainald Goetz, Leben und Schreiben (2012) in: wrong, 49. Suhrkamp, 2024.

Mai

Learning to work slowly, in wide circles, consuming much time and creating large intervals. Leaving space for your self to show up. Less frantically oriented towards output, and not focused necessarily on improving, but living with the thing your are making, walking with it for a while and leaving it behind, to look towards the sky and read the books. Eventually arriving at something you can let go effortlessly.

April

Eine permeable Persönlichkeitsschicht, durch die Licht und flüchtige Substanzen in das Selbst eindringen können. Es gibt die Möglichkeit, andere Dinge zu tun als die Dinge, die ich immer tue. Verlass die Stadt, eine andere Sonne, andere Luft.

Ein Nuklid in der Stickstuffgruppe, überhaupt Stickstoffe, eine Art gegenteilige Luft: eine farblose, kalte, helle, hochenergetische Situation.

Dezember

Ich habe hier wenig veröffentlicht, in diesem Jahr. Solche Zeiten sind drei oder vier Mal vorgekommen, seit ich diese Publikation 2004 begann. Meist bedeutet es, dass meine Gedanken nicht mehr in die Form dieses Ortes passen, dass ich keine Texte schreiben möchte, die dann hier so aussehen. In diesen Momenten hat sich die Gestaltung dieser Website verändert, sie passte sich Hamburg an und wurde gedämpft als ich aus Japan zurückkehrte, gesperrte Arial auf dunklem Grund. Diese siebte Version ist einfach und präsent. Es ist seit längerem Zeit für eine neue Form, aber sie existiert noch nicht.

In diesem Fall bedeutet die Pause auch, dass ich lerne, mich meiner Sucht nach Disziplin weniger konsequent zu unterwerfen, sie mir zu Diensten zu machen. Schreiben nicht aus Verantwortung vor freitragenden Prinzipien, sondern schreiben weil ich will. Es gibt viele Texte aus diesem Jahr – aber ich habe geringeres Interesse am ausgearbeiteten Resultat, nach dem die aktuelle Form dieser Website verlangt.

Mir ist bewusst, dass ich mir das alles nur einbilde und ausdenke. Es gibt keine Gründe und ich trage keine Verantwortung. Dieser Ort ist frei, der Veränderung Gestalt zu geben. In kurzer Zeit.

Mai

They say run to feel free, but more than freedom, running restores a sense of sharpness to the self. When absorbing physical strain, perception becomes direct and precise, removing the dust and sludge that is the ego-induced lack of cognitive presence. After running, when the world has returned, I immediately want to run again.

The body at the beach is a different one, it is salty and dry, like weathered atlantic rock in the sun. Constantly washed by the spray, and static. Like every particle of the system that forms the beach, its only relations are to the sun and the wind and the invisible stars. The body exists in stasis, it becomes part of the cosmic scale, its smallest component.

Für die Dauer des Laufes spielt nichts eine Rolle, nicht die Stadt, nicht das Wetter, nicht die anderen laufenden Menschen. Der Lauf ist equipmentlos und praktisch, er kann leicht überall und immer stattfinden – aber die Einfachheit des Laufes besteht darin, dass er die Welt für eine Weile durch einen simplen, konkreten, verstehbaren Prozess ersetzt. Der Lauf ist die Welt und die Welt ist der Lauf.

I have been discovering running as something that can belong to my self, my inner self, not my context-aware, pattern-reading intellectual self. Part of it is leaving the mental and physical state and place, by getting up and by fleeing it. An other part is facing the world directly – it’s the planet and me, entering into a brief, unmediated relation. I see the parallax of its landscapes change as they pass me. It sees me making progress like a slow cloud, incapable but determined. Running occurs in a time outside of time, in brief spurts, and it concerns the body over the mind, cognition over recognition. Running is universal, eternal, normal as dirt and precious and free of shape and boundary, like water.

I went for a run today, in a straight line from the column at Casa da Música to the atlantic shore, where I sat down for a while.

Zu Laufen bedeutet einen Ort in Besitz zu nehmen, eine Stadt oder ein Viertel psychologisch abzuschreiten, sie nach deinen Regeln zu durchteilen. Die Geometrie deines Laufes ist dein Zuschnitt der Welt.

Dezember

Limestone, granite and concrete

The memory of reading Werner Herzog’s autobiography will remain connected to the ground floor apartment I inhabited by myself for a couple weeks in late Summer, and the light that fell onto its wooden furniture between five and six in the evening. Herzog’s resilience is expressed with loving belligerence. It stems from a feeling of kinship with the elder world, its animals and phenomena and their direct relation to the world of thoughts and images. His perspective skips the tiresome social layer and directly connects the heart to the sun, to decaying stone, to the soft chirping of chicklets, the big river and my mind when it is free.

Juli

February: There is a new unruliness that takes time to emerge. A permanent potential of subtle chaos and gentle disruption (comparable to the mild high of caffeine) in my days, a set of fresh annoyances that remind me of the ways of the universe. I invite it, and I cherish it, and I invite the change in external and internal expression, they go well with open shirt sleeves and polished boots.

June: My hair is now the longest it has been in years, and astonishingly, i am able to stand its blatant imperfection. There is no purpose in its style and no swagger in its unkempt appearance. Having hair and doing nothing about it is to relinquish control, to be defenseless, it is to not have an answer. The hair is a non-statement, it just is (while paradoxically being strong-willed and chaotic by nature, with a wiry strength in all the wrong directions, at odds with all ideals and imaginations). My hair has taken me this far, it allowed me some casualness, and the freedom to tear down rules without letting arbitration take their place. Rather, it’s like replacing a rigid structure with polyform mesh, something equally strong, but less brittle, less restrictive and less reliant on forces and powers. One day, things might emerge, where I say the words and am understood instead of bending them and the universe to my will, like my hair.

Dezember

Als junger Mensch habe ich einen Weg gefunden, mich zur Welt zu verhalten; durch Konstruktion.

Mai

Der Stromkasten, auf dem ich saß, steht an der selben Stelle. Er war noch unbemalt, zu dieser Zeit, ein gelbgraues Objekt, einen Meter zurückversetzt vom Weg, zwischen den Bäumen am Rand der großen Straße. Die asphaltierten Fahrradwege gab es noch nicht, und die Spuren auf der Kreuzung waren unmarkiert. Es war ein warmer Tag, alle Arbeit war getan und es gab nichts als auf dich zu warten. Ich blickte den gepflasterten Weg hinab und in die Sonne, ich faltete mein Sakko neben mir. Vermutlich hörte ich etwas Untriviales ohne Gewicht auf Dial oder einen der Tracks von der Angst and the Money, die wahr waren, zu dieser Zeit.

Ich wusste immer, aus welcher Richtung du kommen würdest. Ich wusste wie du aufblicken würdest zu mir und meinem Kasten, wie du da stehen und was du tragen würdest. Du würdest einen deiner Sätze sagen und ich würde in einem meiner Tonfälle antworten. Einen Plan gab es nie, nur vollkommenes Verständnis das nie von Dauer war, und wir folgten diesen Abenden in ihre Nächte.

Wir füllten die Gegenwart und unser Leben füllte die Zukunft. Ich erinnere mich kaum noch an dich, aber ich weiß, wer ich war, wenn du da warst, zumindest zu Beginn.

Ja, der Riss der Welt geht auch durch mich. Sie endete am Hafen, weil alles immer am Hafen endet. Aber ich weiß, wo sie begann, wo der Stromkasten steht. Der Mangel ist unsere glänzendste Eigenschaft. Wir werden nichts erklären, nichts begründen, wir haben nichts verloren als unser Interesse.

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