
Being aware/not having to
Being aware/not having to
Es ist ja nicht so, dass man die Antwort bereits ausformuliert hätte, als Textdokument auf der Dropbox oder Draft in WordPress. Sie hängt schließlich sehr am Moment, an der überblickbaren Raumzeit also, die Antwort auf die Frage Wie soll dein Leben sein?
Ich habe keine Antwort, so ganz und für alles; und ich bemitleide Menschen, die sie haben. Dennoch gibt es Settings, die sich plausibel und richtig anfühlen, wenn man sie erklärt oder über sie nachdenkt. Für mich gehört dazu seit etwa zehn Jahren die Vorstellung, eine Tür in urbaner Umgebung aufzuschließen, mein Fahrrad in einen klaren, kargen Raum an die Wand zu lehnen, ein Notebook aufzuklappen – und zu tun, was ich tue: Websites gestalten. Ein eigenes Designstudio, das ist eine Checkbox auf der To-Do-Liste. Ich setze einen Haken.
Im Juli werde ich – gemeinsam mit Andreas ein kleines Studio für digitale Gestaltung eröffnen. Meinen Job in der Agentur habe ich gekündigt.
Wir haben das vergangene halbe Jahr darauf verwendet, uns zu überlegen, was wir wollen, was wir nicht wollen und was wir am besten können. Wir haben uns dafür entschieden, Design als Handwerk zu betrachten. Wir haben uns für Hamburg entschieden, gegen größere Strukturen. Es sind Entscheidungen für und gegen einige Dinge mehr gefallen. Ich bin dankbar für die großartige Hilfe, die wir dabei hatten. Ich bin dankbar für eure Ratschläge, eure Bedenken und all das Vertrauen.
Im Juli werde ich mein Fahrrad an Betonwände lehnen. Ich werde mein Handwerk betreiben, on my own terms, ich werde tun, was mir am meisten bedeutet. Ich werde weiterhin in Hamburg leben. Und wenn das alles gut geht, werde ich mir neue Wünsche für die Zukunft überlegen müssen.
Be your own reference
– Claude Draude.
Der Barbican-Komplex ist einer der erfreulicheren Orte, an denen man sich in London aufhalten kann – eine gleichermaßen schöne wie dysfunktionale Utopie urbaner Planung, eine Arkologie in einer organischen Stadt. Besonders schön ist es, dass auch das Barbican Art Centre als planvoll konstruierter Sozialraum die kompromisslose Formsprache fortsetzt. Besonders beachtenswert: Innenarchitektur und Leitsystem von AHMM.
Ich hatte im Januar das Glück, in diesem Kontext die Ausstellung Future Beauty: 30 Years of Japanese Fashion zu sehen. The first exhibition in Europe to comprehensively survey avant-garde Japanese fashion, from the early 1980s to the present
, soweit die Ansage. Dann die Ausführung: der dreistöckige white cube des Barbican Art Centre zeigt – auf porzellanweißen Puppen – Looks von Rei Kawabuko, Yohji Yamamoto, Junya Watanabe und einigen weiteren Designerinnen und Designern, wobei die drei großen Namen den überwiegenden Teil der Arbeiten ausmachen. Der Fokus liegt eindeutig auf den achtziger Jahren; der Zeit, zu der die monochromen, formal minimalen Kollektionen zum ersten Mal auf den Shows in Paris zu sehen sind. Wie eindrucksvoll ihre Präsenz gewesen sein muss, lässt sich auch 2011 sehr leicht nachvollziehen: Die gezeigte Stücke der Comme des Garçons-Kollektion (1982, Frühling/Sommer) sind von derartiger Klarheit und Konsequenz, dass es einen Augenblick dauert, bis man die emotionale Qualität der Kleidungsstücke erkennt. Weil sie nicht Teil der Mode ist – sondern ihre Funktion.
Im Zentrum des Interesses steht nicht die Gestaltung eines Produktes, sondern vielmehr die bewusste Entwicklung eines Prozesses: welche Rolle nimmt das Kleidungsstück ein? Wie verhält es sich im Raum und wie zu anderen Elementen der Mode? Wie zu den unbekleideten Teilen des Körpers? Die ausgestellten Designer betonen kulturgemäß nicht die Objekte selber, sondern die Räume zwischen ihnen – the space between two structural parts
.
Es ist dieses Konzept von Ma, das die Ausstellung im Barbican eindringlich vermittelt. Ihre Stärke liegt in der Spannung zwischen den einzelnen Arbeiten, ihrer Einordnung und Auszeichnung, getrennt durch halbtransparente Papierbahnen. Dem fragilen Konstrukt, dem Gespinst der Ausstellung kommt dabei der brutalistische Charakter des Gebäudes entgegen. Er hält die Spannung.
Ich habe das Barbican sehr ruhig, voller Gedanken und mit einem vollgeschriebenen Notizbuch verlassen, fasziniert von der Perspektive und der Prozesshaftigkeit der ausgestellten Mode. Ihre Prämissen erscheinen mir intuitiv richtig; sie ist nicht sinnvoll – sie macht Sinn.
Ich sage es jedes Mal und entkräfte meine Aussage anschließend selbst. Die Ansage: Ich mag Konferenzen nicht sonderlich. Das Entscheidende (miteinander reden) wäre auch in anderen Rahmen möglich – und einen Punkt machen, eine Meinung vertreten, einen Votrag halten, das funktioniert auch im Web. Die Entkräftung: Ich werde in diesem Jahr zum SXSW fahren. Genauer gesagt in das Land, in dem es üblich ist, Städten ihren Bundesstaat nachzustellen. Noch genauer gesagt nach Austin, Texas.
Ich freue mich aufs Verlieren im Gewühl, auf wirklich kluge Menschen und Podien, die den Namen verdienen. Auf die Sonne und meine Mitreisenden Kriesse, Daniel, Max und Igor. Und ich freue mich über Anwesenheitsmeldungen, gemeinsame Flat Whites und Drinks in Texas. Meldet euch!1
Schließlich: Ich freue mich auf einige Tage in New York, auf Highline Park und ein Hotelzimmer im vierzigsten Stockwerk. Hoch, so Hoch.
Ich kann das mit der Kunst nicht mehr machen. Obwohl mich Kunstgeschichte und neue Entwicklung sehr interessiert. Und Bilderbücher mich interessieren und ich nachher die Abwicklung sehe. Im Grunde genommen möchte ich gar nicht die Bilder selber malen. Ich möchte das nur abgebildet sehen, wie das Ding neben dem anderen steht. Das interessiert mich, das ist wie so ein Puzzle. Memory, sowas. Auch mit Abbildungen, nicht Memory in deinem Kopf, sondern mit Abbildungen. Das sind bestimmte Zeichen, bestimmte Gefühle, genauso mit Musik. Ich weiß genau, welche Musik gelaufen ist, wo ich welches Bild gemalt habe. Oder welche Zeit da war.
Martin Kippenberger, Stellen Sie sich vor, dein Mond scheint am Himmel, Starship, 2007.
Sarah stellt Fotos aus. Aus Shanghai und von anderen Orten, von Gesichtern und Räumen. In Hamburg, in meiner Nachbarschaft. Im ehemaligen Michaelis-Krankenhaus findet der etwas sperrig betitelte Kongress für Anders statt, der Kunst, Gestaltung, Literatur und Bier unter einem Dach versammelt. Die Literatur vertritt unter anderem Lisa, die am Mittwoch (dem 28.) aus ihrem wundervollen Roman Und im Zweifel für dich selbst vorlesen wird. Eine sehr gute Veranstaltung mit mindestens zwei sehr guten Menschen. Unbedingte Hingehempfehlung.
Das schöne Gefühl leerer Ausstellungsräume (bevor die Exponate geliefert werden); verstanden als Einrichtungsmaxime.
Trotz der blauen Flecken und der morschen Gelenke, den Getränken zuviel, den Niederlagen, der vergeblichen Liebe, der verlorenen Zeit, den Tagen, den Sonnenuntergängen, einer Insel, trotz der grauen Tage und wunderbaren Nächte, für Berlin und anderswo, dem Regen am Strand, für neue Menschen und die alten Helden. Trotz allem und für alles und wegen allem, es war, es ist, es bleibt: Es wert und wunderbar, wenn man sich nur erinnern kann.
Songs und Tracks für 2009.
Dazu noch, als Dreingabe, drei Sets, die mir in diesem Jahr Freude und Rettung waren, in ICEs und Düsenjets nach Hamburg. Downloadlinks inklusive.
And finally — Begreifst du die Chance, als dass sie vergeht / Schreist du Revanche, oder dass dir was fehlt? Und streichst du Pardon jetzt aus deinem Herzen?
Ich habe eine neue Tasche. Sie ist ein Geschenk, aus Shanghai. Genauer: von The Thing, und sie ist schön. Darin befanden sich Magazine, Ausstellungskataloge, Flyer und einige Hello-Kitty-Textmarker, so groß wie mein kleiner Finger.
In den Katalogen stehen gute Dinge, die in ihrem Tonfall, ihrem grimmigen Drang nach einem eigenen Ausdruck die Diskrepanz zwischen den Kontinenten sehr offenbar machen. Dass verstolperte Englisch mindert Aussage und Form um keinen Deut1. Im Gegenteil. Das Folgende muss man sich im Kontext von Sarahs Fotos vorstellen.
All, like revolution, communities, ceremonies, rules, customs and traditions have come to an end. Everything is floating in a self-breeding space. A kind of out, drift, instable selfhood is immersed in a void where there is no tragedy and no end. A large number of post-modern lifestyle creates a kind of bizzare emptiness. On the occasion, the craze to selfhood, self-narcissism and self-obsession and other various thoughts have appeared.
Vorwort, Katalog Scatted Times, Contemporary Art Exhibition. Die Ausstellung läuft noch bis Juli 2010 (wenn ich die Notation richtig deute), und zwar im Open Piazza, Shanghai Times Square, 99 Middle Huai Road, Shanghai.
Strategien sind ja generell eine gute Idee, wenn man ein Ziel verfolgt, so quer über das Schachbrett oder beim Versuch, das Spiel in den letzten drei Minuten noch zu drehen. Für Leben und Arbeit ist das nicht anders, nur fehlt die Hälfte der Steine, die Schnürsenkel sind offen und das Regelbuch liegt hinter dem Sofa.
Das gilt für Gestaltung, aber auch für sonstige Tätigkeiten zwischen neun am Morgen und vier in der Früh. Wie vieles andere auch bedeutet Gestaltung, aus nichts etwas zu schaffen, das im besten Fall zwar nicht neu, aber from scratch, also von Neuem aufgebaut ist. Man kommt nicht umhin, zwischenzeitlich auch mal zu denken. Wer denkt, hadert. Kontingenz ist zwar eine schöne Sache, aber unerwünscht auf dem Weg zum klaren Ziel. Mit jedem hinterfragten Versuch und jeder verworfenen Option lungert man sich schließlich selbst im Weg herum. Man lauert sich auf, bereit, in den eigenen Rücken zu fallen, auf dem Weg zum guten Ergebnis.
Es braucht Zeit, um zu lernen, Willkür zu akzeptieren.
Die Entscheidung für eine Schriftart und ihren Schnitt lässt sich halbwegs über Referenzen und erlerntes Aushandlungswissen begründen. Die Entwicklung eines Rasters ist eine halbwegs formalisierte Aufgabe. Aber spätestens für dessen inhaltliche Ausgestaltung ist die Komplexität der Optionen zu hoch, als dass sie zu überblicken wäre. Und das Ende des Plans, der Abschluss der Arbeit ist letztlich pure Willkür. Es gibt immer noch eine Linie zu entfernen, ein Element feinzujustieren, eine Richtung auszuprobieren.
Wann Gestaltung aufhört, ist nicht abzusehen. Weitere Strategie, bitte. Sie kann nur darin bestehen, Willkür zu akzeptieren. Die Endgültigkeit der Vorläufigkeit nicht zu verwerfen, sondern zu begrüßen. Man muss sagen: Vorläufiges ist hinreichend fertig. Die Angst an sich selber zu scheitern, ist unbegründet.
Der Mangel ist unsere glänzendste Eigenschaft1.
Das ist alles, was wir zu hoffen wagen dürfen. Und gleichzeitig ist es ein großer Luxus, selber zu bestimmen, wann ein Ding anfängt zu existieren. Ob es überhaupt anfängt. Und wann es wieder aufhört.