electricgecko

Juli

Die Götter haben sich entfernt (they left some space for us)

Brace yourself before you read a poem. You never know what it will do to you.

Ein Besuch in La Ribaute, in Ermangelung eines passenderen Wortes: Das Gelände, in dem der Maler Anselm Kiefer für 23 Jahre lebte und arbeitete und es im Zuge dessen vollständig aufwühlte. Ich machte keine Fotos, ich notierte meine Gedanken.

Es ist Mittag. Ein Hangar monumentaler Größe, sein Rücken der staubigen Straße zugewandt. Eine schwere, graue Stille wird auf eigentümliche Weise präsenter durch das fortwährende Schaben der Zikaden Südfrankreichs. Barjac und die sorgsam in Stand gehaltenen Häuser aus hellem Stein scheinen eine Welt weit entfernt.

Everywhere, remarkable: gaping rugged holes tearing up gallery floors, sectioned off by makeshift steel railing. The monster’s pits, from where it appeared to feast, to leave its marks in the world, and to disappear.

Nur ein schwarzes Bild, ein Loch in der Welt, und das Wort Sternenfall in einer gigantischen kindlichen Schreibschrift. The fiery throne of god, as it passes the last things of the world.

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Un papillon, enfin libéré, disparaît dans l’air de l’amphithéâtre. Beilschwärme, die Lidschatten zugefallener Augen, der Abend der Worte. Es fehlt ein Buchstabe in ihnen allen, ohne den das vollständige Bild ausbleiben wird. Es ist verstellt. Hier, doch außer Sicht, der fünfzehnte Felsen in Ryōan-ji.

Diesem Ort und seinen Dingen und Werken liegt ein organisiertes Arsenal zugrunde, die Scheune, ein Ort im Nirgendwo, der das Material für Alles enthält, genug für alle denkbaren Zukünfte. Die Beschriftung der Welt. Unzucht mit den Sternen, die Erde untertan. Alles erfunden, gebaut und wieder verschwunden.

Nur mit Wind, mit Zeit und mit Klang.

The total concreteness of Kiefer: everything is exactly what it is, often explicitly labeled, stating its facts, looking openly at its audience. The architecture exactly equates its physical mass. The order of the angels; who counted, who ordered them? The ten Sefiroth?

Platz schaffen! (Der destruktive Charakter ist jung und heiter)

Wie alle kohärent und persistent Schaffenden greift Anselm Kiefer auf eine begrenzte Anzahl von Materialien und Interessen zurück, ein Vokabular, geeignet um Welten herzustellen. Jede ist ein Abdruck des Materials: Welt nicht als Ursprung, sondern Welt als Resultat.

Die Wintersonnenwende, Shavasana. Der Ofen der Alchemisten. Endlich: eine Sonnenblume.

Die Luft war heiß und trocken, die Sonne brannte am Himmel, die Grillen sangen. Wir kamen auf eine wildwüchsige Wiese, braun verbrannt nach einem langen Sommer, von der eine lange Reihe wackelige Türme aufragte, erbaut aus containergroßen Betonblöcken und so hoch wie dreistöckige Häuser. Wir fuhren an Häusern und kleinen Gebäuden vorbei (…), auch sie hatten etwas von Ruinen, und es war etwas Häusliches und Anheimelndes oder Einladendes an ihnen, fast so, als gehörten sie einem anderen Geschöpf als dem Menschen. (Karl Ove Knausgård, Der Wald und der Fluss, 2021)

If you are not feeling overwhelmed, why are you alive? We are here to be overwhelmed otherwise, there is no reason to be.

The more time Kiefer spent in France, the larger the space afforded to his horizons got.

Juni

Following the autostrada from Milano, heading north, one eventually reaches a wide, gentle s-shaped slope towards the Alps, far but towering, in the distance. They appear shrouded in a blueish-grey haze, a imagined landscape, a familiar topography, a destination. It’s this moment when everything unfolds, the city you left behind, compressed time, the life that is wrong. The panorama is a promise and a potential of a place and a state of being. Possible, not in reach, but present, in this moment and the distance.

Bald wird jede Form der Produktion der digitalen Repräsentation von Identität als Indikator des niedrigsten Status verstanden werden. Der Versuch, individuelle Authentizität unter den Bedingungen heutiger digitaler Plattformen im Dienst dieser Plattformen herzustellen, gleicht kultureller Privatinsolvenz1 Der Aufwand an Zeit und Material, der in die Inszenierung der Produktion des Selbst investiert wird, kann nur als Preis für das intensive Bedürfnis nach Validierung und Mitgefühl gelesen werden, die angestrengte Erfindung und Zurschaustellung von Eigenschaften, die offensichtlich nicht inherent vorhanden sind. Die Unfähigkeit, die eigene Position in der Welt und zur Welt subtil zu kommunizieren, folgt aus einem Mangel an Würde und Eleganz, die auch für die wenig Aufmerksamen in Kürze unmittelbar evident sein wird2.


  1. Die Übertragung eines wirtschaftlichen Konzepts passt zur Effizienzlogik besagter Plattformen. 

  2. Ich befasste mich mit mehr oder weniger diesem Thema in meiner Abschlussarbeit in Kommuniationswissenschaft. Inhaltlich lag ich wohl größerenteils richtig, was die Effekte digitaler Umgebungen auf die Konstruktion von individueller Identät angeht – aber ich unterschätzte die Intensität dieser Wirkungen um diverse Größenordnungen und war entschieden zu optimistisch. Privileg der Jugend. 

Früher oder später wird der Markt seine Aufmerksamkeit auf alle Dinge unserer Leben richten. Das was notwendig für ein würdevolles, bestenfalls elegantes Leben ist, wird als Ressource für die Performance von Moral, Wissen und Status kommunikativ verbraucht werden. Das Reale, Konkrete, Notwendige wird dazu in in das noch nicht reale, das Begehrte verwandelt werden, in Produkte. Es gibt keinen anderen Weg, diesem Prozess Einhalt zu gebieten, als die Dinge schwerer erkennbar zu machen, schwerer zu verstehen und schwerer zu verdauen, sie weniger befriedigend zu machen. Zu betrachten, zu beschreiben, abzubilden was ist, ist ein zunehmend radikaler Akt.

Being the first person at Piscinas das Marés to disturb the pool’s perfect surface amidst the turmoil that is the atlantic ocean is a primal joy. One slips in softly, gliding between natural and synthetic stone; all boundaries seem to become suggestions immediately. The beauty of being in this pool is to enjoy immense freedom in a confined space. Its configuration mirrors life itself: The endless joy of ambition and thought, within the reassurance of a clear, if non-linear, coordinate system. All is blurred, therefore all is possible. Today, I am guest 000628 for the season.

Mai

Zum Ende mündet das Buch in einen Fluss, darin lässt es seine Geschichte hinter sich und trägt uns fort in eine fahle, kühle Welt. Hier ist es kaum noch vorhanden, und doch fließt es weiter, beiläufig, gelöst von der Welt, die in ihm beschrieben ist. In einem halben Schlaf folgen wir den Strahlen der sinkenden Sonne auf dieser Seite, auf diesen Seiten des Horizonts. Ganz leicht und fern ist die Stimmung der endenden Geschichte, ist ist eins mit unserer. Ein Schweben, eine dekomprimierende, entweichende Luft, die der Atmosphäre entgegen strömt. Wir sind in ihr gelöst, kaum hier und kaum dort, dann ist es vorbei.

April

In dem Buch ist die Geschichte aufgeschrieben, der Text als eine große Zahl kleiner Zeichen auf Papier gedruckt, zusammengebunden zu einem Block, der geöffnet werden kann. Das Buch ist ein Datenträger, ein durch seine Funktion klar definiertes Objekt. Zugleich ist seine Form variabel und liegt in den Händen der Schreibenden. Nicht ganz allein; sie wird auch bestimmt von Grafikerinnen und anderen Professionellen einer alten Industrie. Die Form des Buchobjekts und die Formen der Zeichen und das Format und die Größe der Seiten und das Gewicht des Papiers und die Pappe des Umschlags und was darauf auf welche Weise gedruckt oder hineingeprägt ist, das ist nicht Teil des Texts, aber der Text stellt den Raum für diese Dinge bereit. Ihre genaue Ausgestaltung dient nicht dem zentralen Zweck, aber sie müssen vorhanden sein und sie formen das Lesen, das Herstellen der Geschichte, das Decodieren und Interpretieren der Informationen. Es ist ein Raum, den wir betreten, ein Teil des Werkes, mit dem Werk laminierter Kontext. Dieser Raum ist keiner Verwertung unterworfen, er ist Bedeutungsmehrwert, ein Objekt der Ästhetik, eine Skulptur. Am besten sind die Autorinnen, die das Buch so erkennen und es formen: Die ihren Text zu einer Welt machen, und das Buch zu einem Objekt aus jener Welt, das in unsere gefallen ist.

Wir fahren durch Feldwege bis wir auf einem Platz mit hellgrauem Kies zum stehen kommen. Ich parke den Fiat. Es geht durch zwei weiße Tore, beide unverriegelt, entlang eines Laubengangs. Links frisch gestrichene Holztüren, rechts der wasserlose Pool. Auf der Terasse spritzen mausgroße Eidechsen davon und der Himmel dehnt sich aus bis zum fernen See. Zwei Windungen der steinernen Treppe. Oben passt ein Schlüssel. Die Bediensteten sind vor Stunden gegangen, ringsherum ist auf die nächsten zwei Kilometer kein Mensch. Wir öffnen alle Fenster, alles gehört uns auf der einsamen Insel in der Zeit.

Auf einen Cappucino bei Charles Schumann: Was man noch so machen konnte, in jenen verteufelten Jahren, sich erinnern an eine der abgelegten Seiten. Hier lebt das unzerstörbar herzogische, herzogliche, the eternal oaky swag of absolutely everyone, soothing even in its least tasteful iteration. Characters offering resistance by being present, by signalling an interest in being alive, remaining a participant in the grand revolving universe of all matter. Natürlich Arschgeigen, alle, aber besser ihr als die Menschen dieses Jahrhunderts.

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