electricgecko

Dezember

Kunstfertigkeit, gutes Material, Nuancen: langweilig. Interessant ist der ästhetische Vorschlag. Bring ihn, und bring ihn so roh und groß und konsequent wie du kannst. Repeat, repeat, release.

Musik als Zustandsbeschreibung, wieder und wieder, auch zum Ende des Jahres 2013. Weil zum Lesen keine Ruhe bleibt, weil zum Aufschreiben keine Zeit bleibt. Um so schöner, sich inzwischen seit Jahren darauf verlassen zu können, das jeweils aktuelle Jahr (wer zählt noch einzelne Jahre?) ab Mitte Dezember als vorzügliches Musikjahr zu empfinden. Es bedeutet formale Passung, oder die Sensibilität, diese nach wie vor herstellen zu können.

Case in Point: Prurients EP Through The Window, deren Titeltrack und die B-Seite You Show Great Spirit zwei Beispiele für diesen langen und langsamen Narrativtechno sind, den dieses Jahr erfordert. In je über zehn Minuten verfaltet Dominick Fernow Lage über Lage dichter Atmosphäre. Themen, Vocals und Sounds erscheinen und verschwinden im Dub, verhallen im lichtlosen Grundrauschen. Phasenweise befreit sich die vier aus den Flächen und Filtern, sie vertreibt den Nebel, ihre Kraft und das schiere Momentum unwiderstehlich. So zu erleben nach dem Drittel von You Show Great Spirit.

Es ist keine monumentale Veröffentlichung, nicht die Begründung einer Stilrichtung, noch keine Wende. Aber Through The Window ist ein Release, das nicht besser in den verhalten beginnenden Winter 2013 passen könnte. In seine Zugfahrten, die Fußwege in der Dunkelheit und die Durchhalteparolen an Hamburgs Wänden.

Oktober

Ich habe häufig von meiner Reise nach Japan erzählt, in den letzten Wochen. Mal kurz zwischen zwei Getränken und auch in rekursiver long form, die Selektivität und Gemachtheit der eigenen Erfahrungen ins Licht rückt. Aufgefordert, meinen Eindruck des japanischen Zustandes auf eine Pointe hin zu besprechen, sage ich: Alles sei considered. Also Plan- und absichtsvoll erdacht und anschließend ebenso umgesetzt – Bars, Dienstleistungen, Sitzgelegenheiten, Clubs, Kleidung, Rückzugsorte, Nahrungsmittel. Diese und viele andere Dinge sehen fantastisch aus und funktionieren exakt wie sie sollen.

Gemeinhin trinken die Zuhörer dann von ihrer Limonade. Ob das nicht furchtbar rigide sei, also nicht auf natürliche Weise gut, aus der freien, kreativen Natur der Menschen heraus? Sondern das Produkt reißbrettartiger Kreativität, also unlocker und damit klaustrophobisch ihre eigene Schönheit verneinend? Absichtsvolle Schönheit hat einen schlechten Ruf.1

Nein, absichtvolle Gestaltung und präzise Exekution sind keine Makel. Das gilt für die Schönheit tokyoter Stadtplanung, es gilt für grafische Gestaltung, für die Einrichtung von Bars und es gilt – wie immer alles – auch für Musik. Ich habe den Punkt überschritten, an dem ich gutes Sounddesign gutem Songwriting vorziehe. Relevante Musik muss Raum und Licht und Zeit definieren, und zwar ultrapräzise unterscheidbar. Situationen sind interessanter als Geschichten.

Folgerichtig bestimmen zwei ältere Alben von The Black Dog mein Reisen, Leben und Arbeiten in der zweiten Hälfte des Jahres 2013. Music for Real Airports auf meiner Reise gen Osten und durch die Wartehallen von Dubai und Narita. Und Radio Scarecrow, das Magnum Opus der Produzenten-Boyband. Beide Platten markieren Wegpunkte zwischen Musik und vertonten Situationen, Präzise Syntax/diffuse Semantik.

Radio Scarecrow ist ein Musik-Album, auf dem die Hits orthogonal zu den Tracks verlaufen. Beim Skippen sind sie plötzlich unauffindbar; sie offenbaren sie sich nur als Teil der gesamten Arbeit. Einer der besten Parts der Platte verläuft irgendwo zwischen Short Wave Lies und Siiiipher (und von dort weiter zu Digital Poacher), ohne dass es beim Anspielen der einzelnen Tracks nachvollziehbar wäre. Nichts funktioniert ohne seine Umgebung.

Auf Music for Real Airports widmen sich The Black Dog schließlich vollends der Muzak, wie vom Titel impliziert. Es ist die Vertonung der Reisesituation, das Sound-Äquivalent zu Alain de Bottons The Art of Travel. Die LP wird bestimmt durch eine strukturierte Indexierung und Bearbeitung von Situationen. Es sind die Augenblicke und Nicht-Orte des Reisens, und zwar jeweils samt der ihnen eigenen Paranoia. Die fiesen Vibes des Unterwegs-seins werden nicht ausgeblendet, sondern effektvoll eingesetzt. Es handelt sich um zudringliches, ganz und gar diesseitiges Sounddesign – ein freundschaftlicher Stoß in die Rippen von Brian Enos fabelhaftem Nullkontaktutopia.

Radio Scarecrow und Music for Real Airports verweigern die Ausformulierung, das endgültige Aussprechen im Einzelnen zugunsten der Atmosphäre, der Verortung, der präzisen Gestaltung eines Settings. Sie sind Alben der Post-Album-Ära. Sie sind Orte, sie sind Zeiten, sie sind Erlebnisse.


  1. Nein, ich kann keinen Makel daran erkennen. Qualität ist wichtiger als Spontaneität. In der Kritik an wahrnehmbarer Gestaltetheit schwingt allzu häufig die bürgerliche Furcht vor Schönheit und Klasse mit; die Angst, ein zu schönes Café oder ein zu anspruchsvolles Geschäft zu betreten. Wird darauf hingewiesen, liegt eine Diskussion des leidigen Begriffs der Authentizität nicht fern. Und die ist ein probater Weg, sich gegenseitig den Abend zu ruinieren. 

Juni

Ein Text über die letzten beiden Releases auf Modern Love. Es mag das Alter sein, nachlassende Rezeptionsfähigkeit oder beginnende Ignoranz. Ich bin nicht mehr länger nur unwillens, sondern nicht in der Lage, mich mit der Musik auseinanderzusetzen, die größte Aufmerksamkeit und wirtschaftlichen Erfolg genießt. Sie ist mir zu hart, ihre Agressivität und Produziertheit überfordern mich. Sie verlangen strukturell wie inhaltlich nach spezifischen Reaktionen. Klanggestaltung und Performance dienen als Cues für den Abruf dieser – in spezifischer Abfolge und Wiederholung. Diese inhaltliche Rigidität und Härte macht mich fertig, innerhalb weniger Sekunden.

Dagegen: Musik, die sich auf den Raum bezieht. Nicht im im Sinne einer Zuordnung, sondern im Sinne eines Entwurfs. Plutocracy, die zweite B-Seite des neuesten Miles-Releases, ist ein solcher Track. Er markiert seine eigene Ausdehnung in der Welt auf klare, eindrückliche Art, er beschreibt den Rahmen seiner eigenen Performance. Plutocracy ist vermutlich das, was gemeinhin als harte Musik aufgefasst wird, doch alle Rigidität und Härte liegen im Sound, sie sind notwendig zur präzisen Vermessung der Oberfläche. Im Inneren ist Raum für Ambiquität, Deutungsoffenheit. Von Musik wie dieser geht große Ruhe aus, ihre Brachialität und Langsamkeit lässt Luftholen zu, und Ablehnung und Überlegtheit.

Dagegen: Musik, die sich auf Momentum bezieht. Dyslogy, ein Track, der Demdike Stare eindeutiger auf den Floor orientiert als sämtliche Releases zuvor. Dyslogy ist ein immersives Erlebnis – gebaut aus perkussiven Spuren, verwoben und geschichtet auf einem Jungle-Gerüst, allein das Wort schon. Wäre der Sound der Toms nicht so haargenau richtig und würden sie nicht erst bei 4:01 einsetzen – es wäre alles vergebens. Auch dieser Track wäre ohne seine Konzentriertheit und Rigidität weniger bedeutsam. Er schafft ein Momentum, physischen Vortrieb für jede Assoziation und jede Frage. Auch dieser Track fordert keine Reaktion zu keinem Zeitpunkt.

März

Der Winter hat sich festgebissen, in diesem Jahr. Einige Lagen dicht gesponnene Wolle bleiben zwischen mir und der äußeren Welt. Der Wärme wegen, sicherlich, aber auch, um innen Raum für ein anständiges Whiteout und bessere Kälte zu schaffen, die der Halbjahreszeit gerecht wird. Einen Ort, der nicht treffender zu benennen ist als mit The Pentaki Slopes. Die asymmetrischen Steilhänge des Pentaki. Aufstieg/Abstieg.

Ich bin Kangding Ray – der 2011 bei raster-noton eines der besten Alben des Jahres veröffentlichte – dankbar, für diesen Titel und die Platte (ebenfalls: raster-noton), die ihn trägt. Weil sie in drei Tracks das Gefühl auf den Punkt bringt, auf Reisen zu sein, in lebensfeindlicher Umgebung. Sie beschreiben den Aufstieg, die gespannte Stille des Plateaus, den Abstieg.

Considered as the ultimate goal by both psychedelic gurus and database optimization corporations, and as an ideal retirement destination for a couple of lost souls in search for coherence and objectivity, the source diffuses endless loops of haunted voices, apparently sampled from a discarded call center, running low on power, encouraging listeners to shorten cycles, deliver requests and improve user experience.

Die drei Zustände sind hypnotisch und atmosphärisch hochverdichtet. Sie strahlen Kälte, Anspannung und immanente Wärme aus, ununterscheidbar und zeitgleich, wie die ersten Momente einer Verbrennung oder Erfrierung. Tracks gemacht für Zugfahrten durch gefrorene Felder, straighter und unverstellter als der große Teil der Kangding-Ray-Releases. Grimmig, wärmend, wütend schritt ich voran.

  • Kangding Ray – The Pentaki Slopes. raster-noton. 10. Dezember 2012.

Allen Quantifizierungsbestrebungen zum Trotz erscheint mir nach wie vor Musik als das geeignete Medium, um Koordinaten des eigenen Lebens abzustecken. Eine Playlist, ein immer noch so genanntes Tape, ein Set – es sind Markierungen des Hier und Jetzt, im Wortsinn. Sie beschreiben einen Ort und eine Zeit, じくう, Raumzeit. Aus diesem Grund hole ich Rainfall, Revolve gern hervor. Darum notiere ich Tracks, die das Jahr gefüllt haben; zuletzt für 2012 und 2011, natürlich.

Auf Einladung von Freunde von Freunden habe ich einige Musik für die ersten beiden Monate des Jahres 2013 in einem Set verbaut. Es ist die Nummer 51, und sie ist – dank mangelnder Kunstfertigkeit und hinreichend Attitüde – angemessen roh geraten. Es ist eine Folge von Tracks, die dafür gemacht sind, in weiten Räumen gehört zu werden, raumgreifende Musik, sozusagen, auf die eine oder andere Weise. Um ihr meinen eigenen Titel zu geben: Das hier ist Rooms, hier ist der Soundcloud-Link. Enjoy.

Um besonders rohe Formate (YouTube-Videos, Bandcamp-Seiten) niederfrequenter Musik noch ein wenig schneller (sofort) als erinnerungswert zu markieren, habe ich in der vergangenen Woche SCHLUCHT gestartet. Mehr vom gleichen, mehr vom guten.

Dezember

Es bedeutet keinen Unterschied, ein bestimmtes Alter erreicht zu haben. Keine gestiegene Reflektionsfähigkeit oder größere Klugheit. Der Unterschied ist vielleicht, sicherer zu wissen, was man gelernt hat. Es bedeutet: Ruhig auf subjektive Wahrheit bauen. Niederschreiben. Dem Momentum folgen, in der Arbeit und in allem.

Es ist richtig, grobe Werkzeuge zu verwenden. Ideen nicht auszuarbeiten, sondern sie in einem rohen, unverzierten Zustand zu belassen. Schönheit nicht in der Ausarbeitung finden, sondern in Energie und Krassheit. Wach bleiben. An allem zerren.

Im Mission District (wo ich meinen Pullover fast verlor), in Porto, im Winter, auf dem Dach des Standard in Downtown LA, den Platz der Santa Maria Novella in Florenz betretend, verschwitzt im Sonnenaufgang, in Hamburgs obersten Stockwerk, über Zürich.

Intensität ist für mich immernoch [sic] der einzige akzeptable Wert. Eben weil alle anderen Werte Betrug sind. […] Stahl auf die Finger hauen, heiser zusammenbrechend schreien. Oder, pathosfrei und noch richtiger: Strip it, boost it. Musik aus dem Jahr 2012.

Winter

  • Adam Marshall – Chord Tracking (Remix MS)
  • Onra – One for the Wu (alternate Version with ODB)
  • Andy Stott – Night Jewel
  • Claro Intelecto – New Dawn
  • G.H. – Earth
  • Nosaj Thing – Light #1 (Take Remix)
  • Hyetal – Beach Scene
  • Hate – Darkcore
  • Scuba – July
  • Smallpeople – Kind of Green

Frühling

  • CFCF – Arctic
  • Das EFX – Mic Checka
  • John Roberts – Crushing Shells
  • Claro Intelecto – Reformed
  • Pachanga Boys – Time
  • Army of God – Salvation (Spaventi d’Azzurro Remake)
  • Einstürzende Neubauten – Meyou & Youme
  • Oskar Offermann – Drive me Home please
  • The Rolling Stones – Jumping Jack Flash
  • DMX Krew – East Side Boogie
  • Palisade – 18:30
  • Einstürzende Neubauten – Selbstportrait mit Kater

Sommer

  • The Hundreds in the Hands – Keep it Low (Andy Stott Remix)
  • The Sight Below – Life’s Fading Light (Pantha du Prince Remix)
  • Chet Faker – No Diggity
  • Scuba – Never
  • NZCA/Lines – Nazca
  • Quasimoto – Broad Factor
  • T. Keeler & Capablanca – Acido (Name in Lights RMX)
  • Ital Tek – East District
  • The Dharma – Plastic Doll (Instrumental Version)
  • JJ Doom – Guv’nor
  • Todd Terje – Inspector Norse

Herbst

  • Einstürzende Neubauten – Ich gehe jetzt
  • Studio – Life’s A Beach! (Todd Terje Beach House Mix)
  • Yør – Rushed
  • Steffi – Schraper
  • Jan Jelinek – They, Them
  • Fort Romeau – Kingdoms
  • Andy Stott – Luxury Problems
  • Reverso 68 – Piece Together (Todd Terje Spinning Star Remix)
  • Hate – Pretty Boys Don’t Survive Up North
  • Beacon – Feeling’s Gone (Fort Romeau’s Shibuya Edit)
  • Joy Division – Transmission (1980 Martin Hannett Session)
  • Andy Stott – Sleepless

Winter

  • Covenant – Void
  • Kreidler – Deadwringer
  • Einstürzende Neubauten – Redukt
  • Andy Stott – Edyocat
  • alva noto – uni rec
  • The Soft Moon – Zeros
  • Redshape – Kung Fu
  • K.Flay & Michna – LA Again
  • Jane – Slipping Away
  • The Soft Moon – Lost Years
  • Bauhaus – Dancing
  • Method Man & Raekwon — Meth vs. Chef

Es gibt eine Spotify-Playlist, der einige der besten Tracks fehlen.

Sets

Die Platten des Jahres zu bestimmen, sie aufzuzählen und zu veröffentlichen, als seien sie ein Höhepunkt, ein Abschluss – es ist wohl eine entlarvende Eigenheit meiner Generation. Zwölf Monate Gewohnheiten protokollieren und Situationen notieren – das ist sinnvoll, wenn es am Ende beschränkte Plätze zu besetzen gilt: Die besten fünf, 640 Kilobyte, zwei 5¼ Floppys. Sich zu beschränken, diese und diese nicht, ist eine Reaktion auf beschränkten Raum und beschränkte Zeit.

Wenn es um Musik geht, sind wir nicht zum oder gezwungen, sondern zum und. iTunes-, Spotify-, Rdio-Playlists sind von Natur aus inklusiv, nicht exklusiv. Das ist schade, weil es Streit vermeidet. Urteilsfreiheit macht schlechte Partys und kleinste gemeinsame Nenner. Das kann und soll nicht unser Ziel sein. Sondern Spezifik, Subjektivität und Verschiedenheit.

Darum nenne ich auch für das dreißigste Jahr meines Lebens fünf Platten, die wichtig und gut waren. Weil sie etwas neues gesagt haben, oder etwas altes auf neue Weise. Weil sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren (wie The Soft Moon) oder einfach immer und überall (wie Claro Intelecto). Sie sind die fünf besten Platten des Jahres 2012.

  • NZCA/Lines – S/T

    Ende dieses Jahres stellte ich fest, dass Apple das sehr schöne Artwork von Non-Format für eine iPod-Kampagne verwendet. Ich musste lächeln und an den Frühling denken, als die beste Popmusik-Platte mal wieder bei Lo Recordings erschien. Ihr Groove ist ebenso löchrig wie blitzsauber produziert, so eingängig und subversiv – in einer geschmackvolleren Welt müsste Michael Lovett große Sporthallen ausverkaufen.

  • Shed – The Killer

    Im August schrieb ich über die dritte LP von Shed und stellte fest, dass hier eine Verdichtung stattgefunden haben muss. Die Intensität dieser Platte ist hoch. Es ist Musik für die Nacht, wenn noch nicht alles getan ist, wenn noch etwas gebaut und gedacht werden muss. Ich hatte gute Ideen, während Day After im Studio lief. Laut und klar, entschlossen, geschlossen. Mit einem Outro-Track der wie gemacht dafür ist, zu Hause anzukommen.

  • Claro Intelecto – Reform Club

    Kein Ort, den ich in diesem Jahr besuchte, begegnete mir ohne diese Platte. Und würde ich nur ein Album für 2012 nennen, es müsste es wohl dieses sein. Claro Intelecto haben den Flow meines Jahres beschrieben – dubby, staubig, in mittlerem Tempo, mit Nachdruck. Blind Side, Second Blood und insbesondere It’s getting Late gehören in die warme Luft und die dunklen Straßen des Mission District, zum Taxi auf der Sonnenallee, zum Fußweg aus dem Studio nach Hause. Ohne dieses Album ging ich nirgendwohin, in diesem Jahr.

  • The Soft Moon – Zeros

    Dieses Album müsste die Platte des Jahres sein, nach allen Kriterien. Sie ist entschlossen, intensiv, simpel in ihren Mitteln, aus einem Guss, unantastbar, ein Monolith. Doch ignorieren wir ihre Geschlossenheit, ihre perfekte Dramaturgie – denn sie enthält das beste Stück gitarrenbasierter Musik, das ich seit Jahren gehört habe: Zeros, der Titeltrack. Ich bin versucht, ihn in jede Playlist zu integrieren, in jedem Set zu spielen. Jede und jeder sollte diese Demonstration von Konsequenz und Groove gehört haben, seine unnachgiebige Schönheit und die Schmerzen, die er verursacht. Dieses Album entspricht präzise meinem ästhetischen Empfinden, es macht wachsam, es schärft den Blick. Es hätte die beste Platte dieses Jahres sein sollen.

  • Andy Stott – Luxury Problems

    Doch ich musste kapitulieren vor diesem Album. Andy Stott gehört seit zwei Jahren zu meinen meistgehörten Musikern, seine EP Let’s stay together war für mich die Platte des Jahres 2011. Doch als dieses Album im November erschien, hatte mich nichts auf diesen stilprägenden Entwurf von elektronischer Musik vorbereitet. Ihr dekonstruierter, industrieller, poppiger, jawaseigentlich-Sound klang wie nichts, das ich zuvor gehört hätte – trotz der vielen Zitate, der Samples und Verweise auf vorige Releases, die ihn ausmachen. Dieses Album ist ein wichtiger, interessanter, Perspektiven definierender Beitrag zum ästhetischen Diskurs. Es wird dieses Jahr und sein Jahrzehnt überdauern.

Weiterhin erwähnenswert: Fort Romeau – Kingdoms, Oskar Offermann – Do Pilots still Dream of Flying?, Jane – Berserker, Scuba – Personality, JJ Doom – Keys to the Kuff, Hyetal – Broadcast, Einstürzende Neubauten – Perpetuum Mobile, G.H. – Ground

November

Das Jahr erreicht die dunklen Monate, die Luft unten am Hafen ist kalt und es wird nicht mehr lange dauern, bis die Elbe Eis führt. Es ist also erwartbar Zeit für die bedeutsamen Releases des Jahres 2012. Dass an zwei aufeinander folgenden Tagen zwei Alben erscheinen, die nach dem ersten Hören unbedingt zu den besten des Jahres gezählt werden müssen, ist dennoch erstaunlich. Nach Zeros, der zweiten von Soft Moon, nun also Luxury Problems, die zweite LP von Andy Stott.

Dass seine vorigen EPs und Singles auf Modern Love zum visuell und musikalisch Schönsten und Spannendsten gehören – damit würde ich einen Text über „Luxury Problems“ beginnen. Müsste ich ihn schreiben. Es ist nicht notwendig, da bei The Quietus alles steht, was ich zu sagen hätte. Zum Beispiel über die Fortentwicklung des Andy-Stott-Sounds und seiner grundsätzlichen Attitüde.

Though it’s still a used Benz, sonically speaking – ornament nicked, in need of a lick of paint, incapable of being properly scrubbed down, but nonetheless resplendent, and growling meaner than hell.

Das kann man richtiger nicht formulieren. Auch über die Präsenz und Bedeutung von Alison Skidmores Stimme (Stotts ehemalige Klavierlehrerin) ist dort hinreichend gesagt. Zu Ergänzen wäre allenfalls ein Lob der Kunstfertigkeit, mit der Andy Stott Texturen und Breaks zueinanderfügt, auseinanderflext und ineinander zwingt. Hörbar in den aufeinander geschichteten Melodien im Titeltrack, „Luxury Problems“ etwa. Und im kurz anzitierten und dann zu einem massiven, langsamen Stomp dekonstruierten Amen Break von „Up the Box“.

Hätte Andy Stott eine weitere Let’s stay together in Albumlänge veröffentlicht – ich wäre überaus zufrieden gewesen. Luxury Problems ist mehr als das, es ist ein genreprägendes Album.

  • Andy Stott – Luxury Problems. Modern Love, 29. Oktober 2012. Vollständiger Album-Stream bei NPR.

Oktober

Künstlerischer Fortschritt hat aufzufallen – die bestehenden Ideen müssen voran gebracht werden, weitergedacht oder auf spektakuläre Weise ausgewechselt. Innovation muss sichtbar und beschreibbar sein, am allerbesten unmittelbar, schließlich weitersagbar. Doch was, wenn der Fortschritt komprimiert ausfällt, aufs Engste verdichtet, kaum Raum und Sichtbarkeit beanspruchend – kein Weiter suchend, sondern ein Tiefer? Dann ist die Iteration zu begrüßen, die Wiederholung, der machtvolle Vortrieb der bestehenden Ideen: Strip it, boost it.

Ende 2010 zählte ich das Debüt der Gruppe The Soft Moon zu meinen fünf Platten des Jahres, verstand sie als Iteration dessen, was Quad Throw Salchow im Jahr zuvor begonnen hatten. Am 30. Oktober 2012 erscheint Zeros, die zweite Soft-Moon-LP. Sie ist eine Vertiefung, eine mit großem Nachdruck vorgetragene Bestätigung: Ja, unser Weg war richtig. Wir werden ihn weiter gehen, unnachgiebiger, repetetiver, unbeirrter, konzentrierter. Strip it, boost it.

The Soft Moon legen mehr Gewicht in jede Kick, jede Bassnote, jeden scharf angeschlagenen und diffus verhallenden Soundeffekt. Sie erzeugen Musik, die ihre Intensität aus Präzision und Wiederholung zieht. Die ihre Schärfe und Verletztheit nur deshalb im eckigen Reißbrettgroove aufgehen zu lassen scheint, um sie noch präziser wirken zu lassen. Als Beispiel muss man den Titeltrack, Zeros, anführen. Es ist eines der besten Stücke Gitarrenmusik, das ich seit Jahren gehört habe. Vergleichbares ließe sich über Lost Years sagen – Rockmusik einer 4/4, die so gerade ist, dass sie auch aus einem technoiden Housetrack stammen könnte.

Letztlich ist es aber Zeros – das Album – das als intensivierte, reduzierte und hochpräzise ästhetische Aussage stehen bleibt. Ein Monolith.

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