electricgecko

Dezember

Am letzten Tag der Dekade steht die Sonne tief, waagerecht zu den letzten schwarzen Oberflächen des Jahres 2019. So muss das sein, Echo einer Erinnerung an den Blick aus Kriesse’s Fenster in den Nuller Jahren. 2019 war ein Jahr mit hoher Dichte, das war klar, als es sich vor einer Ewigkeit über den Dächern der Stadt ausbreitete.

Die Konstanten in diesem Jahr waren Bewegung und Arbeit. Das war erwartet und geplant, und in der Kombination schöner und härter als vorgestellt. Ich habe in einem Hotelzimmer über Wilshire gearbeitet, in Garagen an den Westküsten der USA und Portugals, in einem Haus aus Holz am Tegernsee, auf einer Dachterasse über dem Beton Marseilles. Am Schreibtisch einer kolonialen Stube in Ho Chi Minh City, in einem sonnigen Innenhof in Paris. Neben dem Ofen in einer Scheune in Brandenburg. In Betten, Zügen, Nächten. An welchen Ort ich gelangte, Arbeit war bereits dort.

Vieles später: Los Angeles und seine Schatten, Sport1, Staples, Alkohol, schwarz weiß. Rave, Nebel Nebel, Love in a Basement. Eupalinos und die Wahrheit und Demut, die mich Web Design as Architecture gelehrt hat. Gebäude in Marseille, Rue Marengo. SEGMENT oder die Freude, Willen in Präsenz zu verwandeln. Wahre Partnerschaft. My life as perpetual experimental proof that a life can be lived this particular way.

Selbstdisziplin und Intensität sind berauschend, und berauschende Dinge darf man nicht übertreiben, sonst spürt man sie nicht. In den 2020er Jahren muss das Verschwinden gelernt werden. Langsamkeit, Intervall, den Kick der Disziplin rationalisieren. Mit den Jahren wird klar, dass diese Worte nicht das Gegenteil der Agenda sind, sondern ihr Endgame. Totale Intensität und völlige Ruhe als Einheit der Differenz, しんずい, following the material and guiding it at the same time, until coherence emerges organically. Musik kurz davor, am Ende der Zehner Jahre.

Winter

  • Boy Harsher – Run
  • VC-118A – Inside
  • Demdike Stare – At it again
  • Shed – Guile
  • Crack Cloud – Drab Measure
  • Schwefelgelb – Durch die Haare die Stirn
  • Lee Gamble – Moscow
  • STL – Silent State
  • Neustadt – Neustadt
  • Sei A – Mode Static
  • Forschung & Entwicklung – Premis II
  • Boy Harsher – LA
  • Flxk1 Ft. Wan.2 ‎- Antitheorie A1

Frühling

  • Die Goldenen Zitronen – Die Alte Kaufmannsstadt, Juli 2017
  • Rick Wade – The D
  • Vril – Incendium
  • Lord Apex – GTSA
  • Show & AG – Bounce to This
  • Zebra Katz – Blk & Wht
  • Zomby – Zexor
  • Major Dollar Bills – Midnight Fusion
  • Supreme The Rude Boy – Friday Nite Live
  • Rainer Veil – Gauze
  • Kareem – Inhale
  • Constantine – Cosmos
  • Acronym – Nemo

Sommer

  • Dasha Rush – Antares
  • Shinichi Atobe – Heat A1
  • TR/ST – Colossal
  • Belgrad – Westen
  • Franz Ferdinand – Take me out
  • Martyn – Rhythm Ritual
  • Pessimist – Through the Fog
  • Kareem – Rattle Disco
  • Topdown Dialectic – A1
  • Osaka – Love hurts
  • New Order – Hurt
  • Ministry – Everyday is Halloween
  • DJ Bogdan – Love Inna Basement (Midnite XTC)

Herbst

  • Messer – Anorak
  • The Police – Bring on the Night
  • Boy Harsher – Morphine
  • Topdown Dialectic – B4
  • Grauzone – Wütendes Glas
  • The Aim of Design is to Define Space – AIM #@%!$
  • The Aim of Design is to Define Space – Fanta Fear
  • Hoover1 – 1B
  • Shed – B1 (Anfang und Ende)
  • Wax – 70007B
  • Rainer Veil – Repatterning
  • Newworldaquarium – Trespassers
  • TR/ST – Iris
  • Shed – Menschen und Mauern

Winter

  • Lord Raja & Jeremia Jae – Van Go
  • Messer – Der Mieter
  • Siouxsie and the Banshees – Cities in Dust
  • Notorious Big & Method Man – The What
  • Iori – Spaciotemporal (Vril Remix)
  • Galcher Lustwerk – I see a Dime
  • Drab Majesty – Foreign Eyes
  • Shed – B2 (Anfang und Ende)
  • Alva Noto + Anne-James Chaton – CR-FO
  • Speedy J. – Krikc (Umek Remix)
  • Hiro Kone – Fabrication of Silence
  • STL – Good Wine (33.3rpm)
  • Schwefelgelb – In dem Laken
  • Blitz – Flowers & Fire

Sets


  1. I never lost my adoration for the lessons the sport taught me, about resilience and grace, about humbleness, the american myth of hard work, about getting up and not blaming anyone but your own body and mind. 

Ich fragte Kachelbad, ob er das Gefühl kenne, wenn man sich bewusst macht, dass man gerade in diesem einen Augenblick existiere, und Kachelbad wusste, wovon ich sprach: Es dauert nur wenige Sekunden, wenn man darüber nachdenkt und schon wird einem mulmig und bekommt das Gefühl, zu verschwinden. Als sei man immer weniger Körper und immer mehr Gedanke. Fast meint man, sich von hinten zu sehen, sich in Auflösung zu begreifen und nur noch zu denken. So ein Himmel und so eine Situation provozieren jenes Gefühl vielleicht auch. Doch seit meiner Kindheit überfallen mich derlei Gedanken. Ich mache mir bewusst, dass ich gerade nun in diesem Augenblick existiere, dass es all das gibt, was ich sehe und spüre und fühle, dass es die Physik gibt, dass Handlungen Konsequenzen haben, ich sehe meine Hände, begreife meine Augen und verstehe, dass niemand frei ist, weil alles Konsequenzen hat, auf die man reagieren muss. Doch das Denken bleibt abstrakt, so lange, bis ich fast mantrisch immer wieder um den Gedanken kreise, dass ich jetzt gerade hier in diesem einen Moment existiere und dass das nicht anzweifelbar ist, eben weil dieser Gedanke sich durch die Zeit bewegt und eine Geschichte und eine Zukunft hat, er steht vor der Geschichte und macht deutlich, dass Entscheidungen erforderlich sind (Atmung, Nahrung, Bewegung, Leben oder das Gegenteil), und mir wird mulmig zumute, noch mulmiger. Gleichzeitig aber gibt es keinen anderen Modus, in dem ich so deutlich meine Existenz spüre. Die Vorstellung, was wäre, wenn das nicht wirklich sei, was also die Alternative zum Dasein wäre, ist undenkbar, sie bleibt abstrakt.

Hendrik Otremba, Kachelbad’s Erbe, 369-370. Hoffmann und Campe, 2019.

Es ist eine einigermaßen spezifische Empfindung, und sie derart präzise formuliert zu lesen, macht ein bemerkenswert warmes und verstörendes Gefühl, der lebende Schatten des eigenen Inneren auf einem Display eines Ultraschallgeräts.

Carsten Nicolai, Retrospektive im K21, Düsseldorf. Dezember 2019.

2019 war das erste Jahr ohne die gedruckte Spex, also die Publikation, die (neben De:Bug und The Wire) meinen Zugang zu Musik wesentlich geprägt hat. Eigentlich nicht den Zugang, eher die Art, über Musik nachzudenken, darüber zu sprechen und zu schreiben. Über Musik schreiben, nicht um sie zu kritisieren oder öffentlich gut zu finden. Über Musik schreiben als Auseinandersetzung mit der Art, wie sie in die Welt und die eigene Psychologie passt. Darüber, was Musik empfindbar macht, also darüber, was Musik in der inneren Welt hervorbringt. Auf diese Weise über Musik zu schreiben, hat eine gewisse therapeutische Qualität. Über Musik schreiben ist auch immer: Die eigene Mythologie schreiben, eine Welt erfinden und dann darin leben.

Das Format der Fünf Alben des Jahres ist beliebig, inadäquat und überholt. Auf diese Weise vermeintliche Struktur schaffen zu wollen, ist müßig. Ich tue es weiterhin, weil es mir die Möglichkeit gibt, ein Jahr zu erinnern, anhand der Dinge, die wirklich zählen, eben weil sie keine Dinge, Momente, Tage oder sonstige Gegenstände sind. Sondern Prozesse, Loops, Echos, Perspektiven und Atmosphären, die nicht stattfinden, wenn Musik nicht stattfindet. Das Jahr ist nicht passiert ohne Musik, und es wird nicht erinnert ohne Musik.

Dies sind die fünf Alben, an denen sich kristallisiert, was ich in Zukunft 2019 nennen werde. Wie kann man das erklären, wer soll das lesen, wo soll das vorkommen? Danke, Spex.

  • Alva Noto + Anne-James Chaton – Alphabet (Noton)

    Meine kognitive und psychologische Fixierung auf die Wahrnehmung von Räumen im Allgemeinen und ihrer Atmosphäre im Speziellen sind wiederkehrende Motive dieser Texte. Es ist also wenig überraschend, dass ich in Musik raumhafte Qualitäten zu erkennen glaube und versuche, sie mit entsprechenden Begriffen und Perspektiven zu beschreiben. Es mögen False Positives sein, oder eine leichte Form pathologischer Synesthäsie. Im Fall dieser ersten gemeinsamen LP von Alva Noto und Anne-James Chaton erscheinen sie mir durchaus geeignet.

    Wie wenige andere Musikerinnen und Musiker ist Alva Noto in der Lage, Qualitäten von Raum-Atmosphären1 in seinen Tracks zu sammeln. Alphabet definiert eine psychologische Architektur mit der klaren Regelmäßigkeit eines Echolots – dass dabei die emotional empfundene Atmosphäre eine zentrale Rolle spielt, ist selbstverständlich (wenn auch für begrenzt empfindsame Hörer nicht immer evident). Alphabet ist eine angenehm temperierte Halle im grauen Vakuum einer imaginären CAD-Software. Anne-James Chaton schreitet diesen gezeichneten Raum beharrlich ab, auf geradezu konzentrische Weise. Eine Platte wie ein forschendes Gedicht, gleichermaßen geschlossen wie offen, white stasis, ein Refugium des späten Jahres 2019.

  • Shed – Oderbruch (Ostgut)

    Am Ende des Jahres bin ich, wo es begonnen hat: In Ruhe im Momentum. Der Thalys jagt über flandrische Felder, Wolken, Horizont. Ich spüre die Last des Jahres hinter mir, den Raum zwischen jedem Gedanken. Shed hat Anteil an Empfindungen wie diesen. Seit Shedding the Past setzen sich seine LPs mit einer spezifisch hochfrequenten Form der Stasis auseinander, in Ruhe, voller Energie. Waren es in den vorigen Alben in erster Linie die emotionalen und architektonischen Konstellationen der Städte, verlegt Oderbruch dieses Arrangement in die in Auflösung begriffene Natur, weist nach draußen, auf die Möglichkeit, inne zu halten. Die Motive sind vertraut: Lere als tragende Form, Rave-Introspektion, die Wiederholung, alles Sein ist eine bewegte, sich ununterbrochen verändernde Realität, Hineinziehen und Entfalten2.

    Ich bin nicht gut darin, Freiräume zu finden und sie zu schützen, in diesem Jahr weniger als in denen zuvor. Oderbruch ist ein Wegweiser, eine Art wie es gelingen kann, von der manischen Kognition, dem Hyperbewusstsein zurückzutreten. Vor einigen Wochen schrieb ich über das Innere, das in der Welt verdampft, ein ruhiger Gedanke, der unmittelbar aus B1 (Anfang und Ende) folgt, einem der Tracks des Jahres 2019. Leere, Ruhe, Momentum.

  • Rainer Veil – Vanity (Modern Love)

    Vanity erschien im Mai dieses Jahres. Mit dem Moment, in die LP auf dem Speicher meines Telefons ankam, schien sie dort bereits lange zuvor vorhanden gewesen zu sein. Es ist faszinierende Universalmusik, die sich trotz ihrer atmosphärischen Varianz in jeden Ort und jede Zeit dieses Jahres einfügte. Auf seiner ersten LP hat das Duo zu einer ruhigen, introspektiven Eigensinnigkeit gefunden. Die architektonischen Referenzen sind nun nuancierter als es noch auf New Brutalism (q.e.d.) der Fall war – das Zerlegen, Evaluieren, Re-Mixen und Re-Konstruieren des eigenen Materials (Third Sync, In Gold Mills) spielt auf Vanity eine große Rolle.

    Es führt Rainer Veil zu neuen Formen der Einheit von Leere und Raum im Sound. Es sind Intervalle, in denen sich empfinden und denken lässt: Etwa in der evokativen Texture von Gauze, einem der größten Hits und am häufigsten gehörten Tracks des Jahres. Oder in Elements – Musik, die Konzentration und Würde an jedem Platz in jedem Raum möglich macht. Konzentrierte, nach Innen gerichtete Musik, eine Art Audio-Eigengrau, not intricate but textural, schrieb ich im Sommer. Ein Album für dieses und die nächsten Jahre.

  • The Aim Of Design is to Define Space – Clean Bible, Dirty Christ EP (Monkeytown)

    Ich/Okay machine/Berlin burnout queen. The Aim of Design is to Define Space verschwinden im Nebel der Volksbühne und sind fortan nicht präsent in den 2010er Jahren, also nicht präsent in der Stadt, die Berlin heißt, es aber nicht mehr ist. Doch die 2010er enden nicht, ohne dass diese Gruppe, die Chronisten der richtigen Dinge, auftritt und das Wichtige sagt, wie gesagt. Letzlich sind es auch auf Clean Bible, Dirty Christ die Schönheit des Vokabulars3 und die Präzision der zusammensortierten Referenzen4, also wesentliche Aim-Sachen, die meine Erinnerung an das Jahr 2019 mit diesem Platte gewordenen Monolog verbinden werden.

    Das ist die richtige Message auf die richtige Weise. Es ist klug und es ist schön und es gibt aufs Maul. Das ist es, glaube ich: da ist zu wenig Auf-die-Fresse-Klugheit. Die Klugen zweifeln, statt auszuteilen, und die hören Nils Frahm und nerven fast so sehr wie die Idioten. Warum kann nicht alles so cool sein, schrieb ich Hannes über diese EP irgendwann kurz vor dem Konzert im SO36, und das ist meine Meinung. Musik über den Schmerz des Verlierers der Jugend, der Stadt, der Welt. Ende des Jahrs, Ende der Dekade, immer noch hier, raus raus.

  • Boy Harsher – Country Girl EP (Ascetic House)

    Schließlich: bei aller Tiefe und Bedeutsamkeit der Musik dieses Jahres, bei aller Komplexität und Raumwahrnehmung, Technohalluzination, Welterfindung, die ganze angriffslustige Freude an Auseinandersetzung – gegen die exzeptionell gut gemachten Wave-Repliken von Boy Harsher war ich machtlos. Meiner Lust an brachial doofer Affirmation habe ich weiterhin wenig entgegen zu setzen.

    Ich habe die Diskographie dieser Gruppe 2019 häufiger gehört als jede andere Musik. Die ausgedachte Düsternis (Yr Body is nothing), die viel zu gut programmierten Quincy-Jones-Basslines (Morphine, vermutlich der beste Popsong, den ich in diesem Jahr gehört habe), die arg übersexte Stimme von Jae Matthews (Westerners), all der Hall auf allem, das ewige cinematische Autogefahre (Run), der schwarze Sonnenschein – es macht schlicht zu großen Spaß. In dieser Hinsicht verhalten sich Boy Harsher zu den tatsächlichen Protagonistinnen und Protagonisten der eurozentrierten Synthwaveszene der frühen 1980er Jahre wie die inzwischen sprichwörtlichen Buzz-Rickson-Repliken zu den echten Fliegerjacken, die in 1950er Jahren in Japan verblieben: Das ist alles viel besser und auch darum kein bisschen so bedeutsam wie die Originale.

    Aber: Ich weiß nicht, wie viele Male ich in diesem Jahr zu dieser Musik Code schrieb, durch die Nacht nach Hause ging, gute Ideen hatte, aufgeben musste. The life needs to be lived, notierte ich im September in München. Das ist nicht leicht zu sehen, zumindest nicht für mich. Boy Harsher versetzen mich in eine Stimmung, in der ich dazu in der Lage bin. Beach Goth for life.

Weiterhin bedeutungsvoll, häufig gehört und hängen geblieben: TR/ST – The Destroyer 1&25, Messer – Anorak 7″, Pessimist – s/t, Wax – 70007, Demdike Stare – Passion, Topdown Dialectic – Vol. 2, Galcher Lustwerk – Information, Belgrad – s/t, Martyn – Odds against us, Hiro Kone – A Fossil begins to Bray, Pom Pom – Untitled (2019)


  1. Halbwegs nach Zumthor: Dimensionen und Materialien, Licht, Luft und Klang. 

  2. Aus einem Gespräch mit Yagasaki Zentarō, aus der exzellenten Interviewsammlung Die Lehre des Gartens

  3. Meine Überzeugung, dass es wichtiger ist, wie die Dinge gesagt werden als was gesagt wird, führt nicht selten zu Missverständnissen. Mit Einerseits völlig normal/andererseits a fucking tragedy ist wirklich restlos alles erklärt bevor die Worte überhaupt im Gehirn angekommen sind. Ich verdanke dieser Sprache viel, emotional und für’s große, ganze Weltverstehen. 

  4. Und – echt – die Melancholie der Standorte

  5. Music to dance and cry to. Wichtig und schön, aber leider auf Albumlänge nicht auf dem Niveau des ersten Albums

It’s remarkably silent as we slowly cross Beethoven Street. I ponder the gradually passing shadows and whether they are the most real thing I’ve seen today. Dry-clean smell permeates this black Kia Optima. We keep inching along Culver. Finally, the freeway sprawl, in front of us. I servo down a window in anticipation – only to find the freeway packed with the afternoon jam, and myself in stasis again.

Jon said that Uber has put a layer on top of the city, opened it up. It provides no freedom, replacing one rigged system with another. New economics, but no new access (economics newer create new things). Nothing improved, it’s a stall, sideways momentum. My driver is a quiet, chinese man, entirely clad in beige. He puts a Muji tray of caramel sweets on the handrest. I take one and never eat it.

Under the street lights, a Volkswagen Passat stops to pick me up. Its interior smells of industrial strawberries, the stereo playing progressive sidechain arpeggios. There is a moody iridiscent sliver in me that enjoys how well this music matches the ride, the nighttime tunnel flow. We are traversing the dark city in an almost meditative state. Gasoline Zen, I post to Twitter.

The music selection is an integral part of every ride, in a very different way than during Berlin Taxi rides. American radio stations somehow seem to have access to a deeper archive of 1980s rock classics, inacceptable music that seems strangely adequate in Californian air. Toto, Stones, The Wings, they all seem to complete a cliché that may be more real than the actual city.

Thomas is driving me. He is in a palm tree-patterned daishiki. He is listening to The Wave radio at full volume, some black-eyed R’n’B, and keeps humming along. The ever-present industrial strawberry smell mixes with his vanilla perfume. All of this is highly pleasant.

This one blasts trap beats, the stereo’s volume perfectly tuned. As the sun casts soft shadows onto my ankles, I notice yet another variant of the faint dry clean/dried fruit scent that I am unable to place (this country’s olfactory industry has long since emancipated itself from the limited selection of fruit available on earth, I scrawl into my notebook). The car is en route to Los Feliz, where I’d like to visit Ennis House, and stare at the cityscape in dusk and sun. On Glendower Avenue, the door closes and the Prius hums away. I remain by myself on a steep road, next to a vaguely Aztec structure.

Der Winter ist zurück, und mit ihm die eisige Luft. In ihr scheint mehr Raum zu sein, neben Molekülen und Edelgasen, Raum für das körperlose Material der Gedanken und Empfindungen, für die innere Welt und das Licht, das durch sie fällt. Scharf und klar scheint sie Auflösung jeder Wahrnehmung zu erhöhen, jede Empfindung schneidender und jeden Gedanken kristalliner zu machen. Luft, die zu diesen Dingen fähig ist, eine der großen Freuden der dunklen Jahreshälfte.

Möglicherweise ist diese Empfindung im Dezember 2019 so präsent, weil sie zusammenfällt mit dem neuen LP-Release von Shed1, Oderbruch, eine Art Heimatalbum. Sein Thema verhandelt es nach Shed-Kriterien: wie immer geht um das Verhältnis von Atmosphäre und Raum, um die strukturelle und formale Untersuchung eines alten Genres2. Folgerichtig ist der Opener B1 (Anfang und Ende) der große Hit der Platte, ein auf das Innere konzentrierter Banger, konstruiert aus der vollständig eigenen Materie des Shed-Universums. Durchaus spürbar fällt der Blick dabei aus der Stadt auf das umgebende Land (Sterbende Alleen).

Das Album steigt wie weißer Dampf in kalte Winterluft – die Form ständig verändernd, warm, gewichtlos und voller Momentum, pure Shedism. Der Aggregatszustand dieser Musik könnte nicht besser zur klaren Winterluftmaterie passen, sie erzeugt ein Gleichgewicht der Konzentration im Dies- und Jenseits der Wahrnehmung. Es ist Musik, die Schönheit im Dualismus des Daseins findet, abgeschlossen und aufgehoben zugleich. Das Innere, das beständig, klar und ruhig in der Welt verdampft. Musik für den Rest des Jahres, und alles was kommt.

(Und weil Shed nur ein Protagonist im Privatuniversum von René Pawlowitz ist, gibt es parallel das siebte WAX-Release. Für die schwere Luft der Nacht. Muss.)


  1. Überhaupt lassen sich die Jahre in solche mit und solche ohne Shed-Alben unterteilen. Die Jahre mit Shed sind die, die mich an den Rand von etwas gebracht haben, in denen etwas wortlos erklärt werden konnte, in denen zusätzlicher Platz zur Verfügung stand. 

  2. Mir fällt ein, dass die Kraftwerk-Platten meines Vaters, die ich als Kind hörte, jünger waren als es Techno heute ist. Zeit ist anekdotisch. 

March 21st, 2019

Ich kann mich an manche perfekte Tage erinnern, als vollkommene Rhythmen von Raum und Perspektive, Tage, deren Licht anhält. Der 21. März meines sechsunddreißigsten Jahres war ein solcher Tag.

November

In my life, in moments of clarity, in moments of being close to myself, the world has felt abstracted, foreign and incompatible. In these moments, I have felt akin to the patterns of eroded signage paint on tar, to the shapes of the clouds, to insects resting on a sun-basked leaf. I have felt disconnected, yet at home in the cracks and ends, at home inscribed into the patterns, nowhere to be found but somehow. (010717)

Dieses Jahr hat in Los Angeles begonnen, nachdem die ersten beiden Monate in einer Art Druckwelle an mir vorbeigezogen waren, nachdem WAF GMBH ihre Existenz rechtsgültig begonnen hatte. Es war eine Rückkehr an einen Ort, den ich während meiner vorigen Besuche nicht verstand, aber mich stets fasziniert zurückließ. Das fundamentale Versagen dieser Stadt, eine Stadt zu sein1, ihre psychotische Dunkelheit, die Geometrie ihrer Schatten im immerzu perfekten Licht – mein Versuch, eine Perspektive auf Los Angeles zu finden hält an und findet inzwischen in einem Are.na-Channel statt: Parsing L.A..

Seit meiner Rückkehr habe habe ich nicht aufgehört, über diese projizierte Stadt und ihre Orte nachzudenken. Ebenso habe ich nicht aufgehört, Boy Harsher zu hören. Die dunkle Campyness des Projekts aus (enttäuschenderweise: Massachusetts) fließt gleichermaßen in den schwarzen Sonnenschein, der so spezifisch für Los Angeles ist. Diese Musik füllt Industriebrachen und flutet die mit 20 Meilen pro Stunde vorbeiziehenden leeren weißen Kuben, die Gebäude sein sollen. Wie so vieles in den Vereinigten Staaten ist sie eine Rekonstruktion europäischer Affekte mit amerikanischen Mitteln. Wie so vieles in Los Angeles speist sich ihre Anziehungskraft aus eben dieser monumentalen Fakeness.

Ich habe die Alben und LPs von Boy Harsher mehr gehört als viele andere Musik in diesem Jahr. Los Angeles blieb und die Stimmung blieb und die Erinnerung an das Licht und die Menschen blieb. Es ist schwer, sich der Sleaziness zu erwehren, dem Eingeständnis einiger Kaputtheit und der Weite und Freiheit, die von dieser Musik ausgeht. Das hat viel mit Jae Matthews‘ Gesang zu tun, geschult an der Attitüde und Anziehungskraft der europäischen Goths (Siouxsie Sioux, Anja Huwe, man muss die richtigen YouTube-Videos kennen).

Motion, Westerners und Morphine (ey, diese Titel) haben mich durch einige Härten halluziniert, als Narrative einer Welt, die es nur ausgedacht gibt, und halt in Los Angeles, wo alles erfunden ist. Es ist großartige Musik, wie L.A. eine großartige Stadt ist, wie es nichts sharperes gibt als eine Truckerjacke aus gewachstem Twill im richtigen Licht.

Boy Harsher wurden zum Kristallisationspunkt meiner Beach Goth-Playlist, vermutlich der reinste Ausdruck meiner Lust an brachial doofer Affirmation, zu der ich in diesem Jahr gefunden habe. Diese Playlist bedeutet mir viel – ebenso wie Los Angeles und meine Perspektiven in der Stadt, denen Boy Harsher Raum und Permanenz in 2019 gegeben haben, auch auf dem kalten Boden der Tatsachen zum Ende der Dekade.

There was a moment among the abstract government buildings. I was very tired, the mournful groove of Boy Harsher oozing from my wireless earpiece, an electric scooter zooming past. I realized where I was, which world, how far I had walked. Let’s save this particular now. (Berlin, September 2019)


  1. Traversing the airspace above L.A. and the valley beyond makes the vastness of this country apparent. It is, fundamentally, still the far west, unclaimed nature, emptied of its original inhabitants, painted with a thin layer of civilisation and semi-permanent architecture. Were the people settling here to leave, it would turn full western-trope ghost town of monumental dimensions. 

I am not sure on which mental or metaphysical level this kind of disassociation occurs. It may be beyond the biological firmware, in the sense that systems of perception are recording everything with ultimate precision, in a kind of sensory equivalent to raw sensor output. It is not fully processed, as the cognitive system occupies itself elsewhere, with more pressing (and de-pressing) matters. But the data of every moment exists, and we exist in it.

Now, the thing to be learned is to re-associate again, to solely be in the moment. To let the sensory data wash through all of our being, and fill everything with the wonder of the phrase I am Here. To understand and negotiate being there (implying the ontological separation from the world) and being here (implying oneness of perceiving and existing).

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