electricgecko.de

Drei Orte in Kuala Lumpur

Kuala Lumpur ist weniger eine Stadt als die südostasiatische Version des Sprawl – das Substantiv im Gibsonschen Sinne, nicht das Verb im Infinitiv. Es ist ein für europäische und (noch) zeitgenössische Verhältnisse unkontrolliert wachsendes Geflecht aus Tradition, Pragmatismus, dem Technologismus des vergangenen Jahrtausends und dem simplen Prinzip der Verdrängung: Masse erzeugt Druck und erschließt in der Folge Wege und Raum.

Somehow everything is infrastructure here1, und interessanterweise scheinen ihre Komponenten ihren eigenen Codices zu folgen. In dieser Hinsicht entspricht Kuala Lumpur seinem Land. Malaysia bezieht Identität aus Multikulturalität: muslimische Prägung, ethnische Bevölkerungsgruppen aus Indien und China sowie eine trotz allem spürbare indigene Präsenz.

In Kuala Lumpur ist das an wenigen Orten so evident wie am Central Market am Rande von Chinatown. Es ist sicherlich ein chinesisches Viertel wie es im ostasiatischen Raum häufig zu finden ist (think Garküche, tech repair shack, unlikely Yeezy colorways) – doch es ist durchdrungen von den Vibes und der Haptik des mittleren Ostens. Der Dayabumi-Komplex überragt das kleine Viertel wie ein Architektur gewordener Konjunktiv: Ein Turm ornamentierter Geradlinigkeit, ein entschlossener Entwurf, on point in seiner Slickness (und vermutlich eines der schönsten Gebäude, die ich gesehen habe).

Das Durcheinander Kuala Lumpurs ist bestimmt von Kontrasten wie diesen, zu denen mir kein adäquater Vergleich einfällt. Alles hier war niemals prä- oder post-, es ist urbane Biologie, das über-, unter- und ineinander Verwachsen in alle Richtungen, möglicherweise die Entsprechung des malayischen Dschungels. Drei Orte in Kuala Lumpur.


  1. William Gibson – Disneyland with the Death Penalty, Wired (1993). 

Sechs Orte in Mailand

Mailand ist eine gleichermaßen modern wie materiell. Was den urbanen Raum angeht, ist die Stadt ihren Nachbarn im Norden (Como, Bergamo und die italienische Schweiz) näher als der Toskana und den historisierten Orten ihrer südlichen Umgebung. Im Gegensatz zu Florenz und Siena ist die Entwicklung der Stadt auf die Gegenwart bezogen – und wie zu erwarten, findet sie hier in der (Innen-) Architektur ihren prägnanten Ausdruck.

Das Neue in Mailand hat seine Basis in Ideen, die in der Stadt verwurzelt sind. Die zeitgemäße Fortführung dieser Ideen führt zu bemerkenswerten Orten und Situationen, im Stadtraum und den Räumen der Stadt. Das Ergebnis ist eine Moderne im Dienst des gesellschaftlichen Moments, häufig mühelos aber stets bestimmt. Der Luxus dieser Stadt liegt in ihren Materialien und den Umgebungen, die sie schafft. Über einige davon habe ich mich bei meinem Besuch im April und Mai sehr gefreut.


  1. Die Präposition erschien mir hier schon immer falsch: wohinein soll hier etwas gerichtet werden? Wenn überhaupt werden Dinge doch ausgerichtet, und zwar an den eigenen ästhetischen Prinzipien. Entschuldigung. 

Sechs Orte in Tokyo

Es ist selbstverständlich Unsinn, einen Text mit dieser Überschrift zu schreiben. Tokyo ist keine Stadt, für die Hinweise auf ausgewählte Orte sinnvoll oder notwendig wären. Tokyo ist zu komplex und zu selbsterschließend, als dass es einen anderen Rat geben könnte als: Get out, get lost. Die Skalierung der meisten Viertel im Stadtgebiet orientiert sich an den Maßen und Reichweiten von Menschen – eine überaus bemerkenswerte Erfahrung, wenn man westliche Städte gewöhnt ist und motorisierten Straßenverkehr für ein unvermeidliches Übel hält. Letztlich sind es weniger die Räume und Perspektiven, die Tokyo zur zentralen Stadt einer anderen Moderne machen. Sondern die Perfektion seiner Verfasstheit, die Kombination aus besserem Material und nahtloser Fügung, die Zugehörigkeit zu einer anderen, hochwertigeren Realität, in der bessere Antworten auf die gleichen Fragen gefunden wurden; Mirror-World. Tokyo ist im besten Sinne unglaublich.

Sechs Orte in Porto

Porto war kein Ziel mit Absicht. Porto ist mir passiert, sozusagen, der Arbeit wegen. Das passte ganz gut, denn Porto ist eine arbeitende Stadt in einer arbeitenden Region. Dass sie wunderschön sind (Stadt und Region), und zwar auf eine Weise, die ich verstehen und ertragen kann, habe ich erst dort gelernt. Porto ist die interessante Stadt des Landes. Es geht große Anziehung aus, von seiner hügeligen Kolonialhaftigkeit (Farben: weiß/weiß/grün/blau), durchtrennt und zusammengefügt mit exzellenter öffentlicher und kommerzieller Architektur (grau/weiß). Es gibt einen spezifischen Anspruch an die Gestaltung des Raumes, der Porto schön und gebrauchbar macht. Porto erscheint an vielen Stellen auf so schöne Art und Weise gebaut, dass man die Art wie die Stadt mit seinen Hügeln, dem Fluss und dem Meer verfließt übersehen könnte, um ein Haar. Ich blieb für zehn Tage in einem wunderschönen Appartment und in einem Hotel für ein langes Wochenende im April, and I’ve grown strangely fond of this place.

Sechs Orte in Zürich

Eine der schönsten Reisen, die man in Europa unternehmen kann, ist eine angemessen lange Strecke mit einem der Züge der City Night Line zurückzulegen. Die Einzelkabinen der ersten Klasse sind geräumig und tatsächlich schön. Der Blick vom Bett aus dem breiten Fenster auf die vorbeiziehende Umgebung ist das beste denkbare Bahnpanorama, zumindest auf der Strecke von Hamburg nach Zürich.

Überhaupt, Zürich. Kaum eine Stadt, in deren Name so viel Gefühl der alten Welt (in der wir aufwuchsen) mitschwingt. Nach Zürich reist man von Dienst wegen, nach Zürich nimmt man Cheques mit, in Zürich ruft man den Fahrer. Darum entschied ich mich im vergangenen Jahr, sehr privat und ohne Anliegen eben dorthin zu reisen. Um alleine umher zu gehen, alleine in Restaurants zu essen und alleine abzuwarten, was geschehen möge. Was geschah, schrieb ich nicht auf, wohl aber sechs empfehlenswerte Orte.

Ältere Texte zum Thema Six Places